talk of the town
: „Ja oder nein.“ Hä?

Erregungsökonomie in a nutshell: Der Fall Annegret Kramp-Karrenbauer zeigt sehr schön, wie Medien und Politik sich darauf verstehen, einander nicht zu verstehen

Nach Kramp-Karrenbauers Wortgeklingel wünschte man sich umgehend Angela Merkel zurück ins Adenauer-Haus Foto: Michael Kappeler/dpa

Von Anja Maier

Vor Jahresfrist, anlässlich einer Abendveranstaltung, eilte ein prominenter Bundespolitiker auf die Autorin dieses Textes zu und hob an, sie und die taz – sicher nicht grundlos, jedoch anlasslos – anzupöbeln. Es fielen üble Sätze. Als der Herr nicht vom Schmähen ablassen wollte, begann sie sich dann doch mal zu wehren und empfahl ihm die Kontaktaufnahme zur sowohl publizistischen als auch politisch-weltanschaulichen Konkurrenz am anderen Ende der Berliner Rudi-Dutschke-Straße.

Die Folge war eine weitere Eskalation. Jahaaaa, die Meeeedien, die dürfe man nicht kritisiiiieren, giftete der Mann. Andernfalls sei man als Politiker ja fällig. Nie, niiiiiemals und auf gar keinen Fall die Meeeedien kritisieren! Das Wort Pressefreiheit spuckte er regelrecht in die laue Berliner Nacht.

An diese Begegnung muss die Autorin nun denken, da die Spitzenpolitikerin Annegret Kramp-Karrenbauer wegen eines Schrottsatzes medial steilgeht. Die CDU-Vorsitzende wolle in Wahlkämpfen politische Meinungen „regulieren“, wurde am Montag im Anschluss an ihre Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus gemeldet. Anschließend explodierte Twitter. #annegate heißt der trendende Hashtag, der für Auflage und Klicks sorgt.

FDP-Chef Christian Lindner machte sich umgehend anheischig: „@akk erwägt die Regulierung von Meinungsäußerungen vor Wahlen … Das kann ich kaum glauben.“ Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen sagte der dpa: „Man kann nur hoffen, es ist Hilflosigkeit und nicht politische Überzeugung.“ Und der am zurückliegenden Wochenende megaerfolgreiche Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert hielt es für eine gute Idee, sich „als guter Demokrat alle DDR-Vergleiche“ zu verkneifen.

Es ist also nicht so, dass nur die Meeeedien das Lagerfeuer der öffentlichen Empörung befeuern – auch die PolitikerInnen sind gut dabei. Lautstarke Empörung und grundgesetzliches Pathos kommen kühl austariert zum Einsatz.

Tatsächlich hatte Annegret Kramp-Karrenbauer am Montagnachmittag Folgendes gesagt: „Was wäre eigentlich in diesem Lande los, wenn eine Reihe von, sagen wir, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD. Das wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen.“ Weiter ging es so: „Und die Frage stellt sich schon mit Blick auf das Thema Meinungsmache, was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich, ja oder nein.“

Ja oder nein. Hä?

Frau Kramp-Karrenbauer, einmal auf Touren, häkelte unbeirrt weiter an ihrem Gedankenknäuel. Es sei schließlich eine fundamentale Frage, „über die wir uns unterhalten werden, und zwar nicht wir in der CDU, mit der CDU, sondern, ich bin mir ganz sicher, in der gesamten medienpolitischen und auch demokratietheoretischen Diskussion der nächsten Zeit wird das eine Rolle spielen“.

Es war ein Auftritt im politischen Alltag, wie er immer mal wieder vorkommt. Viel Wortgeklingel, jede Menge ungeordnete Gedanken und im Grunde mehr Fragen als Feststellungen. Aber – die Autorin ist noch einmal ihre Notizen durchgegangen – nirgendwo in Kramp-Karrenbauers Einlassungen findet sich das Verb „regulieren“.

Doch der Zug der Empörten ist längst auf dem Gleis. Es bleibt nur, ihm zaghaft mit Fakten hinterherzuwinken und ansonsten eine gute Reise zu wünschen.

Kramp-Karrenbauer, einmal auf Touren, häkelte unbeirrt weiter an ihrem Gedankenknäuel

Auch Annegret Kramp-Karrenbauer ist jetzt Teil der Reisegesellschaft. Ihr Versuch, die Sache geradezurücken, darf getrost als fehlgeschlagen gelten.„Es ist absurd, mir zu unterstellen, Meinungsäußerungen regulieren zu wollen. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in der Demokratie. Worüber wir aber sprechen müssen, sind Regeln, die im Wahlkampf gelten“, twitterte sie am Montagabend ihrer eigenen Pressekonferenz hinterher. „Wenn einflussreiche Journalisten oder YouTuber zum Nichtwählen oder gar zur Zerstörung demokratischer Parteien der Mitte aufrufen, ist das eine Frage der politischen Kultur.“

Zerstörung demokratischer Parteien – kleiner hatte sie es wohl nicht. Man wünschte sich umgehend Angela Merkel zurück ins Adenauer-Haus, die den Vorgang stumm ausgesessen hätte.

Als „einflussreich“ gilt Annegret Kramp-Karrenbauer der YouTuber Rezo, der in der Woche vor der Europawahl die Politik der CDU in einem Video in Grund und Boden gebasht hatte. Die hatte den Mann grandios unterschätzt und ihn durch den Versuch, ihn irgendwie wegzuignorieren, erst richtig groß gemacht. Die Sache endete bekanntlich damit, dass am Tag nach der Europawahl von der CDU-Vorsitzenden ernsthaft erklärt wurde, nicht was Rezo gesagt habe, sei für den Misserfolg der Union verantwortlich. Sondern wie darauf reagiert worden sei.

Der ganze Vorgang – das laute Denken, die mediale Verwertung, der Furor auch von politischer Seite – ist mittlerweile ein üblicher Vorgang. Fehler sind verboten, und wenn sie passieren, werden selbst Richtigstellungen wahrgenommen als untauglicher Versuch, die Presse- und Meinungsfreiheit beschneiden zu wollen. An Tagen wie diesen fragt sich die Autorin, ob der zornige Spitzenpolitiker mit seinem Meeeeedien-Ausbruch an jenem Frühsommertag 2018 nicht doch ein klitzekleines bisschen recht gehabt haben könnte. Auch wenn sie weiterhin Wert darauf legt, nicht angepöbelt zu werden.