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Kommentar von Sven-Michael Veit zur Volksgesetzgebung in HamburgReden soll helfen

Durch Kompromisse versucht Rot-Grün in Hamburg, Volksentscheide zu verhindern

Bisher sind noch bei jedem Volksentscheid in Hamburg – ob „von unten“ oder „von oben“ ini­tiiert – Regierung und Parlamentsmehrheit vom Volk in ihre Schranken gewiesen worden. Daraus wurden in der Hansestadt Lehren gezogen.

2013 votierte das Volk – mit der knappen Mehrheit von 50,9 Prozent – gegen den Willen des SPD-Bürgermeisters Olaf Scholz und der SPD-Regierungsfraktion bei einem Volksentscheid für die Rekommunalisierung der Versorgungsnetze für Strom, Gas und Fernwärme. Dieser Prozess, der die Stadt etwa zwei Milliarden Euro kostet, wird zurzeit gerade abgeschlossen.

Gegen den Willen des rot-grünen Senats lehnte das Volk 2015 – mit der ebenfalls knappen Mehrheit von 51,6 Prozent – bei einer Volksbefragung die Bewerbung um die Ausrichtung Olympischer Spiele in Hamburg ab.

Es waren zwei Klatschen für „die da oben“. Seitdem sucht die rot-grüne Koalition den Konsens mit jeder Volksinitiative, der sie Erfolgschancen zuerkennt. Die Fraktionschefs von SPD, erst Andreas Dressel, seit einem guten Jahr Dirk Kienscherf, und Grünen, Anjes Tjarks, verhandeln mitunter monatelang hinter verschlossenen Türen mit den Initiativen.

In vier Fällen wurden Kompromisse gefunden und umgesetzt, die einen Volksentscheid überflüssig machten – 2016 zur Flüchtlingsunterbringung, 2017 für gute Inklusion an Schulen, in diesem April ein „Vertrag für mehr Stadtgrün“ mit dem Naturschutzbund und schließlich im Mai eine Einigung mit einer Volksinitiative, die den Ausstieg Hamburgs aus der Kohleverbrennung für Fernwärme forderte.

Es sind dies Einigungen, die beinharte Konfrontationen bis zur gnadenlosen Zuspitzung, so bei den Netzen und Olympia geschehen, zu vermeiden suchen. Vor allem bei der Initiative zur Flüchtlingsunterbringung wurde so ein explosiver Konflikt entschärft. Durch den Ausgleich widerstreitender Interessen wird nunmehr in Hamburg eine gesellschaftliche Verschärfung oder gar Spaltung vermieden. Ernsthafte und gewichtige Streitfragen können einvernehmlich gelöst werden, so das Signal, wenn man fair und vernünftig miteinander redet. Klingt wenig spannend, ist aber der friedlichere Weg.

Diesen hatte das Hamburger Verfassungsgericht am 15. Oktober 2016 gewiesen. Und das war ein guter Tag für die direkte Demokratie in Hamburg. Denn der Bürgerrechtsverein „Mehr Demokratie“ wurde vom Hamburgischen Landesverfassungsgericht in die Schranken gewiesen. Eine Niederlage, die ironischerweise mehr Demokratie in Hamburg ermöglichte. Gestärkt wurde die Volksgesetzgebung und damit die Möglichkeiten der Bevölkerung, in Einzelfragen Regierung und Parlament zu überstimmen. Verhindert wurde eine Diktatur der Querulanten.

„Mehr Demokratie“ hatte mit seinem als nicht verfassungskonform untersagten Volksbegehren „Rettet den Volksentscheid“ den Bogen überspannt. Da Volksentscheide in Hamburg nicht bedroht seien, müssten sie auch nicht gerettet werden, lautete der Tenor des Urteils. Es ging darum, dass 2015 die Hamburger Verfassung geändert wurde, damit der Senat das Volk über die mögliche Hamburger Olympia-Bewerbung befragen konnte. So wurde es durchgeführt – im Übrigen zeitgleich im potenziellen Segelort Kiel, dort aber auf kommunaler Ebene. Das Referendum habe die Rechte des Volkes nicht geschmälert, urteilten die neun RichterInnen einstimmig.

Eben das aber hatte „Mehr Demokratie“ behauptet: Der Verein meinte, die Bitte von „denen da oben“ an „die da unten“, in einer wichtigen Sachfrage selbst zu entscheiden, sei eine Beschränkung der Mitwirkungsrechte des Volkes. Jemanden aber dadurch zu unterdrücken, dass man ihm das letzte Wort lässt – diese Argumentation taugt für einen Spitzenplatz in der Rangliste der gewagten Thesen.

Denn der Verein war auf dem besten, also schlechtesten, Weg, das Gegenteil dessen zu erreichen, was er angeblich wollte. Durch eine permanente Misstrauenserklärung an die Politik und die Politiker, an Parteien und Parlamente, schürte „Mehr Demokratie“ eben die Politik(er)verdrossenheit, zu deren Bekämpfung er einst angetreten ist.

Diesen Irrweg hat das Hamburgische Verfassungsgericht damals gestoppt und zugleich die bestehenden Instrumente der Volksgesetzgebung mit ihren Vorgaben und Quoren bestätigt und gestärkt.

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