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AufsVolk ist kein Verlass

Sind Volksentscheide ein Gewinn für die Demokratie oder ein Vehikel für die Durchsetzung von Partikularinteressen? Eine Analyse anlässlich der aktuellen Abstimmungen in Osnabrück und Bremen43–45

Text Benno SchirrmeisterZeichnungen Imke Staats

Auch der Populismus-Vorwurf ist halt so eine Sache: Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, hat Plebiszite als „Prämie für Demagogen“ verunglimpft. Vielleicht wollte er damit nur davon ablenken, dass er selbst das Versagen der repräsentativen Demokratie idealtypisch verkörperte.

Denn ein sehr informierter, rhetorisch-versierter Reichstagsabgeordneter war er ja unbestreitbar gewesen. Heuss wusste bestimmt, was er tat, als er am 24. März 1933 fürs Ermächtigungsgesetz votierte, also die Abschaffung aller demokratischer Kontrolle, und die Diktatur demokratisch sanktionieren half.

Angesichts des Ergebnisses der Reichstagswahl vom März desselben Jahres darf man sicher sein: Ohne Parlament, direktdemokratisch, wäre dieses Gesetz nicht zustande gekommen. Heute böte gegen solche hypothetischen Fälle die Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes Schutz – übrigens auch gegen Abgeordnete, die wider besseres Wissen einen Putsch legitimieren.

Es ist eine schwierige Debatte, nicht weil das Thema so kompliziert wäre, sondern weil sie so zäh ist: Norddeutschland schickt sich, ausgehend von den Stadtstaaten Hamburg und Bremen, allmählich an, so wie Bayern auch Elemente der direkten Demokratie zu stärken: Schleswig-Holstein ist da schon gut vorangekommen, in Mecklenburg-Vorpommern sieht es hingegen trist aus – und in Niedersachsen drängen die BürgerInnen auf Beteiligung. So haben am Wochenende die OsnabrückerInnen entschieden, dass die Stadt eine eigene Wohnungsgesellschaft braucht, obwohl Niedersachsens Hürden für Volksgesetzgebung dramatisch hoch sind.

Überhöhte Heilserwartungen

Zäh ist die Debatte, weil sich die Argumentationen selten von Polemik frei machen: Überhöhten Heilserwartungen, die der schon im Namen anmaßende Verein „Mehr Demokratie“ mit ihnen verbindet – es geht ja gerade nicht um mehr, sondern eine andere Form von Demokratie – stehen historisch kontrafaktische Einwände gegen Volksentscheide gegenüber. Zumal die haben sich stark ins Bewusstsein eingebrannt: Das Heuss-Bonmot darf in keiner einschlägigen Diskussion fehlen.

Einer Überprüfung halten diese Vorurteile nicht stand: Bayerns Verwaltung gilt ja nicht als furchtbar gehemmt, obwohl die dortige Landesverfassung seit 1946 die Möglichkeit von Volksentscheiden festgeschrieben hat (eindeutiger als, aber nicht im Gegensatz zum Grundgesetz, das nur Abstimmungen kennt).

Auch die Schweiz ist noch immer nicht destabilisiert. Und dass Plebiszite den Untergang der Weimarer Republik beschleunigt hätten, ist ein Ammen- oder eben ein praktisches Mitläufermärchen: Es gab überhaupt nur drei Volksbegehren, darunter so honorige wie der Wunsch, den Bau von Panzerkreuzern zu verbieten, und die Beteiligung war zu dürftig, als dass die Vorschläge Rechtsfolgen gehabt hätten.

Dass sie polarisieren, weil sie stärker als der in Ausschüssen moderierte parlamentarische Prozess auf eine Ja-Nein-Entscheidung zusteuern, und dass sie dadurch dazu neigen, Fragen zu emotionalisieren, die pragmatisch zu klären wären, lässt sich hingegen empirisch nachvollziehen.

Interventionen in eine verwaltete Welt

Nett ausgedrückt sind sie somit menschliche Interventionen in eine verwaltete Welt. Sie formulieren Einsprüche gegen deren geschmeidig geregelten Ablauf – und sei es, indem man, wie die Einwohner der Hansestadt Schilda an der Trave im Jahre 2010, dafür sorgt, einen nutzlosen, aber liebgewonnenen Flughafen behalten zu dürfen.

Oder wie die Stimmberechtigten im Zweistädtestaat Schöppenstädt an der Weser dafür, dass eine stillgelegte Galopprennbahn in top erschlossener Lage zum Sperrgebiet erklärt wird, ein 30-Hektar-Hundeklo – während allüberall die Wohnraumknappheit beklagt wird. Offenkundig war es der verfassteren Kommunalpolitik nicht gelungen, ihren einheitlichen Willen so zu kommunizieren, dass er Nostalgie und Ängste bezwingt.

Das ist finanziell nicht schädlicher als die vielen Verwaltungsfehlentscheidungen, die zur Errichtung von Ampeln auf Äckern führen oder Liegeverboten auf Liegewiesen – und bestenfalls zu formidablen Beiträgen der legendären extra3-Serie „Irrsinn des Alltags“ werden: Speist sich der aus einem frei drehenden Bürokrationalismus, scheinen hier Gefühle zu rasen.

Und dieses irrationale Moment bietet Anknüpfungsmöglichkeiten für Ressentiments: Immer, wenn es konkret gegen Minderheiten geht – egal ob Raucher oder Muslime –, haben direktdemokratische Initiativen gute Chancen. Wenn sie sich mit der Erzählung von einem vermeintlich einheitlichen Volkswillen verbinden, verschaffen sie einem aggressiven Rechtspopulismus eine Bühne. Genau so wie freie Wahlen in beispielsweise Frankreich, einem rein repräsentativen System – oder Mecklenburg-Vorpommern, das Schlusslicht ist in Sachen Volksentscheid in Norddeutschland – und Vorreiter in Sachen Rechtspopulismus.

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