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LiebegegenMoral

„Anders als die Andern“ gilt als der erste deutsche schwule Film. Mitgewirkt hat 1919 der Arzt und Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld. Kurze Zeit später war der Film wieder verboten. Die Premiere ist heute genau 100 Jahre her

„Anders als die Andern“ war offene Kritik am Paragrafen 175

Von Saskia Hödl

Man kann getrost das Wort „Sensation“ benutzen, wenn man beschreiben will, wie der Film „Anders als die Andern“ 1919 aufgenommen wurde. Eine Geschichte über zwei Männer, die sich lieben in einer Gesellschaft, die das nicht zulassen will. Heute gilt der Film als der erste deutsche schwule Film, vielleicht sogar als der weltweit erste schwule Film – auf jeden Fall war er ein Stück Wegbereitung für die homosexuelle Emanzipation.

Gezeigt wurde der Stummfilm zum ersten Mal am 28. Mai 1919 im Apollo-Theater in der Berliner Friedrichstraße 218. Die Premiere ist damit heute genau 100 Jahre her.

Der Ort der Uraufführung existiert heute nicht mehr, nach dem Zweiten Weltkrieg lag das Apollo-Thater in Trümmern. Seine Hausnummer trägt heute das szenige Restaurant Nobelhart und Schmutzig.

Der Film des Wiener Regisseurs Richard Oswald hingegen ist zumindest noch in Fragmenten erhalten. In Fragmenten deshalb, weil er innerhalb eines Jahres der Zensur zum Opfer fiel. 1920 war der Film bereits verboten. Die Weimarer Republik hatte in der Zwischenzeit die Zensur, die sie bei ihrer Gründung zunächst abgeschafft hatte, wieder eingeführt.

Nach dem Verbot schnitt Oswalds Co-Drehbuchautor Magnus Hirschfeld im Jahr 1927 eine gekürzte Version für eine Episode seines Films „Gesetz der Liebe“.

Hirschfeld war ein deutscher Arzt und Mitbegründer der ersten homosexuellen Emanzipationsbewegung. Er war außerdem Vertreter einer Theorie der sexuellen Zwischenstufen und war nicht nur im Hintergrund für „Anders als die Andern“ zuständig, sondern trat auch als Darsteller im Film auf.

Es war die Mischung aus Melodram und Wissenschaft, die den Film damals so besonders machte

Hauptfigur in „Anders als die Andern“ ist der virtuose Violinist Paul Körner, gespielt von Conrad Veidt, der später auch mit seinen Rollen in „Das Cabinet des Dr. Caligari“ und „Casablanca“ international bekannt wurde.

Zu Beginn des Films sieht man Körner mit dunkel geschminkten Augen am Frühstückstisch sitzen. Er liest in der Zeitung vom Suizid eines Mannes einen Tag vor dessen Hochzeit und vom Suizid eines jungen, offenbar vielversprechenden Studenten. Körner weiß es schon: Es ist der Paragraf 175, der diese Leute hinrichtet.

Dieser Paragraf 175 StGB war in Deutschland seit 1. Januar 1872 in Kraft, er stellt sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Frauen waren davon ausgenommen. Der Paragraf existierte bis 1994, es gab im Laufe seines 122-jährigen Bestehens eine Reihe von Verschärfungen und Ergänzungen.

Im Nationalsozialismus etwa wurde der Tatbestand von „beischlafähnlichen“ auf alle „unzüchtigen“ Handlungen unter Männern ausgeweitet. Die Strafe belief sich je nach Fassung auf zwischen sechs Monate und fünf Jahre Haft oder sogar auf bis zu zehn Jahre Zuchthaus.

Hauptfigur Körner jedenfalls wird auf Bitten eines jungen Mannes, Kurt Sivers, dessen Lehrer und die beiden kommen sich näher. Doch die Familien der Männer mischen sich ein, wo sie können, denn das schwärmerische Verhältnis ist ihnen nicht recht. Sivers’ Eltern wollen, dass der Junge etwas Vernünftiges lernt. Sivers Schwester findet Körner ebenfalls attraktiv und beschwichtigt die Eltern zumindest.

Körners Familie versucht unterdessen, ihn einer vermögenden Witwe nahezubringen. Er möge doch bitte endlich heiraten. Körner lässt sich auf das Treffen mit der Frau ein, allerdings läuft es, erwartbarerweise, so schlecht, dass er seine Eltern danach zu einem Arzt, einem Sexualtherapeuten, schickt – nämlich zu Magnus Hirschfeld, der sich hier quasi selbst spielt. Der Arzt erklärt Körners Eltern dann in klaren Worten, dass gleichgeschlechtliche Liebe genauso rein und edel ist wie jede andere. Dass Homosexuelle ehrbare Menschen sind, die aus allen sozialen Schichten kommen. Auch zu Körner sagt der Arzt bei deren erster Begenung, dass mit ihm alles stimme und dass er ein wertvoller Teil der Menschheit sein könne, ob schwul oder nicht.

Musiklehrer Paul Körner (Conrad Veidt, l.) und sein Schüler Kurt (Fritz Schulz) Fotos: film & kunst

Es ist diese Mischung aus Melodram und Wissenschaft, die diesen Film damals so besonders machte und die ihm auch heute noch seine filmhistorische Bedeutung verleiht. Gleichzeitig ist es genau diese Mischung, es sind genau die Worte, die Magnus Hirschfeld als Arzt im Gespräch mit der Familie Körner wählt, die einen aus heutiger Perspektive dann doch etwas fassungslos zurücklassen, weil das, was er sagt, eben auch 100 Jahre später in gewisse nKreisen immer noch nicht angekommen ist.

Die Hirschfeld’sche Kurzversion des Filmes wurde in den 1990er Jahren vom Münchner Filmmuseum wissenschaftlich aufgearbeitet und, soweit es möglich war, rekonstruiert. Wo die Lücken zu groß sind, füllen Texte aus zeitgenössischem Aktenmaterial und Fotos den Plot. Seit 2006 ist die Rekonstruktion auch auf DVD zu sehen.

Für die beiden Männer geht die Geschichte am Ende nicht gut aus. Paul Körner wird erpresst, Sivers entfernt sich vorübergehend von ihm. Körner zieht schließlich vor Gericht und der Erpresser wird verurteilt. Aber auch Körner muss, wegen des Paragrafen 175, eine Woche ins Gefängnis. Die gesellschaftliche Ächtung, die er daraufhin erfährt, ist mehr, als er ertragen kann. Er nimmt sich schließlich das Leben.

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