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Bündnisse über Milieus hinweg

In Studien zum sozialen Zusammenhalt steht Bremen immer gut da – obwohl die Unterschiede groß sind und Armut ein Problem ist. Woran liegt das?

Klaus Boehnkeist Professor für sozialwissenschaftliche Methodenlehre an der Jacobs University Bremen. Er ist zudem stellvertretender Leiter des Internationalen Zentrums für soziokulturelle Forschung in Moskau und Präsident der Internationalen Vereinigung für kulturvergleichende Psychologie.

Von Klaus Boehnke

Wir gehör’n zusammen“, heißt es in Werder Bremens Stadionlied – nein, hier geht es nicht um Fußball, auch wenn das Weserstadion zum Nachfolgenden durchaus passt. Nachweislich wird dort der Gegner seltener als in vielen anderen Stadien gnadenlos ausgepfiffen; stattdessen wird die Stadt in ihrem „Wir“ zelebriert.

Als die Bertelsmann-Stiftung im Jahr 2014 ihren ersten Bundesländervergleich zum sozialen Zusammenhalt in Deutschland veröffentlichte, gab es ungläubiges Augenreiben. Eine der Überschriften, unter denen die Stiftung ihre Ergebnisse medial verbreitete, hieß „Die Akzeptanz gesellschaftlicher Vielfalt ist in Bremen größer als in allen anderen Bundesländern“.

Im Jahre 2016 gab es dann eine weitere Bertelsmann-Studie zum Zusammenhalt in Bremen, ko-finanziert unter anderem von den überwiegend städtischen Wohnungsbauunternehmen Gewoba und Brebau: Der Zusammenhalt in allen 78 von mehr als 1.000 Personen bewohnten Bremer Ortsteilen wurde erfasst. Und siehe da, wieder lautete der Befund: Bei aller Verschiedenheit der bremischen Ortsteile steht die Stadt erneut gut da; in so unterschiedlichen Stadtteilen wie Huchting, Mitte, Seehausen, Borgfeld, Findorff und Gröpelingen ist es überdurchschnittlich gut um die Akzeptanz von gesellschaftlicher Vielfalt bestellt.

Deutlich wurde allerdings: Warum es in Bremen gut um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und insbesondere um die Akzeptanz von Vielfalt bestellt ist, ließ sich nur schwer sagen. Überdurchschnittlich gute Nachbarschaftsbeziehungen wurden ins Feld geführt, aber damit hatte es sich im Wesentlichen.

Weiter ging’s mit dem sogenannten Regionalradar der Bertelsmann-Stiftung, der im Jahre 2017 veröffentlicht wurde: Wieder landete Bremen bei der Akzeptanz von Vielfalt auf Platz eins unter allen Bundesländern. Erneut bleibt auch dort im Dunkeln, wie es zu diesem konstant positiven Ergebnis kommt: Schon seit 1990 – so weit zurück geht der erste im Jahre 2014 veröffentlichte Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt – liegt Bremen vorn, aber warum dies so ist, lässt sich schwer sagen. Die „üblichen“ – sozialwissenschaftlichen – „Verdächtigen“ wie ein hohes Pro-Kopf-Einkommen, geringe Arbeitslosenquoten, geringe Einkommensunterschiede, geringes Armutsrisiko et cetera scheiden als sogenannte Prädiktoren aus. Bei all diesen Indikatoren liegt Bremen in der Reihe der Bundesländer bestenfalls unter „ferner liefen“. Sie begründen Bremens Führungsposition in der Akzeptanz von Vielfalt nicht.

Jüngst nun hat sich auch die Robert-Bosch-Stiftung des Themas angenommen und ihr Vielfaltsbarometer 2019 vorgestellt. Ging es in den Bertelsmann-Studien typischerweise mit relativ wenigen Fragen um Menschen mit einer anderen Religionszugehörigkeit und um Ausländer/Migranten, so versucht das Vielfaltsbarometer eine differenziertere Analyse. Angesprochen werden sieben Aspekte von Vielfalt: Religion, ethnische Herkunft, Armut, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Behinderung und Lebensalter an sich. Eine größere Anzahl von Fragen zu jedem dieser Themenbereiche wurden einer Repräsentativstichprobe gestellt. Nicht verschwiegen werden sollte, dass Bremen beim Umgang mit Behinderten und mit Alten nicht so vorbildlich dasteht, sondern Indexwerte unter dem Bundesdurchschnitt aufweist, hinsichtlich der Akzeptanz von Behinderten sogar nur auf dem vorletzten Platz liegt. Trotzdem landet es auch hier im Gesamtindex wieder auf einem Medaillenrang, nämlich dem dritten Platz hinter Hamburg und Schleswig-Holstein.

Aber nun endlich zu der Frage: Warum? Warum sind Bremerinnen und Bremer – im Vergleich zu anderen Deutschen – so tolerant und weltoffen, warum ist auch der soziale Zusammenhalt in unserer Stadt so hoch? Der Forscher in mir muss hier betreten schweigen. Als verantwortlicher Wissenschaftler aller oben angesprochenen Studien hätte ich die Chance gehabt, in Bezug auf die Warum-Frage Erhellendes zu ergründen. Mir schien aber die Datenlage zu wackelig. Als Bürger sind mir jedoch in größerem Umfang Spekulationen erlaubt, die einem Wissenschaftler nicht ohne Weiteres zu Gebote stehen.

Warum? Warum sind Bremerinnen und Bremer – im Vergleich zu anderen Deutschen – so tolerant und weltoffen, warum ist auch der soziale Zusammenhalt in unserer Stadt so hoch?

Toleranz und Weltoffenheit fallen nicht vom Himmel, sie sind, so darf man vermuten, Ergebnis einer – wohl Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte alten – Gewordenheit. Die Tradition der Hanse mag in puncto Weltoffenheit eine gewisse Rolle spielen (auch Hamburg steht in allen angeführten Studien immer recht gut da). Wesentlich wichtiger aber scheint mir die politische Tradition der letzten 100 Jahre. Zunächst: Bremen war nie eine Nazi-Hochburg. Sichtbar wurde dies nicht zuletzt dadurch, dass Bremen während der Naziherrschaft zum Reichsgau Weser-Ems gehörte und de facto dem „brauneren“ Oldenburg unterstellt war. Dort saß der Gauleiter.

Nach der Befreiung 1945 bis zum Beginn des Kalten Krieges (1947) bildeten SPD, KPD und die Bremer Demokratische Volkspartei den Senat. Letztere schloss sich 1951 mit der FDP zusammen. Schon damals also ein Bündnis von Arbeiterschaft und Kaufmannschaft, ein Bündnis über vorherige ideologische Zerwürfnisse (SPD/KPD) und über Klassenschranken hinweg.

Dieses Bündnis blieb in Bremen dann ein Modell für weitere mehr als 70 Jahre. Fortwährend stellte die SPD die stärkste Fraktion in der Bürgerschaft und koalierte mit dem liberalen Bürgertum, letzteres Mal in Form der FDP, mal in Form der CDU, und in jüngeren Jahren in Form der Grünen. Auch die Stimmanteile von Parteien links der SPD (DFU, DKP) waren in Bremen durch den gesamten Kalten Krieg hindurch höher als in anderen westdeutschen Ländern. Die Grünen – kein Widerspruch zum vorvorigen Satz – zogen als BGL bereits 1979 in die Bremische Bürgerschaft ein. Die Linke schaffte dann 2007 erstmals nach der deutsch-deutschen Vereinigung den Einzug in ein westdeutsches Landesparlament.

These: Die Tradition der Bündnisse über Milieus hinweg, die Tradition, auf der Basis eines im weitesten Sinne linken Grundkonsenses auch die Interessen der Anderen im Blick zu behalten, ist Grundlage der Spitzenplätze, die Bremen immer wieder in Rankings zur Akzeptanz von Vielfalt belegt. Nicht „arm – aber sexy“ wie Berlin, das in Weltoffenheit und Toleranz erstaunlicherweise regelmäßig hinter Bremen landet, kann der Wahlspruch von Bremen sein. Besser passt wohl Friedrich Schillers „Leben und leben lassen“; „Andersartigem“ immer mit einer wohlwollenden Grundeinstellung begegnen oder eben: „Wir gehör’n zusammen“.

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