Klimaexperte über Artenschutz: „Wir brauchen eine aktivere Politik“

Der Report des UN-Biodiversitätsrates ist alarmierend. Christian Thies, Klimaexperte bei Greenpeace, über Lösungen, die Klima- und Umweltschutz verbinden.

Ein kleiner blau-roter Vogel sitzt auf einem Ast

Der Eisvogel war lange vom Aussterben bedroht – mittlerweile hat sich der Bestand wieder erholt Foto: dpa

taz: Herr Thies, warum ist es so dramatisch, wenn von Millionen Tierarten auf der Erde einzelne aussterben?

Christoph Thies: Das Wissen darüber, wie wichtig eine einzelne Art für das Funktionieren ganzer Ökosysteme ist, ist noch sehr gering. Wir müssen hier das Vorsorgeprinzip anwenden: Im Zweifel zählt jede Art. Wenn, wie vom Report des UN-Biodiversitätsrates IPBES vorhergesagt, in den nächsten Jahrzehnten eine Million Arten aussterben, wäre das ein Achtel der geschätzten Gesamtpopulation. Eine Bedrohung von so vielen Arten hat es seit wir Menschen leben noch nie gegeben.

Welche Bedeutung hat der Bericht für die Weltgemeinschaft?

Er macht deutlich, dass das Ausmaß an Zerstörung von Natur und der biologischen Vielfalt ähnlich alarmierend ist wie die globale Klimakrise. Damit hat der Bericht eine ähnliche Bedeutung wie 2018 der 1,5-Grad-Bericht des Weltklimarats IPCC. Wir hoffen sehr, dass die Ergebnisse ein großer Schritt in Richtung eines globalen Naturschutzabkommens sind, das dann gemeinsam mit dem Pariser Klimaabkommen umgesetzt werden muss.

Kann denn der Einzelne bei Zusammenhängen dieser Dimension mit seinem Vogelfutterhäuschen oder einer Wildblumenwiese im Garten überhaupt noch etwas ausrichten?

Wir sind über sieben Milliarden Menschen auf der Erde. Wie wir uns verhalten, macht in der Summe einen gewaltigen Unterschied. Wir dürfen nicht nur einen Weltraumblick auf die Lage haben, sondern müssen das Globale mit dem Lokalen verbinden. Trotzdem reicht eine Verhaltensänderung des Einzelnen nicht aus. Wir brauchen auch insgesamt eine aktivere Politik.

ist Experte für Wald, Bio­diver­sität, Klima und globale Landnutzung bei Greenpeace.

Wie muss die Bundesregierung jetzt konkret handeln?

Sie muss sich auf jeden Fall dafür einsetzen, dass die Wirtschaft für Naturzerstörung bestraft wird. Subventionen in Land-, Forstwirtschaft und Fischerei dürfen Wälder, Meere und deren Pflanzen und Tiere nicht bedrohen. Stattdessen müssen Anreize für eine natur- und klimaschonende Produktion geschaffen werden. Wir brauchen Lösungen, die gleichzeitig Klima- und Naturschutz verbinden, um CO2-Emissionen am effektivsten einsparen und binden zu können.

Inwiefern wird der Artenschutz-Bericht langfristig bedeutend sein?

Es gibt mehrere Schritte in den nächsten zwölf bis 16 Monaten, für die dieser Bericht entscheidend wichtig ist. Im nächsten Jahr tagt die Biodiversitätskonvention in China, bei der es darum geht, ein möglichst ehrgeiziges internationales Naturschutzabkommen zu verabschieden. Deutschland führt hier für die Europäische Union die Verhandlungen. Zusätzlich werden alle Länder im nächsten Jahr ihre nationalen Beiträge zum Klimaschutz erneuern. Da wird sichtbar, was vom IPBES-Bericht in die Politik umgesetzt wird.

Wer hat jetzt die Verantwortung, Maßnahmen zum Artenschutz umzusetzen?

Der Bericht ist ein Weckruf der Wissenschaftler zum schlechten Zustand unserer Natur und darf auf keinen Fall in den Schreibtischschubladen der Regierungen verschwinden. Er muss als Drehbuch für eine stark veränderte Politik mit mehr Klima- und Naturschutz verwendet werden.

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