: Grüne fordern fixe Entschädigung
Opfer von Medikamentenversuchen nach dem Krieg sollten unbürokratisch Wiedergutmachung erhalten
Die Opfer von Medikamentenversuchen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten müssen nach Ansicht der Grünen im niedersächsischen Landtag schnell und unbürokratisch entschädigt werden. Die damals von Kindern und Jugendlichen erlittenen Qualen und das daraus entstandene Leid seien durch nichts wieder gutzumachen, sagte Fraktionschefin Anja Piel am Donnerstag in Hannover. Umso wichtiger sei es, Täter, Mitwisser und beteiligte Pharmaunternehmen zu identifizieren und nach Möglichkeit noch zur Verantwortung zu ziehen.
Eine aktuelle Studie, die am Donnerstag im Sozialausschuss des Landtags vorgestellt wurde, hat umfangreiche Medikamenten- und Impfversuche an Heimkindern in Niedersachsen zwischen 1945 und 1978 bestätigt. Solche Experimente gab es demnach an den kinderpsychiatrischen Abteilungen des Psychiatrischen Krankenhauses Wunstorf und der Universität Göttingen, der Kinderklinik der Universität Göttingen, den Rotenburger Anstalten und im heilpädagogischen Kinder- und Jugendheim Brunnenhof in Rehburg-Loccum.
Zu den an den Mädchen und Jungen getesteten Substanzen gehörten Neuroleptika, Antidepressiva, Bromverbindungen, Barbiturate, Antiepileptika und Vitaminderivate. Impfversuche fanden unter anderem mit Polioimpfstoffen statt. Wie viele Kinder und Jugendliche konkret betroffen waren, ließ sich nicht genau ermitteln.
„Man kann und darf von Betroffenen, die solches Unrecht als Kleinkinder und Kinder erlebt haben, nicht erwarten, dass sie selbst Beweise erbringen“, sagte Piel. Sinnvoller und sachdienlicher sei es, die Beweislast umzukehren. Denn nicht alles Unrecht sei lückenlos dokumentiert worden, und an nicht jede leidvolle und traumatisierende Erfahrung könnten sich die Opfer lückenlos erinnern. Sozialministerin Carola Reimann (SPD) müsse deshalb unabhängig von weiteren Studien schnell einen Vorschlag machen, wie die niedersächsischen Opfer entschädigt werden könnten, verlangte Piel. (epd)
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