Urteil des Bundesgerichtshofs: Sportlehrer müssen haften
Der Bundesgerichtshof urteilt zu Erster Hilfe im Sportunterricht: Auch bei leichter Fahrlässigkeit haften Sportlehrer. Beweislastumkehr gibt es nicht.
Außerdem klärte der BGH zwei wichtige Rechtsfragen zur Haftung von Sportlehrern bei der Ersten Hilfe: Sie haften auch bei leichter Fahrlässigkeit. Doch die Geschädigten müssen den Zusammenhang zwischen einer Pflichtverletzung des Lehrers und dem Schaden beweisen.
Der damals 18-jährige Sören Z. war 2013 im Sportunterricht zusammengebrochen. Die Sportlehrerin rief den Notarzt, führte aber keine Wiederbelebungsmaßnahmen durch. Als nach acht Minuten der Notarzt eintraf, stellte er bei dem Schüler einen Atemstillstand fest. Er konnte wiederbelebt werden, erlitt jedoch irreparable Hirnschäden und kann seither nicht mehr lesen, schreiben, rechnen oder richtig gehen.
Vater Gerhard Z. hatte das Land Hessen wegen einer Amtspflichtverletzung der Sportlehrerin auf Schadenersatz verklagt. Das OLG Frankfurt hatte die Klage abgelehnt. Zwar gehöre es zur Amtspflicht von Sportlehrern, bei Unfällen Erste Hilfe zu leisten. Es sei aber nicht bewiesen, dass eine rechtzeitige Herzdruckmassage die Hirnschädigung hätte verhindern können.
Gutachten für Ursache der Hirnschäden
Der BGH in Karlsruhe hob das Frankfurter Urteil nun auf und verwies den Fall an das OLG zurück. Dieses muss nun ein Sachverständigengutachten einholen. Damit soll nach Möglichkeit festgestellt werden, wann der Atemstillstand genau eintrat und ob der Verzicht auf Reanimationsmaßnahmen ursächlich für die Hirnschäden war.
Vorsorglich klärte der BGH zwei Rechtsfragen. Erstens: Sportlehrer haften nicht nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit, wie Passanten, die spontan einem Unfallopfer helfen, so der Vorsitzende Richter Ulrich Herrmann. Sportlehrer müssten nicht unvorbereitet eingreifen – sondern seien für die Leistung von Erster Hilfe zuständig und ausgebildet.
Zweitens hat Vater Z. auch im neuen Prozess die Beweislast, dass das Verhalten der Lehrer die Hirnschäden verursacht hat. Die Beweislastumkehr, wie sie für Behandlungsfehler von Ärzten gilt, sei zwar auf Bademeister, nicht aber auf Sportlehrer übertragbar. Für Ärzte und Bademeister sei die Rettung von Leben eine „Hauptpflicht“, für Lehrer dagegen nur eine „Nebenpflicht“.
Die Haftung (schon) für leichte Fahrlässigkeit nutzt Kläger Gerhard Z. Dagegen nutzt der Verzicht auf eine Umkehr der Beweislast dem Land, das bei Amtspflichtverletzung eines Lehrers die Zahlung übernimmt.
Vater Gerhard Z. schöpft jetzt neue Hoffnung, dass sein Sohn doch noch Schadenersatz bekommt. Der „Arbeitskreis Notfallmedizin“ empfahl nach dem Urteil, dass Sportlehrer mindestens alle zwei Jahre in Herz-Lungen-Wiederbelebung und in Erster Hilfe geschult werden sollten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“