[]Das Ende vom Lied

Das EU-Parlament hat diese Woche die umstrittene Urheberrechts-reform beschlossen – nachdem zuvor Zehntausende Menschen dagegen auf die Straße gegangen sind. Und nun?

Sie schaut ins Internet, aber bald nur noch gefiltert? Foto: ZIR/Signatures/laif

Von Svenja Bergt

1 In der Debatte ist häufig von YouTube die Rede. Ich habe aber noch nie etwas bei YouTube hochgeladen. Kann mir die europäische Urheberrechtsreform dann also nicht völlig egal sein?

Nein. Denn erstens betrifft das neue europäische Urheberrecht nicht nur YouTube, sondern sämtliche Internet-Plattformen. Also beispielsweise auch Twitter, Facebook, das freie Medienarchiv Wikimedia Commons oder das Forum, in dem Nutzer:innen Bilder ihrer Inneneinrichtung hochladen. Denn auch hier könnte sich ja ein urheberrechtlich geschütztes Werk, zum Beispiel ein Plakat, prominent im Bild befinden. Ausnahmen für einzelne Pflichten gibt es nur unter einigen Bedingungen – unter anderem wenn der Dienst jünger als drei Jahre ist. Und zweitens betrifft es auch Menschen, die im Netz nur lesen/hören/schauen. Denn was überhaupt seinen Weg ins Internet findet, das dürfte sich mit der Reform stark verändern.

2 Was hat das EU-Parlament also am Dienstag beschlossen?

Eine 32 Artikel umfassende Reform des Urheberrechts. Dabei geht es um Punkte, die wenig für Aufregung gesorgt haben, etwa Data-Mining in der Wissenschaft. Und um zwei umstrittene: Der erste, einigermaßen umstrittene, ist ein spezieller Schutz für Presseveröffentlichungen, ein sogenanntes Leistungsschutzrecht. Das gibt es in Deutschland schon und es hat weder den Verlagen einen Einnahmeschub beschert noch die Suchmaschinen plattgemacht. Der zweite, hoch umstrittene, betrifft die Frage, was passiert, wenn Nutzer:innen urheberrechtlich geschützte Inhalte hochladen. Die Reform ist als Richtlinie verfasst, die Mitgliedsstaaten müssen also noch nationale Gesetze verabschieden, um sie umzusetzen.

3 YouTube zum Beispiel hat urheberrechtlich geschützte Inhalte in der Vergangenheit nur vereinzelt geblockt – warum sollten sie das in Zukunft reihenweise tun?

Weil sie künftig dafür haften. Bislang galt: Wer Inhalte hochlädt, ist in der Haftung, muss also gegebenenfalls zahlen, wenn eine Abmahnung kommt. Die Plattformen mussten lediglich dafür sorgen, dass sie bereits hochgeladene Inhalte entfernen, wenn der:die Rechteinhaber:in sich beschwert. Wenn künftig also statt den Nutzer:innen die Plattformen selbst in der Haftung sind, und zwar noch bevor irgendjemand seine Rechte verletzt sieht, haben sie ein ziemlich großes Interesse daran, mögliche Rechtsverletzungen schon im Vorfeld zu vermeiden. Denn Haftung bei Urheberrechtsverletzungen – das kann, je nach Land, dort geltender Rechtslage und Umfang der Verletzung – durchaus teuer werden.

4 Wird es also Upload-­Filter geben?

Das ist wahrscheinlich. Es sei denn, sämtliche in Europa vertretene Plattformen einigen sich mit sämtlichen Verwertungsgesellschaften – das ist der primäre Wunsch des Gesetzgebers. Oder die Plattformen stellen ein paar Millionen Menschen ein, um hochgeladene Inhalte vor ihrer Veröffentlichung händisch zu prüfen.

Beides ist eher so mittelwahrscheinlich.

5 Bekommen Urhe­be­r:innen dann mehr Geld?

Vielleicht. Nämlich dann, wenn Plattformen und Verwertungsgesellschaften sich einigen. Klappt das nicht, müssen die Plattformen verhindern, dass entsprechende Inhalte hochgeladen werden. Dann bekommen die Künstler:innen also kein Geld – und ihre Werke sind nicht vertreten, egal ob sie das wollen oder nicht. Nicht einmal die SPD-Justizministerin Katarina Barley, die dafür gesorgt hatte, dass die Reform im Rat die Mehrheit erhielt, scheint sicher, dass es mehr Geld für Musiker:innen, Fil­me­macher:innen und andere gibt: „Jetzt geht es darum, die Richt­linie so umzusetzen, dass Künstlerinnen und Künstler tatsächlich davon profitieren“, so Barley nach der Abstimmung.

6 Selbst wenn mittelgute Fotos von Wohnzimmereinrichtungen oder Videos, in denen Freundinnen Lady-Gaga-Songs intonieren, nicht mehr im Netz stehen – warum soll dann die Meinungsfreiheit in Gefahr sein?

Weil YouTube, Twitter und Co eben auch die Medien sind, über die Nutzer:innen zum Beispiel mittels Videos oder Memes Missstände anprangern, politische Entwicklungen kritisieren oder Geschehnisse einordnen, ernsthaft oder satirisch. Und weil Algorithmen – nichts anderes wären Upload-Filter – auch in Zukunft wohl kaum unterscheiden können, ob es sich um eine Urheberrechtsverletzung oder einen Inhalt „zu Zwecken des Zitierens, der Kritik, Rezension, Karikatur, Parodie oder Pastiche“ handelt, die laut Richtlinie ausdrücklich erlaubt sind. Weshalb sie höchstwahrscheinlich auch das noch vor einem Upload hinausfiltern würden.

7 Haben die IT-Konzerne nun verloren?

Allen voran YouTube hatte sich gegen eine Regelung starkgemacht, die auf Upload-Filter hinauslaufen kann. Denn für ein kommer­zielles Videoportal ist es natürlich nachteilig, wenn weniger Material – vor und in das sich Werbung schalten lässt – auf die Plattform gelangt. Andererseits: Werden die Filter nötig, muss sie erst mal jemand entwickeln. Und wer, wenn nicht ein finanzstarker IT-Konzern wie Google, zu dem YouTube gehört, sollte das übernehmen? Und natürlich die Filter-Dienste dann gewinnbringend an andere Plattformen verkaufen.

8 Hat die CDU also das Internet kaputtgemacht?

Kri­tiker:innen der Richt­linie sehen das so. „Lasst euch das Internet doch zumindest erklären, bevor ihr es kaputtmacht“, war eines der Schilder, das auf einer Demo gegen die Reform hochgehalten wurde. Natürlich kann man darüber streiten, ob ein Internet, in dem 93 Prozent aller Nut­­zer:innen die gleiche Suchmaschine verwenden und ein Online-Netzwerk so viele Mitglieder hat wie der europäische und der afrikanische Kontinent Bewohner:innen zusammen, nicht irgendwie schon kaputt ist – auch ohne Upload-Filter. Klar ist aber: Kommen die Filter tatsächlich, dann werden viele Inhalte, die heute noch ganz selbstverständlich im Netz stehen, nicht mehr hochgeladen werden können. Aber natürlich ist nicht nur die CDU schuld, auch wenn deren Verhandler Axel Voss, im EU-Parlament in der EVP-Fraktion, die Federführung hatte. Genauso stimmten die Fraktionen der europäischen Sozialdemokraten und Liberalen überwiegend für die Richtlinie sowie einzelne Abgeordnete der Fraktionen von Grünen und Linken.

9 Die CDU in Deutschland sagt jetzt, sie will die Richtlinie hierzulande ohne die umstrittenen Upload-Filter umsetzen. Was würde sich dann ändern?

Kurz vor Verabschiedung der Richtlinie hat die CDU eine Alternative in die Diskussion geworfen: So sollten unter anderem Uploads unterhalb einer noch zu definierenden zeitlichen Grenze erlaubt sein. Für längere Uploads sollen die Plattformen entweder Lizenzen erwerben können oder die Rech­te­inhaber:innen verlangen eine Löschung oder verzichten auf ihre Rechte. „Alles ohne Upload-Filter“, verspricht das Papier. Die europäischen Kol­­leg:innen der Konservativen ließen sich davon offenbar nicht ausreichend überzeugen, um die Reform noch einmal zu verändern. Und der Europäische Gerichtshof am Ende vermutlich auch nicht: So weit von der Richtlinie abzuweichen dürfte europarechtswidrig sein.

10 Sind dann im Internet alle Witze weg?

Keine Angst, Witze über Axel Voss sind noch da – der schaut eh nicht ins Netz. Sorry, Spaß beiseite. Denn mit Witzen sind ja keine Fritzchen-Witze, sondern beispielsweise Memes gemeint, eine spezielle Art, in einem Bild einen Witz auszudrücken, Paro­dien oder satirische Zusammenschnitte. Vermutlich wird es darauf hinauslaufen, dass in den kommenden Jahren erst einmal die Gerichte einen ganzen Haufen an Fragen werden klären müssen. Zum Beispiel: Wo fängt eigentlich eine Parodie an? Was, wenn ein Upload zu Unrecht verhindert wurde? Oder: Wann hat eine Plattform „alle Anstrengungen unternommen, um die Erlaubnis“ für eine Veröffentlichung einzuholen, wie es in der Richt­linie heißt? Eine Plattform, die keine Lust hat auf teure Prozesse, wird Inhalte im Zweifel lieber blocken. Es könnte also durchaus im Internet weniger witzig werden.

11 Ist das Zensur?

Zensur meint primär einen Eingriff staatlicher Stellen, die zum Beispiel auf Grund von politischen oder religiösen Kriterien das Veröffentlichen von Inhalten untersagen. Werden lediglich Urheberrechtsverletzungen herausgefiltert, ist das noch keine Zensur. Auch wenn in den Filtern allerhand nicht Geschütztes hängen bleibt, ließe sich das schwerlich als Zensur bezeichnen. Dann fielen schon eher die plattform­eigenen Regeln darunter, etwa dass Facebook Nacktheit entfernt. Das hat aber mit der Urheberrechtsreform nichts zu tun.

12 Kann die Richtlinie noch gekippt werden?

Theoretisch ja, wird aber nicht passieren. Zwar muss der Ministerrat den Entwurf noch bestätigen. Doch der Hoffnung, dass die Bundesregierung sich noch in den Weg stellen könnte, erteilte Justizministerin Katarina Barley (SPD) bereits eine Absage.

13 Lassen sich Upload-Filter nicht einfach umgehen?

Klar. Denn mindestens für Länder außerhalb der EU müssen die Plattformen sie nicht anwenden. Ein üblicher Weg, um herauszufinden, wo sich ein:e Nutzer:in befindet, ist die Lokalisierung mittels IP-Adresse. Die lässt sich aber verschleiern – zum Beispiel mittels eines VPN. Entsprechende Dienste gibt es im Internet, einige Browser bringen sie sogar mit, man kann sie aber auch selbst aufsetzen. Der nächste Schritt wäre also: VPN-Dienste verbieten. Das hatte jüngst China gemacht.

14 Welche anderen Möglichkeiten gäbe es, Urheber:innen zu ihren Tantiemen zu verhelfen?

Der populärste Gegenvorschlag ist die Kulturflatrate. Außerhalb des Internets gibt es sie schon heute: Beim Kauf von Mobiltelefonen, USB-Sticks oder Festplatten zahlen Verbraucher:innen indirekt eine Abgabe, die über die Verwertungsgesellschaften an die Urheber:innen fließt. Deshalb ist die Privatkopie erlaubt. Eine vergleichbare Abgabe hätte man auch für Internetanschlüsse festschreiben können.