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„Immer umgab ihn die Aura des Geheimnisvollen“

Vor 50 Jahren starb B. Traven. Sein Biograf Jan-Christoph Hauschild über diesen faszinierenden Autor – und auch seine dunklen Seiten

Interview Tilmann Ziegenhain

Der Schriftsteller B. Traven ist eine der wirklich schillernden Figuren in der deutschen Literaturgeschichte. Um seine Identität rankten lange Zeit vielfältige Spekulationen. Inzwischen scheint geklärt, dass der linksgerichtete Maschinenschlosser Otto Feige sich erst das Pseudo­nym Ret Marut und dann das Pseudonym B. Traven zulegte. Unter dem Autorenamen Traven hat er sehr erfolgreiche Romane geschrieben, unter anderem „Das Totenschiff“ oder „Der Schatz der Sierra Madre“. Am 26. März 1969 ist er in Mexiko-Stadt gestorben. Der Literaturwissenschaftler Jan-Christoph Hauschild hat über Feige/Marut/Traven die Biografie „Das Phantom. Die fünf Leben des B. Traven“ geschrieben (Edition Tia­mat). Aus Anlass des 50. Todestags ein Gespräch über die Faszination an dieser Figur, deren fragwürdige Seiten man nicht übersehen sollte.

taz: Herr Hauschild, sein altes Leben hinter sich lassen und wie B. Traven eine neue Identität annehmen – wahrscheinlich wünscht sich das jeder ab und zu. Sie auch?

Jan-Christoph Hauschild: Nein, Fluchtgedanken bewegen mich nicht. Und für den Identitätswechsel kann man ja ganz einfach einen weiteren E-Mail-Account generieren.

Dann hat Sie tatsächlich nicht das Geheimnis um Travens Identität fasziniert, sondern seine Romane?

Genau. Ich hatte mit elf Jahren die Stern-TV-Doku-Soap „Im Busch von Mexiko“ gesehen und anschließend B. Travens Roman „Das Totenschiff“ gelesen, das damals einen großen Eindruck auf mich machte. Über 40 Jahre später las ich dann die anderen Romane, und zwar wegen meines Umzugs von Düsseldorf nach Bochum und der langen Zugfahrten, die sich daraus ergaben. In den Mexiko-Romanen stieß ich auf merkwürdige Deutschland-Reminiszenzen – „eine Kohlenzeche in Herne“ –, und damit kam der Stein ins Rollen.

Zeit seines Lebens war Traven ein erfolgreicher Schriftsteller, dessen Werk sich millionenfach verkaufte. Doch ein dauerhafter Platz im Kanon der deutschen Literatur sei ihm nicht zuteil geworden, wie Sie schreiben. Könnten Sie noch einmal ausführen, woran das Ihrer Meinung nach liegt?

Die Werke, die unter dem Namen Traven publiziert wurden, spielen – mit Ausnahme des „Totenschiffs“ und „Aslan Norval“ – in Mexiko. In der deutschsprachigen Literatur aber gilt das Exotische als Urgrund des Trivialen. Was ja auch ganz überwiegend zutrifft, denken Sie nur an E. F. Löhndorff, dessen Abenteuerromane etwa zur selben Zeit wie die von Traven erschienen. Der Grund ist vielleicht darin zu sehen, dass Deutschland keine qualitativ hochwertige Kolonialliteratur hervorgebracht hat wie etwa Frankreich oder England. Reich-Ranicki hat es ja mal in bewunderungswürdiger Offenheit gesagt: „Ich will keinen deutschsprachigen Roman lesen, der in Istanbul spielt.“ Noch weiter weg war für ihn anscheinend unvorstellbar.

Der BBC-Journalist Will ­Wyatt hat nach Recherchen in Akten der amerikanischen und britischen Außenministerien und Interviews mit Travens Geschwistern in Deutschland bereits 1978 nachgewiesen, dass hinter B. Traven der deutsche Maschinenschlosser und Gewerkschaftssekretär Otto Feige steckte. Welche neuen Erkenntnisse können Sie mit Ihrer Biografie hinzufügen?

Die Erinnerungen der Geschwister brachen etwa 1904 ab, als er das Elternhaus verließ. Dann hörten sie erst wieder 1924 von ihm. Das erste Auftreten des Schauspielers Ret Marut ließ sich für 1908 nachweisen. Einer der Einwände gegen ­Wyatts These lautete, dass es zwischen dem Maschinenschlosser Otto Feige und dem Schauspieler und Anarchisten Ret Marut keine Verbindung gebe. Diese kleine Lücke zwischen etwa 1904 und 1908 konnte ich schließen: Otto Feige ging Ende 1903 oder Anfang 1904 nach Magdeburg, war dort als Sozialdemokrat und Gewerkschafter aktiv, betätigte sich als Schauspieler, hielt Vorträge über Anarchismus, ging 1906 nach Gelsenkirchen, war dort Geschäftsführer der Metallarbeitergewerkschaft, etablierte ein musikalisch-literarisches Kulturprogramm, gründete einen Theaterklub, verließ Gelsenkirchen im Herbst 1907, legte seinen Namen ab und erhielt kurz darauf unter der Identität von Ret Marut sein erstes Engagement. Das waren genau die Bindeglieder, die noch fehlten, um die Sache wasserdicht zu machen. Außerdem haben von Wyatt veranlasste biometrische Untersuchungen an Fotos von Feige, Marut und Traven eine Übereinstimmung der Gesichtsgeometrie ergeben. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich nicht um ein und dieselbe Person handelt, liegt bei eins zu einigen hundert Millionen.

Der Biograf

Jan-Christoph Hauschild, 1955 geboren, beschäftigt sich außer mit B. Traven mit einer ganzen Reihe großer deutschsprachiger Autoren. Über Georg Büchner promovierte er. Biografien schrieb er auch über Heiner Müller und (mit Michael Werner) über Heinrich Heine. Außerdem gibt es von ihm Bücher über nicht ganz so bekannte Autoren wie Ludwig Kunze und Werner Steinberg.

Bevor Otto Feige zum Schriftsteller B. Traven wird, erfindet er also zunächst den Schauspieler Ret Marut. Sie schreiben, dass seinem Wunsch nach Selbstverwirklichung nur der Widerstand im Weg gestanden habe, der sich aus der Kenntnis seiner Vergangenheit speiste. Was genau müssen wir uns darunter vorstellen? Ein proletarischer Hintergrund war Anfang des 20. Jahrhunderts doch kein Hindernis für eine Künstlerkarriere, oder?

Ganz im Gegenteil. Viele Schauspieler wählten ein Pseudonym und erfanden sich eine künstlerische oder sogar adelige Herkunft. Aber Traven legte als Schauspieler ja einen veritablen Kaltstart hin, ganz ohne Zeugnisse irgendeiner Bühne. Buchstäblich von einem Tag auf den anderen verwandelte sich der bisherige Maschinenschlosser und Gewerkschaftsbeamte in einen Schauspieler. In Idar, heute Idar-Oberstein, machte er sich durch seinen Namen und seine amerikanische Herkunft interessant, akzeptierte die Konditionen, sprach vor und wurde engagiert – zwar nur von einer Provinzbühne vierter Kategorie, einem Gasthoftheater, aber das war der Anfang und zuletzt war er immerhin am Schauspielhaus Düsseldorf, wenn auch nur als Kleindarsteller. Und immer umgab ihn diese Aura des Geheimnisvollen, von der er zweifellos erheblich profitierte.

Auch unter seinem späteren Namen Traven umgab ihn diese Aura. Was war der entscheidende Grund für diese Geheimnistuerei: Wollte er seine Ruhe haben, wie er mehrfach betonte, oder befürchtete er, seine Werke würden sich nicht gut verkaufen, wenn seine wahre Identität ans Licht kommt – oder war es eine Mischung aus beidem?

Was seine Romane angeht, wollte er damit punkten, dass alles wahr und selbsterlebt sei. Er kannte natürlich Karl May, dem der Beweis des Gegenteils zum Verhängnis geworden war. Und er hatte große Konkurrenz durch andere Abenteuerschriftsteller, die ihre Reisen nur im Kopf machten. Von denen wollte er sich absetzen. Zudem war der Name Ret Marut gewissermaßen verbrannt, weil er darunter ganz überwiegend drollige Kurzgeschichten veröffentlicht hatte. Auch seine Bühnenkarriere und die anschließende Tätigkeit als politischer Publizist in München passten nicht zu seiner Legende als schriftstellernder Prolet. Vom Marketing her betrachtet, war es klug, einen Neuanfang als unbeschriebenes Blatt zu wagen.

In Ihrer Biografie zeigen Sie auch die Schattenseiten eines Autors, der sich in seinen Romanen und Erzählungen immer auf die Seite der Armen, Schwachen und Unterdrückten gestellt hat. So werden Fans enttäuscht zur Kenntnis nehmen müssen, dass Traven nicht nur hin und wieder abgeschrieben hat, sondern auch nicht frei von rassistischen Vorurteilen war, vor allem gegenüber Farbigen und Juden.

Rassismus und Antisemitismus waren auch unter sozialistischen Dichtern und Denkern weit verbreitet. Selbst Marx und Engels sind nicht frei von derartigen Vorurteilen. Und enttäuscht muss nur der sein, der gehofft hat, sein Lieblingsautor oder seine Lieblingsautorin sei zu seiner beziehungsweise ihrer Zeit ebenso einsichtig gewesen wie man selbst heute ist. Der Kampf gegen das eine Vorurteil, gegen die eine Ungerechtigkeit, macht uns nicht automatisch sehend für das andere Vorurteil, die andere Ungerechtigkeit.

Ungerecht verhielt Traven sich mitunter auch gegenüber seinen Nächsten: So erreicht ihn 1948 ein Brief seiner mittlerweile 36-jährigen Tochter, die sich nach dem Vater sehnt. Sie hatte in einer Zeitung von der Vermutung ehemaliger Weggefährten aus der Münchner Räterepublik gehört, hinter Traven stecke der Revolutionär Ret Marut, mit dem ihre Mutter zehn Jahre liiert war. Traven reagiert kühl und antwortet der „Lady“ auf Englisch – seiner angeblichen Muttersprache –, sie könne allein deshalb nicht seine Tochter sein, weil er 1912 Dienst für die US-Handelsmarine im Pazifik getan habe. Kann es sein, dass Traven trotz seiner anarchistisch-sozialistischen Überzeugung ein empathieloser Egoist war?

Wahrscheinlich. Aber das ist kein Maßstab, mit dem man Schriftsteller beurteilen sollte. Hinter den meisten hochkreativen Persönlichkeiten tun sich seelische Abgründe auf. Die wenigsten Schriftsteller sind glückliche Menschen. Das ist halt so. Die Fähigkeiten, die einen zu einem Schriftsteller von Rang machen, sind nicht dieselben, die angenehmes Sozialverhalten erzeugen.

Hinter den meisten hochkreativen Menschen tun sich seelische Abgründe auf

Ist Wahrhaftigkeit der richtige Maßstab? Wenn ja, würde Traven auch dabei nicht gut abschneiden; denn er hat zwar alles versucht, um seine Geschichten als wahre Begebenheiten zu verkaufen, doch das meiste kannte er nur vom Hörensagen – wenn es nicht frei erfunden war, wie das Ritual vom Feuerstuhl für neugewählte Bürgermeister oder jenes, das im mexikanischen Dschungel zur Suche Ertrunkener abgehalten würde. Die Indianer, so schildert es Traven in der Novelle „Die Brücke im Dschungel“, würden eine Kerze auf ein Brett stellen und es auf dem Wasser treiben lassen. Wo es stehenbleibe, liege der Ertrunkene. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um norddeutschen Volksglauben. Sie werfen Traven deswegen sogar literarischen Kolonialismus vor – ist das nicht übertrieben?

Kolonialismus meint zunächst einmal Besetzung und Beherrschung des Anderen, des Fremden. Genau das tut Literatur, wenn sie sich nicht darauf beschränkt, zu beobachten und zu beschreiben, sondern dem Fremden etwas zuweist, aufpfropft, im Fall des mystischen Suchrituals sogar das Eigene für das Fremde ausgibt. Im Fall des Feuerstuhls ist es noch verwerflicher, weil Traven hier eine Allegorie dichtet und sie ohne Augenzwinkern als Wahrheit ausgibt. Wenn sein Mantra lautet, seine Bücher seien eigentlich keine Romane, sondern Dokumente, dann darf er sich keine exotischen Zeremonien ausdenken und den Indígenas unterjubeln.

Und wie ist vor diesem Hintergrund zu erklären, dass Traven in Mexiko offensichtlich sehr geschätzt wird? So erklärte sogar der mexikanische Präsident nach Travens Tod, niemand hätte mit so umfassendem Wissen über Land und Leute geschrieben wie er.

Dieser Präsident trägt übrigens zugleich die Verantwortung für den Massenmord an friedlich demonstrierenden Studenten in Mexiko-Stadt. 1968 war das, kurz vor Beginn der Olympischen Spiele. Gegen die Einschätzung als solche ist aber nichts zu sagen. Es gab sicher noch bessere Kenner von Land und Leuten als ihn. Aber als Romancier, dessen Mexiko-Romane in die wichtigsten Weltsprachen übersetzt wurden, hatte er zu seiner Zeit wenig Konkurrenz. Dass sie faktisch nicht so korrekt waren, wie er nicht müde wurde zu versichern, tat seinem Erfolg keinen Abbruch.

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