Bluttest in der Schwangerschaft: Eine umstrittene Entscheidung

Hat ein Ungeborenes das Downsyndrom? Ein Bluttest für werdende Mütter soll Kassenleistung werden – aber nur für Risikoschwangere.

Ein Arzt schaut sich einen Ultraschall an

Betroffene und Behindertenverbände protestierten gegen das Stellungnahmeverfahren Foto: imago/Martin Bäuml Fotodesign

BERLIN taz | Vor fünf Minuten hat Lisa-Marie P. unterschrieben, vor sieben Minuten Tina S., vor einer Stunde Tim S. Sie unterschreiben die Internetpetition „Menschen mit Down-Syndrom sollen nicht aussortiert werden“. Mehr als 1.500 Leute haben schon unterzeichnet.

Die 20-jährige Natalie De­dreux, die selbst das Downsyndrom hat, startete die Petition. Sie fordert, wie andere Aufrufe auch, dass ein umstrittener Bluttest bei Schwangeren zur Dia­gnose des Downsyndroms keine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen werden soll.

Der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA, in dem Vertreter der Ärzte und Krankenkassen sitzen, beriet am Freitag genau darüber – ob nämlich die sogenannte nichtinvasive Pränataldiagnostik (NIPT) bei Risikoschwangerschaften künftig von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt werden soll. Nach den Beratungen leitete der Bundesausschuss am Freitag formell das sogenannte Stellungnahmeverfahren zu den geplanten Anwendungsmöglichkeiten des Tests ein.

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Wissenschaftliche Fachgesellschaften, die Bundesärztekammer, der Deutsche Ethikrat, die Gendiagnostik-Kommission und zahlreiche weitere Organisationen seien nun aufgefordert, die vorgesehenen Änderungen der Mutterschaftsrichtlinien fachlich zu prüfen, hieß es in der am Freitag veröffentlichten Erklärung des G-BA.

Angesichts der Risiken der bisherigen ­kassenfinanzierten invasiven Untersuchungen sehe der G-BA eine „Anerkennung der NIPT“ als „im Einzelfall mögliche Leistung im Rahmen der Schwangerenbetreuung als medizinisch begründet an“, sagte Josef Hecken, Vorsitzender der G-BA, am Freitag. Es gehe „ausdrücklich um die Anwendung des Tests bei Schwangerschaften mit besonderen Risiken“ und „nicht um eine Reihenuntersuchung aller Schwangeren“. Ein ausschließlich statistisch begründetes Risiko der Trisomie 21, also des Downsyndroms, ­beispielsweise aufgrund des Alters der Schwangeren, sei nicht ausreichend, um den Test zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen zu können, hieß es in der weiteren Erklärung des Ausschusses.

Der Test, auch Praena-Test genannt, wird bisher schon in Praxen der Frauenärzte angeboten, wenn Schwangere dies wünschen. Er muss allerdings von den Frauen privat bezahlt werden und kostet ab 130 Euro aufwärts, je nach Umfang.

Der Bluttest

Seit 2012 gibt es den NIPT-Bluttest zur Bestimmung des Risikos von Trisomie 21 (Downsyndrom), Trisomie 13 und Trisomie 18. Dabei wird das Blut der Mutter getestet. Die Tests werden bisher von den Schwangeren privat bezahlt und kosten ab 130 Euro aufwärts. Die Kassen zahlen bisher nur andere Gentests, die Fruchtwasseruntersuchung und die Chorionzottenbiopsie, die als risikoreicher für den Fetus gelten.

Was sind die Folgen?

Behindertenverbände beobachten, dass es immer weniger Kinder mit Downsyndrom gibt, wohl auch infolge der verbesserten Diagnostik. Genaue Zahlen gibt es aber nicht.

Verbände befürchten, dass durch den kassenfinanzierten Bluttest Feten künftig noch stärker schon vor der Geburt „aussortiert“ werden könnten. „Die grundsätzliche Position der Lebenshilfe ist, dass der Test nicht zu einer Kassenleistung werden sollte“, erklärte Peer Brocke, Sprecher der Bundesvereinigung Lebenshilfe, im Gespräch mit der taz. Allerdings gebe es Stimmen innerhalb der Lebenshilfe, die den Bluttest bei Risikoschwangeren als Kassenleistung nicht ablehnen würden, so Brocke.

Vor allem fürchtet man einen wachsenden Rechtfertigungsdruck auf Familien mit behinderten Kindern, sollten die Bluttests eine verbreitete Vorsorgemaßnahme werden. Diese Eltern „werden auf der Straße oder beim Einkaufen ganz regelmäßig gefragt, ob sie ‚es‘ denn nicht gewusst hätten. Klares Si­gnal dafür, dass zum einen die Diagnose einer Trisomie-21-Behinderung vor der Geburt eigentlich selbstverständlich ist und als Konsequenz daraus ‚selbstverständlich‘ ein Schwangerschaftsabbruch erwartet wird“, heißt es in einer Stellungnahme der Lebenshilfe.

Kein unmittelbares Risiko für den Fetus

Dies kann auch Heike Meyer-Rotsch bestätigen, Vorsitzende des Vereins downsyndromberlin e.V. und Mutter eines Jungen mit Downsyndrom. Der „Rechtfertigungsdruck“, den Eltern eines Kindes mit Trisomie 21 jetzt schon verspürten, würde „noch verstärkt, wenn der Test Kassenleistung wird“, sagte sie der taz. Überall, auf Spielplätzen etwa, würden die Eltern mit der Frage konfrontiert, ob sie von der Behinderung nicht vorher hätten wissen können. „Dahinter steckt doch die Frage: Wäre es nicht besser, dein Kind wäre tot?“, so Meyer-Rotsch. Der Verein ist grundsätzlich dagegen, dass der Bluttest Kassenleistung wird.

Natalie Dedreux erklärt in ihrer Petition: „Mein Leben mit Downsyndrom ist cool. Aber ich habe Angst, dass es weniger Menschen mit Downsyndrom geben wird, wegen dem Bluttest.“

Hecken hatte zuvor schon in einem Interview mit dem Nachrichtendienst epd betont, der Test sei vor allem eine „Alternative zu bestehenden Untersuchungsmethoden, die mit großen Risiken für Mutter und Kind behaftet sind“. Das Downsyndrom konnte man vor Einführung des Tests 2012 in der vorgeburtlichen Diagnostik nur durch die Chorionzottenbiopsie oder durch die Amniozentese, die Fruchtwasseruntersuchung, diagnostizieren.

Dabei kann der Fetus aber geschädigt werden. Bei 0,5 bis 1 Prozent der Schwangerschaften kam es dadurch zu Komplikationen für den Fetus, bis hin zur Fehlgeburt. Beim Bluttest wird nur Blut von der Mutter entnommen, ohne unmittelbares Risiko für den Fetus. Allerdings gibt es dabei auch falsch positive und falsch negative Ergebnisse.

Verbände befürchten, dass durch den kassenfinanzierten Bluttest Feten künftig noch stärker schon vor der Geburt „aussortiert“ werden könnten

Gefahr eines „subtilen gesellschaftlichen Drucks“

Hecken berichtete, viele Frauen und Paare, selbst wenn sie wenig Einkommen hätten, bezahlten den Test schon heute aus eigener Tasche. Er sehe aber auch die Gefahr, dass es einen „subtilen gesellschaftlichen Druck zu einem Screening“ geben werde und dass „Eltern behinderter Kinder gefragt werden: Wieso habt ihr den Test nicht gemacht?“

Der Gemeinsame Bundesausschuss habe das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen beauftragt, eine Versicherteninformation zu dem Thema zu erarbeiten. Darin, so Hecken, müsse „alles zur Sprache kommen, was auch in einer Schwangerschaftskonfliktberatung gesagt wird: Was ist eine Trisomie, welche Hilfen gibt es für das Kind und die Eltern, welche Einschränkungen kann das Kind haben, welche nicht?“ Auch die Frage: „Will man testen lassen?“

Wenn die Stellungnahme vorliegt, will der G-BA voraussichtlich im August 2019 abschließend entscheiden. Ein Gesetzesverfahren gibt es dazu nicht. Im Bundestag ist aber im April eine „Orientierungsdebatte“ zu dem Thema geplant.

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