Kommentar Europawahl-Kandidatin: Keine aus der Klüngelecke

EU-Wett­bewerbskommissarin Margrethe Vestager ist unbequem. Mächtigen gegenüber teilte sie oft aus. Ihre Präsidentschaft wäre ein Glücksfall.

Margrethe Vestager, dahinter eine EU-Flagge

In ihrem Büro steht eine Mittelfinger-Skulptur: Margrethe Vestager Foto: dpa

Kaum ein Porträt der EU-Wett­bewerbskommissarin Margrethe Vestager kommt ohne die Hand aus. In ihrem Büro, so heißt es, steht die Skulptur einer Hand mit Stinkefinger.

Es passt ja auch: Als gigantischen Mittelfinger müssen viele mächtige Menschen Vestagers Arbeit als Kommissarin empfunden haben. Google etwa, dem die EU-Wettbewerbshüter gleich dreifach eine Milliardenstrafe aufbrummten, zuletzt am Mittwoch. US-Präsident Donald Trump, der Vestager einmal die „tax lady“ nannte und behauptete, sie hasse die Vereinigten Staaten. Oder Deutschland und Frankreich, die erbost über das EU-Verbot der Siemens-Alstom-Fusion sind.

Aber genau das macht ja die Anziehungskraft der 50-jährigen Dänin aus: In ihrer Person zeigt sich die handelnde EU, die gegen Widerstände auch aus der Wirtschaft die eigenen Regeln durchsetzt – der Teil Brüssels, den viele Skeptiker nicht sehen wollen. Die Kommissarin hat bewiesen, dass sie Gegenwind aushalten kann. Dass sich Vestager auf die Nachfolge von Kommissionschef Jean-Claude Juncker bewirbt, ist deshalb ein Glücksfall.

Obwohl Vestager in Junckers Team gearbeitet hat, die EU und ihr Spitzenpersonal kennt, gehört sie nicht zur konservativen Klüngelecke, in die EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber nur allzu leicht zu stecken ist. Der konnte sich ja nicht einmal dazu durchringen, gegenüber der Fidesz-Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán klare Kante zu zeigen und offensiv für einen Ausschluss aus seiner Europäischen Volkspartei einzutreten.

Endlich eine Frau

Da hat die Dänin Vestager es leicht, als erfrischendes Gegenteil zu wirken. Ob sie es schafft, sich bis an die Spitze der Kommission durchzusetzen? Das ist zu bezweifeln. Dabei wäre es – auch das ist ein Argument – längst Zeit, endlich mal eine Frau im Brüsseler Chefsessel sitzen zu sehen und so zu zeigen, dass auch die EU gesellschaftliche Entwicklungen nicht verschläft.

Es wäre außerdem wahrlich ein Verlust für die EU, wenn sie auf Vestager verzichten müsste – denn auch einen anderen Spitzenjob hätte die Wettbewerbskommissarin trotz ihrer Qualifikationen nicht automatisch in der Tasche. Für einen weiteren Posten in der nächsten Kommission etwa müsste sich schließlich der dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen für sie einsetzen und der gehört einer anderen Partei als Vestagers Radikale Venstre an.

Bei all ihren Erfolgen müsste sich Dänemarks frühere Wirtschafts- und Innenministerin eindeutiger ökologisch und sozial positionieren, damit sie die Unterstützung von mehr EU-ParlamentarierInnen auf sich vereinen könnte. Denn zurück zum Stinkefinger: Den soll ihr einst eine Gewerkschaft übergeben haben, unzufrieden mit ihrer harten Reform der dänischen Sozialleistungen.

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*1985, seit November 2017 Redakteurin für europäische und globale Politik im taz-Auslandsressort. Hat seit 2014 immer mal wieder für die taz gearbeitet, meistens für das Ressort Wirtschaft und Umwelt, und schreibt gern über die EU und über Entwicklungspolitik.

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