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Abgang im milden Abendlicht

Am Tag eins nach dem angekündigten Rückzug von Sahra Wagenknecht setzt die Linkspartei auf Schadensbegrenzung. Manchen scheint ihr Abgang leidzutun

Aus Berlin Stefan Reinecke

Wenn man genau hinschaut, sieht man Sahra Wagenknecht an, dass sie krank war. Das Gesicht ist hagerer. Kurz vor der Fraktionssitzung steht sie vor Kameras und Fotografen, an ihrer Seite Dietmar Bartsch. Schon das ist ein Zeichen: Es heißt – wir gemeinsam.

Wagenknecht versucht die Wogen zu glätten. Auf die Frage, ob sie sich gemobbt gefühlt hat, antwortet sie ausweichend – kein Nachtreten. „Ich bin erleichtert, wie die Entscheidung von der Partei aufgenommen wurde“, sagt sie. Die dreieinhalb Jahre an der Fraktionsspitze mit Dietmar Bartsch seien „auch persönlich bereichernd“ gewesen. Nun freue sie sich, wieder mehr schreiben zu können. Sie freue sich auch auf die Fraktionssitzung, in der junge Leute von Fridays for Future zu Besuch sind. Man müsse ja „endlich die ökologische Herausforderung ernst nehmen“, sagt sie.

Sahra Wagenknecht scheint ganz eins mit sich zu sein. Sie hat cool mit diesem Kapitel abgeschlossen. Der Stress, die Kämpfe, die Häme, die Krankheit, alles scheint im Rückblick wie von mildem Abendlicht beschienen. So will sie wirken – entspannt. Dass sie exakt 20 Jahre nachdem Oskar Lafontaine als SPD-Chef spektakulär zurückgetreten war, ihren Rückzug verkündete hatte, sei kein dramatisches Zeichen gewesen. Das Datum, sagt sie lächelnd, „war ein blöder Zufall“. Und sie werde sich ja nicht, wie Lafontaine 1999, völlig zurückziehen, sondern ihr Bundestagsmandat behalten.

Die Frage lautet: Was nun? Am Tag eins danach hat keiner einen Plan. In den nächsten Tagen wird beraten, wann die Neuwahl der Fraktionsspitze passieren soll. Erst im Herbst, nach den Wahlen in Thüringen, um zu verhindern, dass Machtkämpfe die Wahlen erschweren? Oder schnell, um klare Verhältnisse zu schaffen?

Nach Wagenknechts Abgang wird es neue Friktionen und neue Bündnisse geben

Einige Reformer setzen auf Bartsch als alleinigen Fraktionschef. Dafür spricht, dass er sich in den Konflikten zwischen Wagenknecht und der Parteispitze flügelübergreifend einen exzellenten Ruf als Moderator verdient hat. Dagegen spricht, dass es schon außergewöhnliche Umstände braucht, um die Quote auszuhebeln. Aber es gibt keine ausgereiften Pläne, nur Ideen. Bartsch versucht eine klare zeitliche Linie zu ziehen: der 23. Mai, wenn in Bremen, ostdeutschen Kommunen und Europa gewählt wird. „Wir sind bis dahin der Fraktionsvorstand“, so Bartsch. 2019 sei, mit den Wahlen in Ostländern, ein Schlüsseljahr für die Linkspartei, dazu habe „man sich zu verhalten“. Wagenknecht, die sonst oft Scharfe, klingt ganz mild. Bartsch, der Verbindliche, hört sich an wie ein Lehrer, der Disziplin fordert.

Am Tag eins danach sind alle eher nachdenklich. Eine entschiedene Parteilinke und Gegnerin von Wagenknecht findet, dass es ohne Wagenknecht auch nicht einfach werde. Man müsse nun die Lücke füllen, die sie hinterlasse. Es klingt etwas ratlos. Wagenknecht war wie ein Magnet, der manche Teile angezogen, andere abgestoßen hat. Die politischen Flügel und Grüppchen werden sich ohne sie nun neu sortieren. Es wird Friktionen und neue Bündnisse geben – auch das Kipping-Lager ist eine Koalition von sehr unterschiedliche politischen Kräften, die auch durch ihre Gegnerschaft zu Wagenknecht zusammengehalten wurden. Wenn der äußere Gegner plötzlich zurückzieht, setzt das oft innere Fliehkräfte frei.

Wagenknecht sagt, dass sie in den kommenden Wahlkämpfen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen Termine wahrnehmen werde. Das wäre das gute Ende dieses Stücks: Wagenknecht bleibt das Talkshow-Gesicht der Linkspartei, füllt weiter Säle in der Provinz – ohne Führungsjob in Fraktion und ohne Groll. Viel wird davon abhängen, ob sie bleibt, wie sie an diesem Dienstagmittag zu sein scheint: entspannt über den Dingen stehend und im Reinen mit sich. Oder ob sie demnächst doch noch offene Rechnungen begleicht.

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