Lehrerverbandschef zu Fridays for Future: „Feigheit vor der Sympathiewelle“

Merkels Lob an den Fridays-for-Future-Demos sei Heuchelei, sagt Heinz-Peter Meidinger. Für die Schülerproteste fordert er einen politischen Rahmen.

Jugendlich auf einer Klimademo, sie strecken die Innenhand nach vorn, auf ihnen steht: "Our Future" und "In your hands"

Für ein besseres Klima: Fridays-for-Future-Demo am 15. März in Berlin Foto: reuters

taz: Herr Meidinger, am vergangenen Freitag erreichten die Fridays-for-Future-Proteste ihren vorläufigen Höhepunkt. Allein in Deutschland gingen geschätzt 300.000 SchülerInnen auf die Straße …

Heinz-Peter Meidinger: Nach Angaben der Veranstalter! Laut Polizei waren es vielleicht die Hälfte …

Auf jeden Fall waren es so viele wie nie. Wie sah das an Ihrer Schule im niederbayerischen Deggendorf aus?

In Deggendorf gibt es seit Januar regelmäßige Fridays-for-Future-Demonstrationen. Als das anfing, sind meine Schüler zu mir gekommen und haben gesagt: Herr Meidinger, wir gehen zu der Demo. Wie gehen Sie damit um?

Was haben Sie geantwortet?

Ich kann es euch nicht erlauben, allein wegen der Aufsichtspflicht. Ich komme euch jetzt aber auch nicht mit Sanktionen, zumindest nicht beim ersten Mal. Aber ihr müsst den Stoff nachholen und das selbst organisieren. Ich gebe auf jeden Fall keine Dauerbefreiung für Freitag.

Anderen Schulen haben Sie beim Thema Schulschwänzen „pädagogisches Fingerspitzengefühl“ empfohlen. Wie handhaben Sie das bei denen, die jeden Freitag fehlen?

Das ist an unserer Schule nicht passiert. Die niederbayerischen Schüler sind ja brav. Ich musste bisher also keine einzige Schulstrafe verhängen. Wenn jemand aber regelmäßig nicht zum Unterricht kommt, muss die Schule natürlich anders reagieren. Zum Fingerspitzengefühl gehört meiner Meinung nach, dass die Kinder wissen, was auf sie zukommt. Das Problem ist ja, dass jede Schule anders mit den Klima-Demos umgeht.

geboren 1954, ist seit 2017 Präsident des Deutschen Lehrer­verbands. Zuvor war er Bundesvorsitzender des Deutschen Philologen­verbands. Hauptberuflich leitet er das Robert-Koch-Gymnasium in Deggendorf, Bayern.

Der bayerische Kultusminister Piazolo lehnt es wie viele seiner KollegInnen ab, den Schulen beim Umgang mit den Freitags-Demos Vorgaben zu machen. Fühlen Sie sich als Buhmann, der auf die Schulpflicht pochen muss?

Genauso ist es! Ich bin ein großer Anhänger davon, dass Schulen selbstständig Entscheidungen treffen. Aber in dem Fall muss die Politik einen Rahmen vorgeben, sonst wird es auch ungerecht für einzelne Schüler, die Glück oder Pech haben. Je nachdem ob sie eine strenge Schulleitung haben oder eine, der alles egal ist. Dass sich viele Schulminister vor einer klaren Vorgabe zur Schulpflicht drücken, ist politische Feigheit vor der Sympathiewelle, die die Schülerdemos in der Öffentlichkeit erfahren.

Anfang der Woche haben Sie von Heuchelei gesprochen. Wen meinen Sie?

Allen voran die Bundeskanzlerin, die für die Klimapolitik der Bundesregierung verantwortlich ist und die Schüler für ihren Protest lobt, als hätte er nichts mit ihr zu tun. Das ist für mich heuchlerisch.

Teilen Sie die Meinung von FDP-Chef Lindner, dass SchülerInnen so ein komplexes Thema wie den Klimawandel den Profis überlassen sollten?

Herrn Lindner mache ich den Vorwurf, dass er nicht auf Augenhöhe mit den Schülern gesprochen hat. Man muss diese Proteste und die Anliegen der Jugendlichen ernst nehmen. Aber seine Einschätzung, dass die Materie sehr komplex ist und nicht einfach mit einem Ja oder Nein zu beantworten ist, teile ich.

Das Argument der SchülerInnen ist: Was interessiert uns der Mathe-Unterricht, wenn die Zukunft des Planeten bedroht ist?

Mit diesem Argument kann man die Schule gleich ganz abschaffen … Persönlich kann ich das Anliegen gut verstehen. Ich bin auch der Auffassung, dass Deutschland und jeder Einzelne von uns mehr für den Klimaschutz machen könnten. Wenn aber die Schulen die Neutralitätspflicht aufgeben, kommen wir in Teufels Küche. Wenn Sie jede Demo danach beurteilen müssen, ob die Gesinnung stimmt, wird es bedenklich. Wir haben hier in Deggendorf ein Ankerzentrum. Wenn dann demnächst AfD-nahe Eltern ankommen und ihr Kind für eine Anti-Asyl-Demo befreien wollen, soll ich dann sagen: Das erlaube ich nicht, weil es meiner politischen Auffassung nicht entspricht?

Aber geht es nicht um mehr? Sie beklagen ja selbst, dass die politische Bildung an den Schulen zu kurz kommt.

Das stimmt. In manchen Bundesländern fängt der Politikunterricht erst in der 9. Klasse an. Und im Vergleich zu anderen Fächern sind dafür eher wenige Stunden vorgesehen. Aber die Demos können den Unterricht ja nicht ersetzen. Ich habe selbst am Rande einer Demo in Berlin erlebt, dass bei den Schülern noch erheblicher „Fortbildungsbedarf“ besteht. Da wurde nicht groß unterschieden zwischen den Wirkungen von CO2, Feinstaub und Ozon. Wer nichts weiß, muss vieles glauben. Deshalb ist der Unterricht nach wie vor so wichtig: Er schafft das grundlegende Wissen für die politische Willensbildung.

Mit Verlaub: Lehrt die Realität nicht gerade, dass es andersherum ist? Wegen der Klima­streiks beginnen die SchülerInnen ja erst, sich mit aktuellen politischen Themen zu beschäftigen. Oder nehmen Sie an Ihrer Schule die Empfehlungen der Kohlekommission durch?

Sie haben recht in dem Punkt, dass im Unterricht oft zu wenig Raum für politische Debatten ist. Umgekehrt erwarte ich aber von guten Lehrkräften – und von denen haben wir Gott sei Dank viele –, dass Sie nicht nur den Stoff des veralteten Buches behandeln, sondern auch aktuelle Themen aufgreifen, die die Schüler interessieren. Es gibt bestimmt aber auch ängstliche Lehrkräfte, die politische Debatten meiden. Das halte ich aber für falsch. Ich bin Sozialkundelehrer und gebe Ethik. In der letzten Stunde ging es im Lehrplan um die aktive Bürgergesellschaft. Völlig klar, dass wir da kontrovers und lebendig über „Fridays for future“ diskutiert haben.

Mit welchem Schluss? Dass es mitunter geboten sein kann, sich über bestehende Regeln hinwegzusetzen?

Ich habe große Probleme mit solchen Ableitungen. Natürlich gibt es in Ausnahmefällen das ethisch begründete Gebot, Gesetze zu brechen. Die Grenzen dafür würde ich aber sehr eng setzen.

Später wird man vielleicht einmal sagen: Hätte Greta Thunberg nicht monatelang die schwedische Schulpflicht missachtet, wäre der entscheidende Impuls für den Klimaschutz möglicherweise ausgeblieben.

Das muss sich erst noch zeigen. Auf jeden Fall kann es nicht monatelang so weitergehen mit dem Unterrichtsausfall. Ich erwarte, dass sich die Schülerinnen und Schüler, die es ernst meinen mit dem Klimaschutz, irgendwann auch in Verbänden und Parteien engagieren.

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