Kommentar Ende Wahlrechtsausschluss: Kein „Wähler-TÜV“ für niemanden
Niemand darf wegen einer Erkrankung oder kognitiven Behinderung vom Wählen ausgeschlossen werden. Eine überfällige Entscheidung.
Freie Wahl für alle: Laut Bundesverfassungsgericht darf niemand pauschal ausgeschlossen werden Foto: Wolfram Kastl/dpa
Psychisch Kranke und Menschen mit kognitiven Behinderungen dürfen nicht pauschal vom Wählen ausgeschlossen werden, hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt. Das ist gut und war lange überfällig.
Überfällig ist es nicht nur, weil es in vielen europäischen Ländern keinen Wahlrechtsausschluss wie in Deutschland gibt. Sondern auch, weil in Deutschland bislang zwei Gruppen existierten: Da gibt es die Menschen mit kognitiven Einschränkungen, die unter gesetzlicher Betreuung „in allen Angelegenheiten“ stehen und ebendeshalb nicht wählen dürfen. Um diese Gruppe geht es in dem Urteil. Sehr viel größer aber ist die Gruppe der Demenzkranken, die über eine Vorsorgevollmacht von Angehörigen betreut werden und ihr Wahlrecht behalten, auch wenn sie ihre Familie nicht mehr erkennen.
Wann immer eine Wahl ansteht, wird für Demenzkranke in Deutschland zu Tausenden Briefwahl beantragt. Wer dann wirklich wo und warum das Kreuzchen macht, kann niemand überprüfen. Angeblich kommen aus Caritas-Heimen besonders viele Wahlzettel mit CDU-Kreuzchen, aus Heimen der Arbeiterwohlfahrt viele mit SPD-Kreuzchen, hat eine SPD-Politikerin mal vor Jahren in Bezugnahme auf Wahlhelferkreise erzählt.
Aber selbst wenn man unterstellt, dass WählerInnen mit starken kognitiven Beeinträchtigungen leichter manipulierbar sind, so darf das nie ein Grund sein, diese Gruppen von Wählen auszuschließen. Auch die Wahlentscheidungen von nichtbehinderten Menschen beruhen ja nicht immer auf tiefer Kenntnis der Parteiprogramme, sondern richten sich nach vagen Gefühlslagen, Sympathien, Vorurteilen. Es wäre lächerlich, wollte jemand Grenzwerte für eine Art „WählerInnen-TÜV“ einführen.
Der Ehrgeiz von Angehörigen, Begleitern, BetreuerInnen von kognitiv Beeinträchtigten sollte darin bestehen, die Wahlfreiheit der ihnen Anvertrauten zu stützen. Mit Infos, Gesprächen, Begleitungen. Wählen ist viel mehr als nur wählen: Es ist Aufregung, Anregung, Dazugehören. Hoffnung. Inklusion. Das gilt es zu schützen.
Kommentar Ende Wahlrechtsausschluss: Kein „Wähler-TÜV“ für niemanden
Niemand darf wegen einer Erkrankung oder kognitiven Behinderung vom Wählen ausgeschlossen werden. Eine überfällige Entscheidung.
Freie Wahl für alle: Laut Bundesverfassungsgericht darf niemand pauschal ausgeschlossen werden Foto: Wolfram Kastl/dpa
Psychisch Kranke und Menschen mit kognitiven Behinderungen dürfen nicht pauschal vom Wählen ausgeschlossen werden, hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt. Das ist gut und war lange überfällig.
Überfällig ist es nicht nur, weil es in vielen europäischen Ländern keinen Wahlrechtsausschluss wie in Deutschland gibt. Sondern auch, weil in Deutschland bislang zwei Gruppen existierten: Da gibt es die Menschen mit kognitiven Einschränkungen, die unter gesetzlicher Betreuung „in allen Angelegenheiten“ stehen und ebendeshalb nicht wählen dürfen. Um diese Gruppe geht es in dem Urteil. Sehr viel größer aber ist die Gruppe der Demenzkranken, die über eine Vorsorgevollmacht von Angehörigen betreut werden und ihr Wahlrecht behalten, auch wenn sie ihre Familie nicht mehr erkennen.
Wann immer eine Wahl ansteht, wird für Demenzkranke in Deutschland zu Tausenden Briefwahl beantragt. Wer dann wirklich wo und warum das Kreuzchen macht, kann niemand überprüfen. Angeblich kommen aus Caritas-Heimen besonders viele Wahlzettel mit CDU-Kreuzchen, aus Heimen der Arbeiterwohlfahrt viele mit SPD-Kreuzchen, hat eine SPD-Politikerin mal vor Jahren in Bezugnahme auf Wahlhelferkreise erzählt.
Aber selbst wenn man unterstellt, dass WählerInnen mit starken kognitiven Beeinträchtigungen leichter manipulierbar sind, so darf das nie ein Grund sein, diese Gruppen von Wählen auszuschließen. Auch die Wahlentscheidungen von nichtbehinderten Menschen beruhen ja nicht immer auf tiefer Kenntnis der Parteiprogramme, sondern richten sich nach vagen Gefühlslagen, Sympathien, Vorurteilen. Es wäre lächerlich, wollte jemand Grenzwerte für eine Art „WählerInnen-TÜV“ einführen.
Der Ehrgeiz von Angehörigen, Begleitern, BetreuerInnen von kognitiv Beeinträchtigten sollte darin bestehen, die Wahlfreiheit der ihnen Anvertrauten zu stützen. Mit Infos, Gesprächen, Begleitungen. Wählen ist viel mehr als nur wählen: Es ist Aufregung, Anregung, Dazugehören. Hoffnung. Inklusion. Das gilt es zu schützen.
Fehler auf taz.de entdeckt?
Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!
Inhaltliches Feedback?
Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.
Leben mit Behinderung
Kommentar von
Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
Themen