69. Internationale Filmfestspiele Berlin: Letzter Aufzug für Dieter Kosslick

Heute beginnt die letzte Berlinale unter Dieter Kosslick. Er hat die Filmschau zum größten Publikumsfestival der Welt gemacht.

Viele Menschen stehen an einem Ticketschalter der Berlinale an

Ein Gemischtwarenladen namens Berlinale: Ticketschalter mit Ansturm Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Es ist ein typischer Dienstagmorgen um neun Uhr, Anfang Februar in den Potsdamer Platz Arkaden: Draußen schlägt einem das nasskalte Wetter ins Gesicht, drinnen, auf den roten Teppichen vor den Ticketschaltern, herrscht Kuschellaune. Noch eine Stunde, bis der Vorverkauf für die Filme am 8. Februar losgeht. Am heutigen Donnerstag beginnt die 69. Berlinale, sie wird zumindest die filmbegeisterten Teile dieser Stadt zehn Tage lang in Atem halten.

In der Schlange stehen auf jeder Seite der Schalter etwa 50 Personen: Leute in den Zwanzigern, ein Vater mit seinem halbwüchsigen Sohn, eine Dreißigjährige mit großem Parker und unordentlichem Dutt. Die Kitaleiterin Miriam Lasch, 47 Jahre alt, ist am Vortag um 21 Uhr in den Arkaden angekommen und hat hier übernachtet. Das macht sie seit acht Jahren.

Der Softwareentwickler Bodo Petermann, 45 Jahre alt, hat seinen Schlafsack gegen Mitternacht hier ausgerollt. Das macht er seit 20 Jahren. Hinter ihnen steht die Kinderkrankenschwester Susanne Fröhlich, 57 Jahre alt und Hertha-Strickmütze, sie steht seit 7 Uhr morgens hier. Das macht sie seit 30 Jahren.

Nun räumen sie alle ihre Sachen zusammen, wirken ein wenig fahrig. Die Schlange wird länger, bald gehen die Jalousien am Schalter hoch. Auch wenn sie die Ersten oder Zweiten sind: Es ist nicht garantiert, dass sie auch Karten für die zwei bis vier Filme bekommen werden, die sie sich für heute notiert haben. Alle drei haben sich Urlaub genommen für die Berlinale, werden auch morgen wieder anstehen. Und übermorgen. Und dann, später am Tag, Filme gucken, bis zum Ende des Festivals.

Eine Frau steht und hält Kino-Karten, sie sieht etwas enttäuscht aus

Sechs Karten hat Miriam Lasch am Ende bekommen, acht hätte sie gerne gehabt. Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Die 69. Berlinale ist die 18. Berlinale unter Dieter Kosslicks Leitung. Es ist auch die letzte, denn im letzten Sommer wurde bekannt, dass 2020 Carlo Chatrian, der bisherige Leiter der Filmfestspiele in Locarno, und die Münchener Filmmanagerin Mariette Rissenbeek die Berlinale leiten werden.

Wann? Der Ticketvorverkauf hat bereits am Montag begonnen und läuft täglich von 10 bis 20 Uhr. Tickets können jeweils drei Tage im Voraus erworben werden. Am Tag der Vorstellung sind noch Karten an den Tageskassen der Kinos erhältlich.

Wo? In den Vorverkaufsstellen in den Potsdamer Platz Arkaden, im Kino International, im Haus der Berliner Festspiele, in der Audi City Berlin am Kurfürstendamm 195. Außerdem kann man Tickets auch an vielen Theaterkassen kaufen, allerdings zuzüglich einer Vorverkaufsgebühr von 2 Euro pro Ticket.

Online? Auch im Netz ist es ratsam, schon morgens um 10 Uhr die Karten für die Filme zu kaufen, die man in drei Tagen sehen möchte. Aber Vorsicht: Das Kontingent ist begrenzt und der Server oft überlastet.

Immer wieder gab es Kritik an Kosslick, Ende 2017 sogar einen Brief von Filmschaffenden. Anstatt dem Festival einen konstistenten künstlerischen oder kontroversen Kern zu geben, habe Kosslick einen Gemischtwarenladen aus der Berlinale gemacht, von Kulinarischem Kino bis Berlinale Classics immer weitere Untersektionen und Reihen mit unscharfem Profil eingeführt.

Was diese Kritiker oft übersehen, ist die Publikumsnähe von Dieter Kosslick. Ebenso oft, wie er sich mit Stars auf dem roten Teppich fotografieren ließ, posierte er dort auch mit Fans und schenkte ihnen Tickets. Nie wurde er müde, zu betonen, dass die Berlinale das größte Publikumsfestival der Welt sei.

Das heißt genau: 2002, im Jahr nach Kosslicks Antritt , wurden bei der Berlinale 174.000 Tickets verkauft. Seither wurden es stetig mehr, 2018 waren es 334.000. Das ist zwar weniger als ein halbes Prozent dessen, was in Deutschland jährlich an Kinokarten verkauft wird (2018 etwa 100 Millionen), aber gerade im Vergleich mit anderen Festivals lässt es sich sehr wohl sehen.

Kinokarten für Normalsterbliche

Es gibt sogenannte A-Festivals, also Festivals mit Internationalem Wettbewerb, auf denen man als Normalsterblicher gar nicht an Karten rankommt. Das ist in Cannes der Fall. Und in Venedig kosten die Karten bis zu viermal so viel wie in Berlin. Die Tickets bei der Berlinale sind teurer geworden. Bezahlte man 2001 für ein Ticket im Berlinale-Palast umgerechnet noch etwa 10 Euro, so sind es heute 16. Doch das entspricht der allgemeinen Preisentwicklung für Kinokarten. Die sind laut Filmförderanstalt im Zeitraum 2001 bis 2017 um knapp 54 Prozent teurer geworden.

Auf der Berlinale werden alle Beiträge im Wettbewerb in mehreren Wiederholungen gezeigt. Der letzte Tag, in diesem Jahr der 17. Februar, ist traditionell der Publikumstag, für den jeder bereits jetzt Kinokarten erwerben kann. Sogar einen Berlinale-Kindergarten gibt es, wo Eltern zwischen 10 und 19 Uhr für wenig Geld ihren Nachwuchs abgeben können, um dann in Ruhe Filme zu schauen.

Auch die Anzahl der Filme ist in jedem Jahr gestiegen. In diesem Jahr sind es 400, also 15 mehr als im Vorjahr. Das kann natürlich kein Mensch auch nur ansatzweise bewältigen. Trotzdem sind die meisten Filme ausverkauft. Wer sich nicht täglich um 10 Uhr morgens kümmert, wird nicht mal für den sonderbarsten, dunkelsten und längsten Film aus einem Land auf der anderen Seite der Welt eine Karte bekommen.

Bodo Petermann liegt in einem Schlafsack und wartet vor dem Ticketschalter der Berlinale auf den Verkaufsstart

Wollte als Erster an die Tickets ran: Bodo Petermann (rechts) hat es sich schon viele Stunden vor dem Verkaufsstart gemütlich gemacht Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Miriam Lasch, Bodo Petermann und Susanne Fröhlich gehen außerhalb der Berlinale ein- bis dreimal im Monat ins Kino. Öfter als mancher Cineast, aber deutlich seltener als der durchschnittliche Berliner, der sich nur zwei- bis dreimal jährlich ins Kino verirrt. 2018 hatten die Kinos wegen des heißen Sommers und der WM zwar deutlich weniger Besucher als sonst, aber betrachtet man die Zahlen der letzten zehn Jahre auch in Berlin, geht es den Kinos trotz der Streamingkonkurrenz erstaunlich gut.

Keine Kinonation

Trotzdem: Deutschland ist keine Kinonation, dies beklagte in dieser Woche auch ein deutsches Nachrichtenmagazin. Die Deutschen gehen im Schnitt nur 1,3-mal im Jahr ins Kino. In Frankreich kommt man dagegen auf 3,1 Kinobesuche, in Paris sogar auf 11,8. Der Kinokultur in dieser Stadt kann es also nur guttun, dass es jedes Jahr ein Festival wie die Berlinale gibt.

Susanne Fröhlich wartet auf Tickets in den Potsdamer Platz Arkaden

Susanne Fröhlich wartet auf Tickets in den Potsdamer Platz Arkaden Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

Miriam Lasch, Bodo Petermann und Susanne Fröhlich jedenfalls mögen die Linie, die Dieter Kosslick in all den Jahren auf der Berlinale gefahren ist. Sie haben sich jedes Jahr gefreut, wenn die Auswahl wieder größer wurde. „Jedes Jahr, wenn das Programm kam“, sagt Fröhlich, „habe ich mich erst einmal ins Café gesetzt und bin in aller Ruhe alle Filme durchgegangen.“ Schwer zu sagen, nach welchen Kriterien sie die Filme am Ende ausgesucht hat. Stars sind ihr egal, sie mag eher Problemfilme. Sie ist in einer Kinofamilie groß geworden, wie sie sagt, und kauft bis heute auch immer gleich für ihren Bruder Karten ein.

„Filme, die es vielleicht nicht ins Kino schaffen, sind viel interessanter“, pflichtet Miriam Lasch bei. Sechs Karten hat sie am Ende bekommen, acht hatte sie sich aufgeschrieben. Sie ist enttäuscht. Und wird ihren Schlafsack trotzdem in einem Schließfach der Deutschen Bahn am Potsdamer Platz lassen, um heute noch einmal hier zu übernachten. Dann ist sie morgen wieder die Erste am Schalter.

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