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Individualverkehr, ein Hausmittel gegen Kommunismus

„Freie Fahrt für freie Bürger für immer“? Auf dem Altar der Autofahrerkirche wird allerhand geopfert. Eine kleine Geschichte der Mobilität in Deutschland

Das Wandern mit dem Kraftwagen ist Verbindung von Natur und Technik, sagen die Priester

Von Rudolf Walther

Es gibt noch Richter in der BRD und in der EU. Die halten sich an das Gesetz und legen das kriminelle Geschäftsmodell der Autoindustrie lahm, die die gesetzlich vorgeschriebenen Normwerte bei der Messung von Abgasen von Dieselmotoren mit trickreichen Vorkehrungen umging. Es spricht für den sinkenden Stellenwert des Rechtsstaats im politischen Denken der notorisch „klugen Köpfe“ bei der konservativen Presse, dass sie wohlbegründete Gerichtsurteile gegen Rechtsbrecher als „Hatz auf die Autofahrer“ (FAZ vom 14. 12. 2018) denunzieren.

Auf dem Altar der Autofahrerkirche wird allerhand geopfert: Betrug, Gerichts- und Urteilsschelte sowie Verleumdung gelten als Kollateralschäden, die in Kauf genommen werden. Dabei schuf der Betrug der Automanager nur Verlierer – Milliardenstrafgelder, getäuschte Kunden und Hundertschaften von deutschen Ingenieuren, die sich als wohlfeile Knechte an die Indus­trie verkauften und so den guten Ruf der deutschen Ingenieurskunst dauerhaft beschädigten.

Die Massenmobilisierung und der forcierte Autobahnbau in den Jahren des Wirtschaftswunders und danach machten das Autofahren in der BRD zu einer Art Volksreligion mit dem Gebot Nummer eins: „Freie Fahrt für freie Bürger.“ Gründungsakt der Volksreligion war die Produktion des „Volkswagens“. Dessen Konstrukteure verehrte der Automobiljournalist Martin Beheim-Scharzbach 1953 als „Götter“.

Verehrung verlangt Kirchen und Priester. Es wurden Autobahnkirchen als Wallfahrtsorte für die Auto-Gemeinde gebaut. 1936 feierte einer der Auto-Priester den Verkehr auf den neuen „Betonstraßen“ als „Autowandern“: „Das Wandern mit dem Kraftwagen ist Verbindung von Autofahrt und Kultur, von Natur und Technik – ist ein Erlebnis der Natur durch Technik, eine glückliche Zeitlosigkeit und ein glückliches Sichgleitenlassen.“

Um das „Autowandern“ bis in den letzten Winkel der Republik zu ermöglichen, präsentierte man für den Autobahnbau abenteuerliche Ausbaupläne. 1970 versprach der Verkehrsbericht des Ministers Georg Leber (SPD), dass 85 Prozent der Bevölkerung bis 1985 „von dort, wo sie dann wohnen werden, maximal zehn Kilometer bis zur nächsten Autobahn zurückzulegen haben werden.“

Die Klage über die „Springflut der Motorisierung“ (Leber) befeuerte Urbanisten, die die Wahnidee „autogerechter Städte“ lange vor dem Plan, Bahnhöfe in den Untergrund zu verlegen, proklamierten. Das Projekt, die Pariser Champs Elysées durch den Bau einer Hochstraße „leistungsfähiger“ zu machen, kommentierte Alexander von Cube vom WDR 1972 ganz gelassen: „Ach, man kann sich daran gewöhnen“ – etwa so wie heute an die Dauerstaus im Berufsverkehr in den Städten und auf den Autobahnen.

Wie jede Religion sorgte sich auch die Autoreligion um den Nachwuchs. Eine Jugendzeitschrift machte ihre Leser mit Autobahnstorys unter dem Titel „Gib Gas“ road-minded. Verkehrsminister Hans-Christoph Seebohm (CDU) sah im „Freiheit“ propagierenden Individualverkehr ein Hausmittel gegen „Vermassung“ und Kommunismus.

Die Autoindustrie nahm 1955 die Kilometerpauschale und 1960 die Zweckbindung der Mineralölsteuer in ihr Glaubensbekenntnis auf und gab mit einer guten Tat das Vorbild für die Gläubigen: Sie schaffte den Werkverkehr mit Bussen ab – das Verkehrsaufkommen stieg und die Staus wurden länger.

Den Rest besorgten die Demoskopen, Statistiker und Wissenschaftler unter den Autopriestern: Unfälle wurden zu „Aufprallkontakten“ und Staus zu „Störungen im Verkehrsablauf“ und „mobilitätsinduzierter Immobilität“ (Walther Ch. Zimmerli) schöngeredet. Mit Radio, Recorder, CD-Player, Kühlbox und Telefon ausgestattet, wird das Auto „vollends zum Lebensraum“.

Die Automobilclub-Mitglieder-Zeitschrift ADAC-Motorwelt drohte der Bundesregierung 1950 – als die wenigsten Deutschen ein Auto besaßen und der ADAC ganze 60.000 Mitglieder hatte (sehr viele ohne eigenes Auto!) – mit „einer blutigen Revolution“ im Namen des „kraftfahrfreundlichen deutschen Volkes“, wenn die Regierung weiterhin „die nichtdeutsche Erfindung der Schienenbahn“ bevorzuge. Ein Pfarrer der christlichen Kirche hupte der automobilen „Bruderschaft der Straße“ (Matthias Wissmann, CDU) ins Ohr: Jeder Tote auf der Autobahn ist auch „ein Glockenklingen aus der Ewigkeit“. Amen.

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