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Venezuela: Machtkampf mit Handschellen

Am Wochenende wurde Venezuelas neuer Parlamentspräsident kurzzeitig festgenommen. Jetzt werden die Agenten des Geheimdienstes suspendiert, die dafür verantwortlich waren

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires

In Venezuela scheint der Streit zwischen der Regierung des vergangene Woche für eine weitere Amtszeit vereidigten Präsidenten Nicolás Maduro und dem von der Opposition beherrschten Parlament weiter zu eskalieren. Am Samstagmorgen wurde Venezuelas neuer Parlamentspräsident Juan Guaidó kurzzeitig vom Geheimdienst Sebin festgenommen. Guaidó war mit dem Wagen auf dem Weg in den Bundesstaat Vargas, als er von Sebin-Agenten auf der Autobahn gestoppt, aus dem Fahrzeug geholt und mit einem anderen Wagen weggefahren wurde. Ein von einem der nachfolgenden Fahrzeuge aus aufgenommenes Handy­video zeigt den Vorgang.

Auf sozialen Medien hieß es, sein Aufenthalt sei unbekannt, und es wurde gemutmaßt, er sei inhaftiert. Guaidó selbst berichtete allerdings anschließend, er sei nur wenige Minuten in dem Auto festgehalten und dann wieder freigelassen worden.

Der wirren Aktion waren nicht weniger wirre Tage vorausgegangen. Maduro erkennt die seit den Wahlen Ende 2015 von der politischen Opposition dominierte Nationalversammlung nicht an. Mehrfach ließ er deren Unrechtmäßigkeit vom obersten Gerichtshof bestätigen und verschaffte sich mit der Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung zugleich ein eigenes Parlament. Solange die Militärs hinter dem Präsidenten stehen, sitzt Maduro am längeren Hebel. Vergangenen Donnerstag ließ er sich vom obersten Gerichtshof zu seiner zweiten Amtszeit vereidigen. Keine Stunde später stand er vor den versammelten Armeekommandeuren und ließ sie ihre Loyalität ihm gegenüber schwören.

Gegenwind kam lediglich aus dem Ausland. Ein Großteil der lateinamerikanischen Staaten sowie die USA, Kanada und die EU verweigern ihm die Anerkennung.

Juan Guaidó sieht das Parlament als einzige legitime, demokratisch gewählte Institution

Tags darauf veranstaltete die Opposition auf einem Platz in der Hauptstadt Caracas einen Cabildo abierto, einen öffentlichen Rat, angeführt vom 35-jährigen Guaidó. Der Parteigänger der Voluntad Popular, einer der radikalsten Oppositionsparteien, war am 5. Januar von der Nationalversammlung zum neuen Parlamentspräsidenten gewählt worden. Das Parlament, rief Guaidó, sei die einzig legitime gewählte Institution, ihm komme nunmehr die Aufgabe zu, Venezuelas Rückkehr zur Demokratie zu organisieren und mithilfe der Zivilgesellschaft und den Streitkräften alsbald freie Neuwahlen zu veranstalten. „Es müssen die Menschen in Venezuela, die Streitkräfte und die internationale Gemeinschaft sein, die uns dazu bringen, das Mandat auszuüben,“ sagte er vor mehreren tausend Anwesenden. Er berief sich auf Artikel 233 der Verfassung, wonach bei einer „völligen Abwesenheit“ des Staatspräsidenten der Parlamentspräsident das Amt vorübergehend übernehmen müsse – was von manchen so interpretiert wurde, er habe sich selbst zum Präsidenten erklärt. Luis Almagro, Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, twitterte sofort: „Wir begrüßen den Antritt von Juan Guaidó als Interimspräsidenten Venezuelas gemäß Artikel 233 der Verfassung.“

Wer für Guaidós kurzzeitige Festnahmen verantwortlich ist, ist unklar. Für Informationsminister Jorge Rodríguez hätten die Sebin-Agenten auf eigene Faust gehandelt. „Die Funktionäre, die sich dafür hergaben, diese Show zu veranstalten, werden gerade ihrer Ämter enthoben und einem strengen Disziplinarverfahren unterworfen.“ Es scheint im Geheimdienst zwei Lager zu geben. Eines, das auf ein hartes Durchgreifen setzt, und eines, das einen anderen Kurs fährt. Aber ein drittes, das sich gegen Maduro stellt, gibt es offenbar nicht.

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