Zahlen der Arbeitsagentur: Immer weniger Tarifbeschäftigte
Vor allem im deutschen Dienstleistungssektor arbeiten viele Menschen ohne Kollektivvertrag. Die Linkspartei fordert Maßnahmen gegen Tarifflucht.
Demnach hat die Tarifbindung vor allem in kleinen Unternehmen stark abgenommen. Nicht an einen Tarifvertrag gebunden sahen sich im vergangenen Jahr 87 Prozent aller Firmen mit bis zu neun Mitarbeitern in Ostdeutschland und 78 Prozent in Westdeutschland. Zehn Jahre zuvor waren es 69 Prozent der kleineren westdeutschen und 80 Prozent der kleineren ostdeutschen Betriebe.
Die meisten Beschäftigten in Unternehmen ohne Tarifvertrag arbeiteten 2017 in den Wirtschaftszweigen Information und Kommunikation, im Handel, im Gastgewerbe sowie anderen Dienstleistungssektoren, heißt es in der Regierungsantwort. Weniger als ein Drittel oder 31 Prozent aller Unternehmen waren demnach im vergangenen Jahr noch tarifgebunden und verfügten gleichzeitig auch über einen Betriebsrat.
Die Vorteile der Tarifbindung für Arbeitnehmer hat die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung 2016 in einer Studie zusammengefasst. Wer nach Tarif arbeitet, verdient demnach mehr, als Industriemechaniker zum Beispiel durchschnittlich 18 Prozent. Außerdem gelinge die aktive Gestaltung der Arbeitsbedingungen mit Tarifbindung besser als ohne.
Umstrukturierte Wertschöpfung
„Je geringer die Tarifbindung in der Fläche ist, desto niedriger ist das gesamte Einkommensniveau und desto stärker zeigt sich eine Spreizung der Einkommen in den Unternehmen“, heißt es in der Studie außerdem.
Als Grund für die Tarifflucht identifiziert die (zum Deutschen Gewerkschaftsbund gehörende) Böckler-Stiftung unter anderem den Mitgliederrückgang bei den Gewerkschaften. Aber auch die „zunehmende Dynamik der Umstrukturierung von Wertschöpfungsketten, neue Geschäftsmodelle und die Ausgliederung von Tätigkeiten“ führe dazu, dass das ständige Ringen um Tarifbindung zunehme.
Dieser „Tarifflucht“ dürfe die Bundesregierung nicht tatenlos zusehen, forderte der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Pascal Meiser. „Die Zahlen belegen, dass die Tarifflucht von Unternehmen (…) nur die Spitze des Eisberges darstellt“, so Meiser. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sieht der Berliner Politiker in der Pflicht, „endlich ein Maßnahmenkonzept zur Stärkung der Tarifbindung auf den Tisch zu legen“.
Einen kleinen Vorstoß in Sachen Tarifbindung hat Heil allerdings schon Mitte Dezember gewagt. Im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung warb der SPD-Politiker für Steuerrabatte für tarifgebundene Unternehmen. „Wir sollten über Anreize für eine höhere Tarifbindung nachdenken“, sagte Heil. Weil die Tarifbindung eine Art öffentliches Gut sei, könne man sie als Gesetzgeber belohnen.
„Der Staat sollte tarifgebundene Unternehmen steuerlich besser behandeln als nicht tarifgebundene“, so Heil. Zudem könnten Aufträge der öffentlichen Hand nur noch an Unternehmen gehen, die sich an die Tarifverträge ihrer jeweiligen Branche halten. (mit dpa)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Einigung über die Zukunft von VW
Die Sozialpartnerschaft ist vorerst gerettet
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen