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der rote fadenTräumende Männer erklären die Welt, bis ich schweige

Foto: taz

Durch die Woche mit Ariane Lemme

Das neue Jahr ist schon alt. Nicht an Tagen, aber an Mustern. Es hat die Willenskraft eines Houellebecq-Helden, da hilft auch kein substituiertes Serotonin. Was waren noch gleich meine Vorsätze gewesen, nachdem das vergangene Jahr mit einem maximalen Punch in die Magengrube geendet hatte: Der Spiegel lügt. Gut, nur Claas Relotius lügt, aber niemand hatte es bemerken wollen. Warum? Wenn es die Leute nicht interessiert, wie die Welt wirklich ist, warum werden sie dann nicht Hairstylist oder plastischer Chi­rurg? Es gibt viele kreative Berufe.

Relotius

Aber klar, fast immer wäre es schöner, wenn alles anders wäre. Auch für mich. Ich guckte also in den Spiegel und fragte mich, wann ich mir zuletzt etwas wirklich genau angeschaut hatte. Ohne schon ein Bild davon im Kopf zu haben. Ohne den leisen Wunsch, es möge doch bitte mehr so und weniger so sein. Ab jetzt also mehr Kopf-Yoga, beschloss ich, mehr beobachten, weniger meinen. Außer in dieser Kolumne, klar. Und am besten gleich Facebook und Twitter löschen, da muss man nämlich immer schon vorher wissen, auf welcher Seite man steht (der richtigen!). Aber dann kommt mir Robert Habeck zuvor, und statt zu agieren, muss ich, qua Zunft, schon wieder reagieren. Mist.

Noch bevor ich darüber nachdenken kann, wie egal mir Twitter mit dem oder ohne den Grünen-Chef ist, sagt mir meine Timeline, dass ich mich hier – mal wieder – nicht aus der Verantwortung stehlen darf. „Er überlässt das Feld den Rechten“, rufen sie, und da bin ich natürlich getriggert. Vor den Rechten darf auch ich mich nicht ins Private zurückziehen. Ohne mit ihnen zu reden, muss auch ich sie bekämpfen, aber natürlich – muss ich das hier wirklich extra erwähnen? – auch ohne Gewalt. Wir leben schließlich nicht in Westeros. Und selbst da hat blutiger Widerstand gegen die Bösen nur selten was gebracht. Insofern wäre the silent treatment vielleicht doch keine dumme Idee. Das gilt schließlich als Top-Beziehungskiller. Break-up mit den Rechten, sozusagen. Nur leider weiß man halt bei ihnen wie im Privaten auch nie, wen der Ex-Partner dann als Nächstes terrorisiert. Die Vorstellung, wie die Rechten in die Stille des Äthers hinein­brüllen, wenn keiner mehr mit ihnen spielt, hat trotzdem was.

Habeck

Aber gut. Twitter löschen ist post Habeck irgendwie alt, der gute Vorsatz eh schon wieder perdu. Dann vielleicht mal wieder öfter ein Buch lesen. Literatur ist erhaben und ihre Wahrheit größer als die Summe ihrer Fakten. Beim Lesen ist man mit sich allein und kann seine Meinung zum Gelesenen so oft ändern, wie man will, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Oder man meint gleich nichts dazu und lässt sich treiben, bis sich am inneren Horizont eine neue Welt abzeichnet. Klappt aber nur, wenn mir der Autor beim Zeichnen nicht den Stift hält. Das verdirbt alles, da mögen seine Absichten noch so super sein. Wie beim – sicher superen – Autor Robert Menasse. Europa ohne Nationen, als logische Folge von Auschwitz – da kann ich gut mitgehen. Aber ich bin nicht mehr fünf und brauche keinen Steigbügelhalter, um da aufzuspringen. Dass Menasse in seinem Roman „Die Hauptstadt“ historische Fakten zurechtschustert, ist deshalb gar nicht das Problem (anders als bei seinen Essays natürlich). Das Problem ist, dass er nicht um des Schreibens willen schreibt, sondern mit Agenda. Wie vermutlich sehr viele Romanautoren vor ihm. Und noch mehr Journalisten neben und um ihn. Aber wenn man schon von der Literatur zum belehrbaren Objekt degradiert wird, was will man dann noch lesen?

Menasse

Erst mal nichts, denke ich. Noch ein Vorsatz gescheitert. Mal ehrlich, all diese schreibenden Männer bilden einen nervigen Chor, der Refrain geht so: Die Zeiten sind so schlimm, schlimm, schlimm (AfD! Putin! Trump!), du darfst jetzt nicht mehr schweigen. Sie haben recht, leider aber von Psychologie keine Ahnung. Sie sind wie meine Mutter, die mich früher so oft ermahnt hat, Klavier zu üben, bis ich echt so gar keine Lust mehr da­rauf hatte. So lange, bis ich auszog, und mich niemand mehr ermahnte.

Chor

Noch weniger Lust als damals aufs Klavierüben habe ich heute eigentlich nur auf die verlogenen Debatten über die uralte Frage, ob man denn Israel nicht wohl bitte aber doch auch kritisieren dürfe (als ob das die Frage wäre). Um sich da bloß nichts vorschreiben zu lassen, ist man auf Dauer-Hab­acht, um bei jedem Fehlverhalten der Regierung mahnend zur Stelle zu sein. Dabei bloß nicht zu sehr ins Detail gehen: Was Kritik an der Regierung und was Kritik am Staat als Ganzem ist, geht im Furor schnell unter. Ein Furor, den man sich Unrechtsstaaten wie Russland oder Saudi-Arabien gegenüber wünschen würde.

Vielleicht wünsche ich mir fürs neue Jahr aber einfach, dass es mir geht wie der Frau aus China, die eines Morgens aufwachte und bestimmte, niedrige Frequenzen – sprich: Männerstimmen – nicht mehr hören konnte.

Nächste Woche Robert Misik

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