piwik no script img

Patienten regelmäßig totgespritzt

Vier Tage hat die Aussage von Ex-Pfleger Niels Högel gedauert. An viele Opfer erinnerte er sich nicht

„Natürlich war ich schockiert und ängstlich. Ich war froh, dass es vorbei ist“

Niels Högel, angeklagter Ex-Krankenpfleger

Immer, wenn sich ihm die passende Gelegenheit bot, schlug der Patientenmörder nach eigenen Worten zu. Zum Schluss habe er sich während jedem zweiten, dritten Dienst ein Opfer gesucht, sagte der frühere Krankenpfleger Niels Högel am Mittwoch vor dem Landgericht Oldenburg. „Es gab keine geplante Taktung.“ Später habe er es sogar darauf angelegt, dass Kollegen ihn dabei erwischten, wie er Patienten Tod bringende Medikamente spritzte. Doch das passierte lange nicht: 100 Patienten soll er so innerhalb von fünf Jahren ermordet haben.

Gegen Högel wurde bereits lebenslange Haft verhängt. Er wurde aber bisher erst wegen sechs Taten verurteilt. In einem neuen Prozess muss er sich vor dem Oldenburger Landgericht wegen der wohl größten Mordserie in der deutschen Nachkriegsgeschichte verantworten. Vier Prozesstage nahmen sich die Richter Zeit, um den Angeklagten zu den 100 Morden an Patienten an den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst aus den Jahren 2000 bis 2005 zu befragen. 43 Taten räumte Högel ein, fünf bestritt er. An die übrigen konnte er sich nicht erinnern. Er schloss aber auch nicht aus, diese Patienten getötet zu haben.

Das Gericht hatte Högel die Patientenakten im Gefängnis studieren lassen, um seinem Gedächtnis nach so langer Zeit auf die Sprünge zu helfen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft spritzte Högel seinen Opfern verschiedene Medikamente, die Herzstillstand oder andere lebensbedrohliche Krisen auslösten, um diese wiederbeleben zu können. Vor Kollegen habe er dadurch mit seinen Reanimationskünsten glänzen wollen. Doch viele seiner Opfer überlebten das tödliche Spiel nicht. Später habe das nicht mehr so im Vordergrund gestanden, sagte Högel vor Gericht. Er habe Patienten vergiftet, wenn sich die passende Situation ergab – teilweise seien dabei sogar Kollegen im Zimmer gewesen.

Als die Polizei ihn schließlich im Sommer 2005 festnahm, war Högel erleichtert, wie er vor Gericht sagte. „Natürlich war ich schockiert und ängstlich. Aber ich war froh, dass es vorbei ist.“ (dpa)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen