Berliner Szenen: Die Schlange ist erratisch

Von wegen alles verpeilte Druffis. Hunderte kommen zum Vorverkauf für ein Technofestival im Sommer 2019. Die Zeit vertreiben wir uns mit Fremdwörtern.

Der obere Teil einer schwarzen Eintrittskarte, auf der in regenbogenfarben "Festivalticket" steht

Das Objekt der Begierde Foto: Brake

Die Schlange ist so lang, dass ich den Anfang nicht sehen kann. Und dabei bin ich extra 15 Minuten vor Verkaufsbeginn gekommen. Wir stehen vor einer Kneipe im Böhmischen Viertel, vor mir bestimmt Hunderte Leute, alle wollen Eintrittskarten für ein Technofestival im August 2019. An Nikolaus. Von wegen alles verpeilte Druffis.

Zum Glück hat der Regen des Tages aufgehört, so ist das Stressigste die Ungewissheit. Gibt es überhaupt genug „Hardtickets“, wie die Karten in der Veranstalterlingo heißen? Letztes Jahr mussten einige wieder nach Hause gehen, erzählt jemand, und auf den Online-Kartenverkauf hoffen, der ein paar Tage später startet. Ich kenne so was: Dann sitzt man vorm Computer, drückt zu einer bestimmten Uhrzeit dreißigmal auf Reload, jedes Mal ist der Server überlaufen, und plötzlich steht da „Ausverkauft“.

Ich versuche, meine fear of wasting time durch Ablenkung zu vertreiben, und freunde mich mit den Leuten vor mir an: Sie heißen G., K. und S., kommen zu 2/3 aus Niedersachsen und geben mir von ihrem Joint und ihrem Bier ab. Sehr nett also.

Nach einer Stunde sind wir vielleicht 10 Meter vorangekommen und ich habe mir inzwischen (heimlich) ein zweites Paar Socken angezogen. Es ist unerklärlich, was so lange dauert. Müssen die Leute noch ein Motivationsschreiben tanzen? Am Himmel leuchtet etwas blau. „Vielleicht wird es schon wieder hell“, sage ich. „Lass das bitte kein Menetekel sein“, sagt G. und wird gefragt, was ein Menetekel ist. „Na ja, so was wie ein böses Omen, wobei, jedes Omen ist böse, oder? Also wie ein Omen. In böse. Hoffentlich erzähle ich gerade keinen Quatsch.“

K. schaut im Handy nach und, ja, G. hat recht. Danach bringt G. noch „erratisch“ an, „wie Leute auf dem Bahnhof mit Rollkoffern laufen“, wieder wird nachgeschaut, „im Schlingerkurs befindlich, abirrend, nicht stringent“. Passt.

Erratisch ist auch die Schlange. Mal geht es ein paar Meter weiter, dann passiert 20 Minuten nichts. Rund zwei Stunden dauert es letztlich, und natürlich habe ich mir umsonst Sorgen gemacht: Es sind genug Karten für alle da.

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Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.

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