: Macron steckt in der Klemme
Für den französischen Präsidenten wird guter Rat im Umgang mit den Protesten der Gelbwesten immer teurer. Emmanuel Macron wird jetzt nicht mehr länger schweigen können
Aus Paris Rudolf Balmer
Die französische Regierung hat kaum übertrieben, als sie das Land vor einer neuen Krawallrunde warnte und alle Bürger und Bürgerinnen mit oder ohne gelbe Warnwesten eindringlich ersuchte, nicht in die Hauptstadt zu kommen, weil dort Chaoten den Protest gegen die Steuerpolitik in einen gewaltsamen Putsch verwandeln wollten. Innenminister Christophe Castaner hatte sogar in dramatischen Tönen von einem „Monster, das seinen Erzeugern entwichen ist“, gesprochen. In der Tat erlebte Paris wieder einen schwarzen Samstag, in gewisser Hinsicht noch schlimmer als eine Woche zuvor.
Auch wenn es den Behörden gelungen ist, im Verlauf des Abends auf den Straßen und Plätzen wieder Herr der Lage zu werden, ist die Machtdemonstration der Polizei am Ende mehr ein Beweis der politischen Ohnmacht der Staatsführung. Die hat bisher keinen Ausweg aus der Krise gefunden. Weder die alarmierenden Warnungen noch die Einschüchterungsversuche noch zahlreiche präventive Festnahmen haben Tausende von Gilets jaunes davon abgehalten, in die Hauptstadt zu kommen, um auf der Avenue des Champs-Élysées für ihre Kaufkraftforderung und gegen Präsident Macron zu demonstrieren.
Dass die Polizei bei den Kontrollen den Gelbwesten am Vormittag nicht nur eventuell als Waffen einsetzbare Gegenstände, sondern auch einfache Atemschutzmasken oder Skibrillen zum Schutz vor Reizgas wegnahm und Dutzende von Personen deswegen sogar den ganzen Tag in Gewahrsam hielt, hat den Zorn noch gesteigert.
Die offizielle Bilanz spricht am Tag danach für sich: 179 zum Teil schwer Verletzte und 1.350 Festnahmen, mehr als hundert verbrannte Autos. Besonders zu denken muss geben, dass dieses Mal nicht nur die Kundgebungen in Paris mit Straßenschlachten und Sachbeschädigungen durch Randalierer einhergingen, sondern auch Demonstrationen in Provinzstädten wie Bordeaux, Marseille, Avignon, Lyon oder Dijon in gewaltsamen Zusammenstößen endeten.
Dabei hatte die Staatsführung alles aufgeboten, was ihr an Personal und Material zur Verfügung stand – ohne zum äußersten Mittel eines Militäreinsatzes zu greifen. Die rund 90.000 Polizisten und Gendarmen, 8.000 allein in der Hauptstadt, wurden mit Panzerfahrzeugen verstärkt, die dann auch eingesetzt wurden, und im Verlauf des Samstagsnachmittags galoppierten mitten in Paris berittene Polizisten gegen mutmaßliche Randalierer.
Auch erste Zugeständnisse der Regierung, die auf die ursprünglich für Anfang 2019 angekündigte Erhöhung der Treibstoffabgaben verzichten und für ein paar Monate eine Verteuerung der Gas- und Stromtarife aussetzen will, haben die Franzosen und Französinnen in Gelb nicht zu besänftigen vermocht. „Wir wollen leben, nicht bloß überleben“, sagten zu ihren Beweggründen gleich mehrere von ihnen am Samstag auf der Champs-Élysées. Dort verlief die Demonstration zuerst ohne ernsthafte Zwischenfälle, bevor dann nach den fast unvermeidlichen Provokationen die Ordnungskräfte mit Tränengas und Blendgranaten schossen und dabei längst nicht immer nur auf die Randalierer zielten. Am Ende des Tages bot Paris ein trostloses Bild.
Nun ist Präsident Macron am Zug. Er hat seinen Premierminister Edouard Philippe an die „Front“ geschickt und ihm damit die ganze Verantwortung für die Konfliktlösung aufgebürdet. Vermutlich auch mit dem Hintergedanken, seinen Regierungschef als Sündenbock dem Volkszorn zu opfern, wenn alles schieflaufen sollte. Das ist eigentlich bereits der Fall. Jetzt kann Macron, der lediglich seine Truppen zu ihrem Ordnungseinsatz beglückwünscht hat, jedenfalls nicht länger schweigen.
Am Montag oder spätestens Dienstag wolle er in einer Rede an die Nation ein Gesamtpaket mit Vorschlägen enthüllen, meinen französische Medien zu wissen. Mit der Dauer und der Radikalisierung dieser unberechenbaren und unkontrollierbaren Bewegung der Gilets jaunes ist der Preis für den sozialen Frieden massiv gestiegen. Die ganze Reformpolitik und namentlich die Sanierung der Staatsfinanzen nach Maastricht-Kriterien drohen wie ein Kartenhaus einzustürzen. Auf der Strecke bliebe dabei auch die Glaubwürdigkeit des französischen Staatschefs in der EU.
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