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Kino gegen das große Schweigen

Der Bürgerkrieg (1960–1996) ist lange her, Guatemalas Gesellschaft bleibt polarisiert. Die Dokumentarfilm-Serie „Erinnerung Wahrheit Gerechtigkeit“ sorgt für die nötige Aufarbeitung

Von Knut Henkel

María Magdalena Davila nimmt das Mikrofon in die Hand, lächelt nachdenklich, bevor sie zu sprechen beginnt: „Danke für diesen Film, der uns vor Augen führt, dass wir mit unserem Widerstand nicht allein sind“, sagt die knapp 40-Jährige. Sie ist Repräsentantin der Resistencia de Casillas, des Widerstands von Casillas, der seit dem 22. Juni 2017 gegen eine illegal errichtete Silbermine oberhalb des südlich der Hauptstadt gelegenen Casillas protestiert. Aktivisten haben am Ortseingang einen Kontrollposten in einem Camp aufgebaut, um die Versorgung der Mine mit Treibstoff, Dynamit und Baumaterialien zu verhindern. Rund um die Uhr werden Fahrzeuge kontrolliert, ganz legal, denn Gerichte im sechzig Kilometer entfernten Guatemala-Stadt haben entschieden, dass der Protest der Resistencia rechtens ist. „Zum einen wurden wir als lokale Bevölkerung nie gefragt, ob wir hier eine Mine haben wollen, zum anderen wurde sie unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aufgebaut“, erklärt Davila mit einem feinen Lächeln.

Sie ist keine der Aktivist*innen der ersten Stunde, aber mittlerweile Dreh- und Angelpunkt der Resistencia und hat auch Kontakt zum Kollektiv des wichtigsten Dokumentarfilmereignisses Mittelamerikas geknüpft: die Filmschau „Erinnerung Wahrheit Gerechtigkeit“. Dafür wurde das Kinokollektiv nach Casillas eingeladen. Die Gruppe hat eine Leinwand auf dem zentralen Platz der Kleinstadt aufgebaut und als Hauptfilm „Der Zusammenstoß zweier Welten“ ausgewählt. Eine Dokumentation über den Konflikt um die Erdölförderung in der peruanischen Amazonasregion zwischen der Nationalregierung und indigenen Ethnien weist Parallelen zur Situation in Casillas auf. „Dort wurde genauso das Recht der indigenen Bevölkerung auf eine vorherige Konsultierung vor der Aufnahme der Förderung von Erdöl beziehungsweise Silber verweigert“, erklärt Mónica Mazariegos Rodas.

Als Mitglied des zehnköpfigen Kino-Kollektivs ist sie in Casillas anwesend, um über Rohstoffkonflikte in anderen Ländern zu informieren. „Wir wollen ins Gespräch kommen, nicht nur Filme zeigen und wieder wegfahren, sondern diskutieren und langfristige Kontakte aufbauen“, erklärt die Juristin. Sie arbeitet als Dozentin an der katholischen Universität Rafael Landívar und engagiert sich für die Stärkung der Zivilgesellschaft in Guatemala. Kino ist dafür ein ideales Medium, denn Filmbilder erreichen die Menschen in Guatemala eher als das geschriebene Wort. In Casillas ist das der Fall. Nach dem Film aus Peru, wo der indigene Widerstand ­gegen die Erdölförderung im Amazonasgebiet kriminalisiert wurde und Tote auf beiden Seiten zu beklagen waren, kehrt ein Moment der Stille ein – Zuschauer müssen sich erst einmal sammeln, bevor María Magdalena Davila dann als Erste zum Mikrofon greift. Brauchen wir die Ressourcen aus der Erde, müssen wir sie abbauen und wem kommen sie zugute, sind Fragen, um die sich die Diskussion dreht. Dabei geht es den Menschen vor allem um die Frage, wie sich ihre Umwelt erhalten lässt – wie sich vermeiden lässt, dass natürliche Wasserquellen kontaminiert werden.

Das ist in Casillas der Fall, wo der Fluss, der an der Silbermine vorbeiführt, laut einer Studie der US-Universität Virginia kontaminiert ist. „Arsen, aber auch andere Schwermetalle sind nachweisbar“, erklärt die Aktivistin der Resistencia, während sie von Uli Stelzer gefilmt wird. Der in Berlin und Guatemala lebende Dokumentarfilmer gehört zur fünfköpfigen Gruppe der „Muestra“, die das ambulante Kino in Ca­sillas veranstaltet. Dabei wird gefilmt, um in Kurzfilmen auf Konflikte wie in Casillas aufmerksam zu machen, aber auch zu dokumentieren, wo das Dokumentarfilm-Event Station gemacht hat. „Daraus könnten wir für die Auftaktveranstaltung der Muestra im nächsten Jahr einen Kurzfilm oder einen Trailer machen“, meint Stelzner. Er ist das Gesicht des Events, hat es 2010 mit anderen Kinoenthusiast*inen aus der Taufe gehoben. Bis heute steht es für Debatte, Diskussion und Auseinandersetzung.

Derartige Räume sind überaus knapp in Guatemala, wo der Bürgerkrieg und dessen Geschichte wie eine bleierne Decke auf der Gesellschaft lasten. Nachfragen nach den 200.000 Toten und den 45.000 gewaltsam Verschwundenen sind unerwünscht, erst der Mammutprozess von 2013 gegen Exdiktator Efraín Ríos Montt wegen des Genozids an der indigenen Ethnie der Ixil hat für etwas Sauerstoff unter der Decke gesorgt. Damals reifte in Ana Bustamante die Idee, ihre Abschlussarbeit an der Filmhochschule Barcelona über den eigenen Vater zu realisieren, der im Februar 1982 von Militärs verschleppt wurde und nie wieder auftauchte. Eine Geschichte, die viele Familien in Guatemala teilen, durch etliche ziehen sich tiefe Risse. In der von Ana Bustamante sind sie besonders tief, denn zu ihrer Familie gehört einer der höchsten Militärs des Landes: Edgar Ricardo Bustamante Figueroa. Den General im Ruhestand, der hinter Präsident Jimmy Morales die Strippen zieht, bat sie um Informationen über den mutmaßlichen Mord an ihrem Vater. Ihre Bitte wurde ignoriert. Immer wieder lief sie in Guatemala gegen Gummiwände. „Ich habe wenig über den Verbleib meines Vaters herausbekommen, aber viel über ihn erfahren. Er war ein guter Kerl“, sagt die Mittdreißigerin, die froh ist über die positive Resonanz und die Diskussion im Anschluss an den Film. Frauen sind es vor allem, die da diskutieren. Aus ihrer Generation, aber auch aus der älteren, die so lange geschwiegen hat und zu der ihre Mutter gehört.

Freiraum Diskussion

Filmbilder erreichen die Guatemalteken eher als das geschriebene Wort

Diskussionen zwischen Generationen sind wichtig in einer Gesellschaft, die gerade wieder an Freiräumen verliert. Bestes Beispiel ist die Kampagne gegen die UN-Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (Cicig) und die Aufkündigung ihres Mandats durch die Regierung von Präsident Jimmy Morales, so der Dokumentarfilmer Sergio Valdés Pedroni. Von ihm wurden mehrere Filme im Lauf der neun Jahre, die es die Muestra nun gibt, gezeigt, und er ist froh, dass eine jüngere Generation nun Diskussionen zwischen den Generationen über den 36 Jahre währenden Bürgerkrieg anschiebt. „Filme helfen dabei, denn an den Schulen, den Universitäten ist die Geschichte dieses Konflikts kein Thema. Hier existieren die Schemata des Kalten Krieges noch, hier ist die Armee ein bestimmender Faktor“, kritisiert der Filmemacher. So wurde die Frente de Convergencia nacional, die Front zur nationalen Versöhnung (FNC), von pensionierten Militärs gegründet, und Präsident Jimmy Morales ist ihr Gesicht nach außen. Das sorgt dafür, dass die Regierung die Rolle der Militärs im Bürgerkrieg und deren Verantwortung für unzählige zivile Opfer tabuisiert. Auch ein Grund, weshalb der Etat der Muestra in erster Linie von internationalen Gebern wie der Schweizer Botschaft, dem deutschen Außenministerium, Oxfam und der Heinrich-Böll-Stiftung bestritten wird.

Gegen die Tabuisierung der jüngeren Geschichte engagiert sich das zehnköpfige Kollektiv hinter der Muestra und sorgt mit Einladungen von Doku­mentarfilmer*innen aus ganz Lateinamerika dafür, dass historische Parallelen sichtbar werden, dass aus der Geschichte und dem Umgang mit ihr gelernt werden kann – am kolumbianischen oder chilenischen Beispiel. So war in diesem Jahr Wilfried Hempel, Anwalt der Colonia Dignidad, vor Ort zur Diskussion über den Film „Es gibt kein Zurück“. Er gab auch Auskunft, wie er in der Colonia Dignidad in Chile aufgewachsen ist, wie er sich davon freigemacht hat und wie er jetzt als Anwalt für die Opfer kämpft.

Persönliche Einblicke, die beim Publikum im Saal des spanischen Kulturzentrums „Lux“ nachhallen und für eine lebhafte Diskussion sorgten. Genau die wollen die Macher der Muestra anschieben. In der Hauptstadt, aber auch in den Regionen eines Landes, das sich mit „Erinnerung Wahrheit Gerechtigkeit“ zumindest auf offizieller Ebene sehr schwertut.

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