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Sicherheit ist auchein Gefühl

Wird der Drogenhandel wirklich zum Problem für das Hamburger Schanzenviertel und den Schanzenpark? Und können da neue Straßenlaternen helfen? Die Antwort hängt davon ab, mit wem man spricht

Hier traut sich nicht jede lang: durch den Schanzenpark zum Fernsehturm Foto: Miguel Ferraz

Von Annika Lasarzik

An einem Novemberabend steht Yussif am Rand des Schanzenparks. Aus der Ferne ist er kaum zu sehen, seine Silhouette verschmilzt mit den Schatten der Bäume. Erst als sich ein Passant nähert, tritt er ins Licht einer Straßenlaterne: „Alles gut?“ Der Passant schüttelt stumm den Kopf. Yussif nickt und geht ein paar Schritte zurück.

Szenen wie diese lassen sich im Hamburger Schanzenpark oft beobachten. Yussif ist einer der Straßendealer, die dort auf potenzielle Kunden warten. Heute läuft das Geschäft nicht gut. Es ist kalt, es ist ruhig, nur ein paar Radfahrer fahren über die spärlich beleuchteten Wege. 15 Euro habe er heute verdient, erzählt Yussif, das sei viel zu wenig. Er pfriemelt seine Ware aus einer Jackentasche: ein Plastiktütchen, darin ein paar verschrumpelte grüne Bobbel.

„Very good!“

Woher hat er das Zeug? Ein Typ habe es ihm gegeben. Wer? Dürfe er nicht sagen.

Sonst was? „Trouble.“

Dass im Schanzenviertel, besonders im Schanzenpark, gedealt wird, ist nicht neu. Das Thema beschäftigt Anwohner und Bezirkspolitiker seit Jahren, es gab Stadtteilkonferenzen und runde Tische. Die Hamburger Polizei hat ihre „Task Force Drogen“ im Frühjahr personell aufgestockt und mehr Drogendelikte erfasst, allerdings wurde auch öfter kontrolliert. Im September sorgte der Rechtsanwalt Christian Abel mit seiner Idee, eine Bürgerwehr im Schanzenpark patrouillieren zu lassen, für Aufsehen. Im Stadtteil regte sich Protest, Linke wie Konservative distanzierten sich, später ruderte Abel selbst zurück – er sei falsch verstanden worden.

Steigt die Nervosität in der Schanze? Die Antwort hängt auch davon ab, mit wem man spricht. Denn Sicherheit ist auch ein Gefühl. Die Polizei hatte sich im Juni „dringlich“ für mehr Licht im Park ausgesprochen. Anfang des nächsten Jahres will der Bezirk Altona nun fünf neue Laternen auf dem südlichen Verbindungsweg entlang der Fern- und S-Bahn-Gleise installieren lassen. Dort, wo es besonders dunkel ist und wo Yussif und seine Kollegen stehen. Die nötigen 130.000 Euro dafür zahlt die Wirtschaftsbehörde. Den Dealern soll das Geschäft mit den Drogen erschwert werden, den Anwohnern wird signalisiert: Hier tut sich was.

Henning Breuer, Vorsitzender des Stadtteilbeirats, lebt seit 15 Jahren im Schanzenviertel. „Unsicher fühle ich mich im Park nicht“, sagt er und lässt den Blick quer über die im Dunkeln liegende Wiese schweifen. Wenn Polizisten Straßendealer durch Hinterhöfe jagten, störe ihn das mehr, als wenn ihm jemand auf der Straße Gras anbiete. Er wolle den Drogenhandel nicht kleinreden, sagt Breuer, der Schanzenpark sei der „größte Cannabis-Umschlagsplatz Norddeutschlands“.

148 Delikte aus dem Bereich „unerlaubter Handel/Schmuggel mit Betäubungsmitteln“ hat die Hamburger Polizei im ersten Halbjahr 2018 in der Schanze erfasst. Der Stadtteil gilt neben St. Pauli und St. Georg als einer der Brennpunkte in Sachen Drogenhandel. Die Polizei spricht von „deutlichen Erfolgen“. Breuer glaubt aber nicht daran, dass Razzien und Kontrollen die richtigen Mittel sind, um das Geschäft auf der Straße einzudämmen. „Ist doch sinnlos. Wenn zur einen Seite Polizisten den Park stürmen, laufen die Dealer zur anderen wieder raus“, sagt er. Er plädiert für eine Anpassung der Drogenpolitik: Cannabis müsse legalisiert werden, „wer das nicht einsieht, verkennt doch die Realität!“

Auch diese Idee ist nicht neu, bereits vor zwei Jahren setzte sich der Stadtteilbeirat dafür ein, einen Coffeeshop nach niederländischem Vorbild einzurichten. Straffreier Verkauf und Konsum, es wäre ein Versuch gewesen – doch ein Antrag dazu versickerte im Gesundheitsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft. Den Glauben, dass eine Art Verhaltenskodex helfen könnte, hat Breuer nicht aufgegeben: Am besten sollten sogenannte Kiezläufer durchs Viertel ziehen und nicht nur Dealer ansprechen, schlägt er vor – die seien nämlich nicht das größte Ärgernis im Viertel. Belastender seien die ausufernde Außengastronomie im Viertel und die vielen lärmenden Partygänger am Wochenende. Die sähen in der Schanze einen Ort zum Feiern, aber keinen Lebensraum. „Da muss was getan werden“, sagt Breuer.

Cornelia Templin wohnt seit 20 Jahren im Schanzenviertel, nahe dem Schulterblatt. Sie glaubt: Dass sich Leute von den Dealern gestört fühlten, habe nichts mit Unsicherheitsgefühlen in der Dunkelheit, sondern mit Rassismus zu tun. „Früher dealten hier Osteuropäer, heute sind es Schwarze. Und die sind eben leichter zu erkennen“, sagt sie. Rassismus, ein Vorwurf, der sich immer wieder durch die Debatte zieht. Denn „die Dealer“, von denen hier die Rede ist, die draußen stehen und nicht im Taxi zu ihren Kunden fahren, die eher nicht hinter verschlossenen Türen Drogen verkaufen, sind meistens schwarz. Sie kommen aus Ländern wie Gambia oder Senegal, kamen meist als Geflüchtete her. Dass Drogenfahnder nun vor allem schwarze Männer ins Visier nehmen, regt Templin auf. Doch auch in der Nachbarschaft gebe es einige Leute, die besonders abfällig über die Dealer redeten. Die „ja nur illegale Afrikaner in den Jungs sehen, was mit denen passiert, ist egal, Hauptsache, sie verschwinden aus dem Blickfeld“.

Andreas Grutzeck (CDU), Vize-Vorsitzender der Altonaer Bezirksversammlung, sagt, die neue Straßenlaternen reichten einfach nicht aus. Was nötig wäre? Mehr Polizisten, die im Park Streife laufen. Die Razzien und Kontrollen der vergangenen Monate hätten die Lage im Viertel zwar entspannt – doch besonders Frauen trauten sich abends nicht mehr allein in den Park, in letzter Zeit gingen viele Beschwerden bei seiner Fraktion ein, erzählt Grutzek. „Das ist nicht nur lästig, sondern eine echte Bedrohung.“

Auch Henning Breuer vom Stadtteilbeirat kennt Berichte über Frauen, die sich verfolgt fühlten von Dealern, weil die nicht locker ließen, und nun lieber Umwege um den Park herum gehen. Es seien nur wenige. Aber: „Angst ist was sehr persönliches. Die will ich niemandem absprechen“, sagt Breuer.

Fragt man Anke Mohnert, Geschäftsführerin der Drogenberatungsstelle „Palette“ zur Stimmung im Schanzenviertel sagt sie: „Die Toleranzschwelle ist spürbar gesunken.“ Dass einige Nachbarn „so empfindlich“ auf Dealer reagierten, begründet sie so: „Der Stress im Alltag nimmt zu. Je voller es im Viertel wird, je aggressiver und enger, je mehr Touristen herkommen, umso anstrengender wird das gemeinsame Leben im öffentlichen Raum empfunden.“ In der Folge verändere sich die Nachbarschaft. „Auch weil Neuzugezogene die schönen Seiten des Viertels erleben wollen und Dreck und Elend lieber ausblenden.“

Neben einer höheren Polizeipräsenz fordert die CDU, den bezirklichen Ordnungsdienst wieder einzuführen. Uniformierte im Park könnten die Dealer abschrecken, sagt Grutzek. Den Ordnungsdienst gibt es seit fünf Jahren nicht mehr, auf politischer Ebene wird immer mal wieder über eine Reinstallation diskutiert. Das fänden viele im Stadtteil gut – nicht der Dealer wegen, sondern damit der Bezirk konsequenter gegen Lärm, Müll und zugestellte Bürgersteige, eben die lästigen Begleiterscheinungen des Partytourismus, vorgeht. Für eine Bürgerwehr, die Dealer nach dem Jedermannsrecht der Polizei übergeben sollte, spricht sich niemand offen aus. Und Christian Abel, der diese Bürgerwehr überhaupt erst ins Gespräch brachte, möchte lieber gar nicht reden, auf Anfragen reagiert er nicht.

Mit den Straßenlaternen soll Dealern das Geschäft mit den Drogen erschwert werden, den Anwohnern wird signalisiert: Hier tut sich was

Wer in die Schanze hineinhorcht, spürt keine Hysterie, trotzdem unterscheiden sich die Erzählungen vom Park. Die einen fühlen sich von den Dealern eingeschüchtert. Viele Bewohner tolerieren den Handel aber auch, wirken eher gleichgültig bis resigniert. Oder empören sich über die Polizei.

Die Gemengelage erinnert an die Debatte über den Görlitzer Park in Berlin, einen der berüchtigsten Drogenumschlagplätze in der Hauptstadt. Dort hat das Geschäft zwar längst heftigere Ausmaße angenommen als im Schanzenpark, aber in Berlin wie in Hamburg verdichten sich in den Parks größere Probleme, es geht um Migration, Armut, Sucht. Um Lebenswelten, die aufeinanderprallen, und die Frage, wem der öffentliche Raum gehört, der sich immer enger, exklusiver anfühlt. Es gibt ein linksliberales Milieu, dass wenig Vertrauen in die Polizei setzt. Und Hardliner, die mit der Angst vorm schwarzen Mann Stimmung machen. Oft sind das die lautesten Stimmen.

Im Görlitzer Park wurden bereits 2013 Straßenlaternen aufgestellt, um für mehr Sicherheit zu sorgen, hieß es. Inzwischen wird Polizeipräsenz mit präventiven Maßnahmen kombiniert. Es gibt einen Parkmanager mit mobilem Bauwagen-Büro und sechs mehrsprachige Parkläufer, die selbst einen Migrationshintergrund haben und auf die Dealer zugehen sollen. Einen Parkrat, in dem Bürger mitentscheiden, wie der Park gestaltet wird. Wenn es schon nicht gelingt, den Drogenhandel zu vertreiben, will man zumindest ein Klima schaffen, in dem sich alle wohl fühlen, so die Idee.

Holger Sülberg, Grünen-Abgeordneter und Mitglied im Ausschuss für regionale Stadtteilentwicklung in Hamburg, wiegelt ab. „Parkläufer? An sich keine verkehrte Idee, aber wir brauchen so was nicht.“ Ganz so groß sei der Bedarf im Schanzenpark dann eben doch nicht – auch wenn er es verstehen könne, wenn sich Spaziergänger im Park unwohl fühlten. Ein Verhaltenskodex? „Ohne Sanktionen illusorisch, die Dealer halten sich nicht dran.“ Dann doch lieber ein Stadtteilkümmerer, schlägt Süllberg vor. Einer, der Beschwerden aufnimmt, etwa dann, wenn am Wochenende wieder auf der Straße Bier getrunken wird. Der Drogenhandel ist in der Schanze offenbar nicht das größte Problem.

Von all diesen Debatten bekommt Yussif nichts mit. Er steht im Park, nahe der U-Bahn, weil er dort eben auf seine Kunden trifft. „Normal people“, wie er achselzuckend sagt, die meisten seien junge Männer, am Wochenende kämen besonders viele. An Jugendliche verkaufe er nicht, beteuert er. Beinahe jeden Tag verticke er Gras, seit vier Monaten, seit er über München aus Italien eingereist sei. Yussif fröstelt, seine schwarze Daunenjacke reicht kaum bis zum Hosenbund seiner Jeans. Ein guter Job? Yussif legt den Kopf schief und zieht die Augenbrauen hoch, so, als habe man einen schlechten Scherz gemacht. Dann schnellt sein Kopf zur Seite, ein Zischen, das Zeichen eines Kollegen, irgendwas tut sich weiter hinten im Park – und Yussif ist verschwunden.

Der Sohn von Cornelia Templin radelt abends nach dem Fußballtraining schon mal allein durch den Schanzenpark. Keine Bedenken, im Dunkeln? Templin schnaubt verächtlich: „Ach was.“

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