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Die neue Härte

Nächtliche Abschiebungen, Trennung von Familien, Missachtung von Schutzzonen, Wiedereinführung des Gutscheinsystems: Seit Horst Seehofer Bundesinnenminister ist, wird das Leben für Geflüchtete in Deutschland rauer 43–45

Von Christian Jakob

Da war zum Beispiel Amela Medin, Romni aus Mazedonien, in Deutschland ausgebildete Krankenschwester. Eine Heidelberger Klinik wollte sie einstellen. Doch am vergangenen Montag brachten vier Polizisten sie zum Flughafen Frankfurt und schoben sie nach Skopje ab, wie Spiegel online zuerst berichtete.

Oder der Fall aus Saalfeld in Thüringen: Am 10. Oktober um 2 Uhr nachts kamen Polizisten in den Kreißsaal des Krankenhauses, um einen abgelehnten Asylbewerber aus der Elfenbeinküste nach Italien abzuschieben – während seine Frau dort das gemeinsame Kind gebar. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge argumentierte, es bestehe nach deutschem Recht kein „familiäres Verhältnis“, weil das Paar nicht offiziell verheiratet ist. Hebammen verhinderten die Abschiebung letztlich.

Dann Anfang des Monats, in Mainz: Polizisten kamen in die Uniklinik, um eine 29-jährige, schwangere, an Diabetes erkrankte Iranerin abzuschieben, obwohl die Klinikärzte die stationäre Behandlung für erforderlich hielten. „Außerordentlich bedenklich“ sei der Vorgang, klagte die Universitätsklinik.

Skandalöse Abschiebefälle, teils mit Gewalt durchgeführt, für die weite Teile der Öffentlichkeit kein Verständnis aufbringen und die viele Menschen empören, sind nichts Neues. Auch vor dem Jahr 2015, als vergleichsweise wenig Geflüchtete nach Deutschland kamen, gab es immer wieder solche Fälle. Doch jetzt nehmen sie zu.

Getrieben von der AfD versucht vor allem die Union mit dem Abschiebethema Stimmen zu gewinnen – obwohl die CSU nach Bundesinnenminister Horst Seehofers geradezu obsessiver Fixierung auf das Asylthema schlechter dasteht als je zuvor. Als der CDU-Vorstandskandidat Friedrich Merz in dieser Woche laut darüber nachdachte, das Asylrecht aus dem Grundgesetz zu streichen, widersprach ihm seine Konkurrentin Annegret Kramp-Karrenbauer mit dem Argument, Merz’Vorschlag gehe „am eigentlichen Problem vorbei“. Und das sei: „Wir schaffen es nicht, abgelehnte Asylbewerber konsequent zurückzuführen. Daran sollten wir arbeiten.“

Dabei geschieht genau das seit Langem. Eine „nationale Kraftanstrengung“ für mehr Abschiebungen hatte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) im Februar 2017 angekündigt, „Rückführung, Rückführung und nochmals Rückführung“ mahnte Angela Merkel im September 2016.

Doch aus verschiedenen – rechtlichen aber auch praktischen und politischen Gründen – kann die Zahl der Abschiebungen nicht einfach beliebig nach oben geschraubt werden. Zwar wurden neue Abschiebeknäste errichtet, Gesetze geändert, um den Betroffenen die Abschiebungen nicht mehr ankündigen zu müssen, und zentrale Stellen für das Abschiebemanagement geschaffen, dennoch liegt die Zahl der Abschiebungen seit 2016 ungefähr gleich hoch.

In dieser Zeit ist die Zahl der Flüchtlingsankünfte jedoch stark zurückgegangen, viele Anträge wurden bearbeitet und teils abgelehnt. 2017 wurden insgesamt 25.673 Menschen aus Deutschland ab- oder „zurückgeschoben“, so der Fachbegriff für Abschiebungen innerhalb von sechs Monaten nach Einreise aus einem anderen Schengen-Staat. In der ersten Hälfte 2018 lag diese Zahl bei 13.321 – aufs ganze Jahr gerechnet etwa vier Prozent mehr als im Vorjahr.

Die Zahl der Haftfälle aber hat sich zwischen 2015 und 2017 von 1.813 auf 4.089 mehr als verdoppelt, obwohl sich die Zahl der Abschiebungen nur geringfügig verändert hat. „Die Entwicklung ist erschreckend und passt leider ins Bild einer Politik der maßlosen Steigerung von Abschiebungen und erzwungenen Ausreisen um fast jeden Preis“, sagt die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke, die die Zahlen erfragt hat. „Es gibt ganz klar eine härtere Linie, sowohl bei der Haft als auch bei der praktischen Umsetzung von Abschiebungen“, sagt Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl. Auch die EU-Kommission habe die Linie ausgegeben, dass mehr abgeschoben werden müsse „und Deutschland liefert“, sagt Kopp. „Die Devise lautet Vollzug um jeden Preis, entsprechend beobachten wir eine Brutalisierung.“

Vor allem bei Afghan*innen setzten manche Bundesländer offensiv auf Härte: Bayern etwa lasse junge Afghanen kurz vor der Abschiebung verhaften, auch wenn ihre Ablehnungen oft schon sehr lange zurückliegen. „Die stehen oft mitten im Leben, vor einer Ausbildung oder einer Beschäftigung, das ist alles egal“, sagt Kopp.

„Es gibt ganz klar eine härtere Linie, sowohl bei der Haft als auch bei der praktischen Umsetzung von Abschiebungen“

Karl Kopp, Europareferent von Pro Asyl

Am 13. November startete in Leipzig wieder ein Abschiebeflug nach Afghanistan – es war bereits der 18. seit Deutschland 2016 wieder begonnen hat, dorthin abzuschieben. Insgesamt wurden seitdem 425 Menschen in das von einem eskalierenden Bürgerkrieg gezeichnete Land gebracht.

Hamburg, dass seit Jahren dafür bekannt ist, eine besonders restriktive Linie zu verfolgen, die jener Bayerns ähnelt, hält sich wenigstens in Sachen Afghanistan zurück. Im Mai hatte das Auswärtige Amt seinen neuen Lagebericht verfasst, der eine wichtige Grundlage für die Bewertung der Zulässigkeit von Abschiebungen nach Afghanistan ist. Die Bundesregierung hatte diesen Lagebericht so interpretiert, dass es „innerstaatliche Fluchtalternativen“ gebe – das heißt, dass also alleinstehende, gesunde junge Männer durchaus nach einer Abschiebung in Kabul leben und auch über die Runden kommen können.

Genau das hatte das UN-Flüchtlingswerk UNHCR zuvor in seinen „Guidelines“ bestritten. Nach Auffassung des UNHCR kann in Kabul nach einer Abschiebung nur leben, wer dort Angehörige hat. Einige Bundesländer machten sich aber die Interpretation der Bundesregierung zu eigen und schieben seither offensiver nach Afghanistan ab. Hamburg hält immerhin an der Regel fest, nur sogenannte Gefährder – also mutmaßliche Islamisten, „Identitätstäuscher“ und Straftäter abzuschieben.

Allerdings hat das Bundesland Hamburg auch Jamal M. abgeschoben, ohne ihn zuvor untersuchen zu lassen. M. war einer von „Seehofers 69“ – jenen 69 Afghanen, die an Seehofers 69. Geburtstag abgeschoben wurden, was dieser stolz auf einer Pressekonferenz verkündet hatte. Der 23-jährige Mann erhängte sich Anfang Juli direkt nach der Ankunft in Kabul.

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