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Ein ganz dicker Happen

Lange war das Museum für Naturkunde unterfinanziert, die gewaltigen Bestände verstaubten unbestaunt im Depot. Jetzt erhält es eine gewaltige Finanzspritze

Nur sie freuen sich nicht mehr über das schöne Geld: konservierte Tiere im Naturkundemuseum Foto: Paul Hahn/laif

Von Manfred Ronzheimer

Tristan Otto, der Tyrannosaurus Rex im Museum für Naturkunde (MfN), hat mit seinen scharfen Reißzähnen 66 Millionen Jahre nach seinem Tod noch einen richtig großen Biss gemacht. Aus dem Bundeshaushalt, der heute im Bundestag verabschiedet wird, hat er dem altehrwürdigen Haus an der Invalidenstraße den gigantischen Batzen von 330 Millionen Euro gerissen – in Form einer Verpflichtungsermächtigung für die Jahre 2020 bis 2028. Viel Geld, das der Sanierung des Forschungsmuseums zugutekommen soll.

Damit nicht genug: Das Land Berlin hat zugesagt, die gleiche Summe aus dem Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt und Nachhaltigkeitsfonds (Siwana) lockerzumachen – mithin geht es um 660 Millionen Euro für die nächsten zehn Jahre. Ein Investment, das selbst die kürzlich verkündeten 600 Millionen von Siemens für sein Innovationszentrum in Spandau übersteigt.

Als dem Museum die frohe Kunde von zwei Haushaltspolitikern des Bundestags, den SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs und Swen Schulz, überbracht wurde, war der Regierende Bürgermeister Michael Müller ganz aus dem Häuschen: „Zusammen mit den 300 Millionen Euro für die Exzellenzcluster haben Wissenschaft und Forschung in Berlin in den letzten acht Wochen rund 1,5 Milliarden Euro eingeworben“, begeisterte sich der Senatschef, der zugleich Wissenschaftssenator ist. „So etwas hat es noch nie gegeben.“ Bislang nur Kostgänger, schafft Wissenschaft nun Geld herbei. Müller: „Die Wissenschafts- und Forschungslandschaft wird der wichtigste Standortfaktor für die Zukunft der Stadt.“

Noch größer war die Freude bei Johannes Vogel, dem umtriebigen Leiter des Naturkundemuseums: „Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich bin“, so sein erstes Statement. Als Vogel das Haus vor sieben Jahren übernahm, war es noch Teil der Humboldt-Universität und als Landeseinrichtung des notorisch überschuldeten Berlin zum Zwangssparen verdammt. Noch nicht einmal die Weltkriegsschäden waren damals endgültig beseitigt.

Vogel führte das Museum in die Leibniz-Forschungsgemeinschaft, in die auch nennenswerte Bundesgelder fließen, wo es seitdem das Flaggschiff der insgesamt acht „Forschungsmuseen“ ist. In ihnen werden Natur- und Kunstschätze nicht nur ausgestellt, sondern auch wissenschaftlich untersucht. Beim MfN liegt der Schwerpunkt auf Evolutions- und Biodiversitätsforschung.

Damals entwickelte Vogel seine weitreichenden Kommunikationsvisionen, mit denen er seitdem bei allen finanzkräftigen Instanzen hausieren geht. „Wir leben in einer Welt mit großen Problemen, für die wissenschaftliche und gesellschaftliche Lösungen dringend gefunden werden müssen“, lautet seine Überzeugung. Publikumsmuseen wie sein Haus sollen zu den Orten werden, wo sich Wissenschaft und Gesellschaft treffen können, um Strategien gegen Klimawandel, Artensterben und Vermüllung der Meere zu beraten und Allianzen zu schmieden. „Wir können die Welt retten, wenn wir es gemeinsam anpacken“, sagt Vogel. Forschungsmuseen sollen nicht Guckkästen in eine verloren ­gehende Natur sein, sondern Motoren für den Umstieg auf eine nachhaltige Entwicklung.

Ein dickes Brett durchbohrt

Das dicke Brett hat der MfN-Chef jetzt für seinen Artentempel mit 30 Millionen Sammlungsobjekten durchbohrt. In ähnlicher Weise war Vogel schon vor einigen Jahren beim Bundestag erfolgreich: nicht über den regulären Etat des Forschungsministeriums, sondern über den „Seitenkanal“ des Haushaltsschusses, der über disponible Gelder in den „Bereinigungssitzungen“ der letzten Etatverhandlungen verfügen kann. So wurde auch ein Sonderprogramm von 10 Millionen Euro für die Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft finanziert, die daraus unter anderem die Digitalisierung ihrer Bestände und neue Kommunikationsformate voranbringen konnte. Auch der erste Weltgipfel der Forschungsmuseen, der Anfang November in Berlin stattfand, konnte aus diesem Topf bezahlt werden.

Nun also die Großinvestition. Auch bei den Beratungen der letzten Bundeshaushalte war das MfN im Rennen, jedoch erfolglos. „Ich bin stolz wie Bolle, dass es uns im dritten Anlauf endlich gelungen ist, die Finanzierung für die Sanierung dieses großartigen Museums sicherzustellen“, sagte Johannes Kahrs als Vorsitzender des Haushaltsausschusses vor der imposanten Kulisse des Brachiosaurus. Für Stephan Junker, Geschäftsführer des Museums, geben die 660 Millionen „Planungssicherheit für die nächsten 10 Jahre“. In dieser Zeit soll auch ein „Wissenschaftscampus in Zusammenarbeit mit der Humboldt-Universität, der Leibniz-Gemeinschaft und weiteren Partnern“ entwickelt werden, Arbeitstitel „Forschungs- und Kommunika­tionsforum für Natur- und Lebenswissenschaften“.

Im Museum soll die Ausstellungsfläche von derzeit 5.000 auf 25.000 Quadratmeter verfünffacht werden. Viele Exponate aus der Welt der Tiere und Gesteine schlummern seit Jahrzehnten unbestaunt in den Depots. Die Digitalisierung wird vorangetrieben, auch um die Naturschätze via Internet verbreiten zu können. Nicht zuletzt spielt der Brandschutz eine wichtige Rolle. „In Berlin darf nicht so etwas passieren wie in Rio de Janeiro“, sagt Johannes Vogel. Dort war das Brasilianische Nationalmuseum vor wenigen Wochen vollständig ausgebrannt. Ein Schock für alle Museumsdirektoren.

Ein weiteres Ziel ist es, Sammlung und Forschung für die Besucher „erlebbar zu gestalten und damit die Gesellschaft nicht nur zu begeistern, sondern noch mehr als bisher am Forschungsgeschehen teilhaben zu lassen“, erklärt der Museumschef. Neue Ausstellungsformate und Beteiligungsformen wie „Citizen ­Science“ sollen erprobt werden. Damit will das Museum seine „Ausstellungen zu den meistbesuchten Europas entwickeln“. 2017 zählte es rund 632.000 Besucher.

Nur einer wird beim Aufstieg in die Champions League der Weltmuseen fehlen: Tristan Otto, seit 2015 eine Leihgabe des Besitzers Niels Nielsen zur Ausstellung und Untersuchung, verlässt Berlin zum Jahresende. Dafür verbleiben dem Museum seine eigenen Saurier-Skelette aus allen Erdzeitaltern, so viel wie in keinem anderen.

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