Winfried Kretschmann gelobt Besserung

Männerhorden in die Pampa schicken? Baden-Württembergs Ministerpräsident relativiert seine umstrittenen Sätze. Grünen-Chefin Baerbock vermisst „die nötige Differenzierung“

Ministerpräsident Winfried Kretschmann Foto: Christoph Schmidt/dpa

Von Ulrich Schulte

Winfried Kretschmann gab sich am Dienstag in der Stuttgarter Landespressekonferenz reumütig. „Das war keine erfolgreiche Aktion“, sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident. Sie habe nur zu „Missverständnissen“ geführt. In Zukunft, gelobte er, werde er sich streng an eine „staatstragende Linie“ halten.

Der selbstbewusste Grüne gesteht einen Fehler ein? Das ist ungewöhnlich. Kretschmanns Zurückrudern hat eine Vorgeschichte. Sie sagt viel aus über die Grünen, die sich als unpopulistischer Gegenpol zur AfD verstehen. Die aber auch Probleme mit Geflüchteten nicht ignorieren wollen – und dabei manchmal übers Ziel hinausschießen.

Vor einigen Tagen, pünktlich zum Grünen-Parteitag, platzierte Kretschmann eine markige Botschaft. Salopp gesagt seien „junge Männerhorden“ das Gefährlichste, was die menschliche Evolution hervorgebracht habe, wetterte er in der Heilbronner Stimme und dem Mannheimer Morgen. Großstädte seien für sie attraktiv, weil sie dort anonym seien und Gleichgesinnte träfen. „Solche Gruppen muss man trennen und an verschiedenen Orten unterbringen.“ Der Gedanke, einige von ihnen „in die Pampa“ zu schicken, sei nicht falsch.

Gefährliche Männerhorden in die Pampa schicken? Das Interview, das am Samstag erschien, platzte in den Parteitag wie eine Bombe. Just am selben Tag wurde das flüchtlingspolitische Kapitel des Europaprogramms diskutiert, das vor allem humane Töne anschlägt. Viele Delegierte waren irritiert. „So ein Interview ist eine Unverschämtheit“, zischte eine linke Grüne. Die Kretschmann Wohlgesonnenen wiesen darauf hin, dass er in Baden-Württemberg unter Druck steht.

In Freiburg soll Mitte Oktober eine 18 Jahre alte Studentin nach einem Disco-Besuch von mehreren Männern vergewaltigt worden sein. Sieben Syrer und ein Deutscher sitzen in Untersuchungshaft. Im Bundesland wird seither eine hitzige Debatte über Sicherheit geführt.

Der Bundesvorstand wurde von Kretschmanns Vorstoß überrascht – und verständigte sich hektisch auf eine Sprachregelung. „Ich hätte es anders formuliert, aber in der Sache unterstreicht Kretschmann das, wofür wir Grünen lange streiten“, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Bestimmte Strukturen beförderten Gewalt. „Daher haben wir immer gesagt, dass es für Asylsuchende dezentrale Unterbringung geben muss.“

Doch die Krisen-PR des Wochenendes trifft nicht den Punkt. Die Grünen treten zwar für eine „möglichst dezentrale Unterbringung“ (Bundestagswahlprogramm 2017) der Geflüchteten ein. Allerdings verwenden Grünen-PolitikerInnen diesen Begriff in anderen Kontexten. Flüchtlinge bräuchten Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe und eigenen Wohnraum, heißt es gerne. Nur so gelinge Integration.

Kretschmann aber hat etwas anderes im Sinn. Er möchte junge, gefährliche Männer in die Provinz schicken. Und er brandmarkt mit dem Begriff „Männerhorden“ eine ganze Gruppe von Menschen, gegen die Rechte seit Jahren hetzen. „Kretschmann diffamiert eine ganze Gruppe aus sehr unterschiedlichen Individuen“, resümiert eine Grüne, die sich mit Flüchtlingspolitik auskennt. So wie er könne auch Horst Seehofer argumentieren.

Die taz bittet Kretschmanns Sprecher am Dienstag um eine Präzisierung. Wen meint er genau mit gefährlichen, jungen Männerhorden? Ab wann ist eine Kleinstadt klein genug, um „Pampa“ zu sein? Was würde er BürgerInnen in Kleinstädten sagen, die ja auch Angst vor gefährlichen Männern haben? Auch den Grünen-Vorsitzenden in Berlin stellt die taz Fragen. Stellen sie sich wirklich „in der Sache“ hinter Kretschmann? Bis wann ist man jung und wie bemisst sich Gefährlichkeit? Plädieren sie dafür, geflüchtete Frauen und Männer zu trennen? Könnten die betroffenen Männer nicht nach Artikel 3 Grundgesetz – dem Gleichheitsgrundsatz – klagen?

Die grüne Parteispitze sieht lieber davon ab, auf jede einzelne Frage der taz zu antworten

Die Pressesprecherin der Grünen ruft an. Aus Gründen der Vertraulichkeit soll aus diesem Gespräch nicht zitiert werden. Nur so viel: Die Parteispitze will lieber davon absehen, auf jede einzelne Frage zu antworten. Die Vorsitzende Baerbock lässt am Mittwoch Sätze schicken: „Uns liegt kein Konzept vor. Aber wenn gemeint ist, dass man kleine gewaltbereite Gruppen trennt, um Strukturen zu durchbrechen, ist das durchaus richtig.“ Sie habe aber bei Kretschmanns Äußerungen die nötige Differenzierung vermisst.

Auch Kretschmanns Sprecher Rudi Hoogvliet meldet sich. Das Interview sei an der einen oder anderen Stelle „zu emotional formuliert“. Straftäter wie die in Freiburg gehörten hinter Schloss und Riegel. Es gehe Kretschmann um Störenfriede, also Flüchtlinge, die mal einen Ladendiebstahl begingen, schwarzführen oder Leute anpöbelten. „Die Störer zu trennen, darauf kommt es an.“

So habe zum Beispiel eine Gruppe auffälliger unbegleiteter Minderjähriger in Mannheim ihr Unwesen getrieben. Diese Gruppe sei aufgelöst und die einzelnen Geflüchteten in jeweils anderen Kommunen untergebracht worden – „mit gutem Ergebnis“. Das sei mit „in die Pampa schicken“ gemeint.

Nüchtern erklärt ist Kretschmanns Anliegen durchaus diskussionswürdig. Aber ein ausgearbeiteter Plan existiert nicht. Anders gesagt: Die Grünen haben einen Ausflug in den Populismus unternommen – ohne zu wissen, was sie überhaupt ­wollen.