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heute in bremen„Eine lange Kette von Fehlern und Skandalen“

Tanjev Schultz, 44, Journalist, Publizist, und Politologe, ist seit 2016 Professor für Journalismus an der Gutenberg-Universität Mainz.

Interview Benjamin Moldenhauer

taz: Herr Schultz, im Jahr 2000 beging der NSU seinen ersten Mord, Behörden und Medien vermuteten die Täter im Drogen- oder Geldwäsche-Milieu: „Die schwer durchdringbare Parallelwelt der Türken schützt die Killer“, schrieb der Spiegel noch 2006. Wie kann es sein, dass jahrelang in die falsche Richtung ermittelt worden ist?

Tanjev Schultz: Eine endgültige Erklärung dafür habe ich nicht. Es gab damals zwar keine offensichtlichen Spuren in die rechtsextremistische Szene, aber auch keine in eine angebliche türkische Parallelwelt. Die Polizei hat sich trotzdem auf die Bahn begeben, die Täter ausschließlich in der türkischen Community zu suchen. Die Opferfamilien haben damals schon vermutet, dass die Täter Rechtsextreme gewesen sein müssen. Das haben die Behörden als bloße Vermutungen abgetan.

Der NSU-Komplex ist ein Fest für Verschwörungstheoretiker. Ein Verfassungsschützer ist zur Zeit einer der Morde am Tatort, Akten werden geschreddert, Zeugen sterben. Passt da noch der Begriff Behördenversagen?

Es gab eine lange Kette von Fehlern und Skandalen. Die muss man im Einzelnen nachvollziehen, sonst wird es tatsächlich verschwörungstheoretisch. Man muss differenzieren, was Zufall, was Systemfehler und was Absicht gewesen ist. Bei mehr als 1.000 Zeugen ist es zum Beispiel statistisch nicht unwahrscheinlich, dass während eines so langen Prozesses Zeugen sterben. Das Schreddern der Akten hingegen war Absicht. Die Frage ist: wozu? Dass in den Akten ein Komplott dokumentiert wurde, dafür spricht wenig. Es ist ein Riesensumpf, den man durchwaten muss. Aber die These, dass der Staat Bescheid wusste und den NSU hat morden lassen, halte ich für Quatsch.

2012 haben Sie den Behörden einen „Mangel an Demut und ehrlichem Aufklärungswillen“ attestiert. Hat sich diese Haltung während des Prozesses geändert?

Leider war dieser Mangel bei etlichen Behördenvertretern immer noch zu spüren. Einige Zeugen aus Ermittlerkreisen haben sich sehr seltsam aufgeführt. Es traten Agenten auf, die unter Kapuze und Perücke ausgesagt haben und widerwillig in ihrem Antwortverhalten waren. Einige wirkten nicht weniger renitent als die Zeugen aus der Neonazi-Szene. Ein leitender Polizeibeamter meinte, man solle nicht so tun, als gäbe es keine türkische Mafia. Diesen Satz im Gerichtssaal rauszupoltern, war nicht nur taktlos, sondern dumm. Es hat sich auch, von Einzelnen abgesehen, bis heute niemand bei den Opferfamilien entschuldigt.

Der Terror von rechts und das Versagen des Staates – Buchvorstellung und Diskussion, heute, 12. 11., Theater am Goetheplatz (Foyer), 19.30 Uhr

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