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Verloren in der neuen Heimat

Zwei Drittel der Geflüchteten, die in Deutschland leben, sind Männer. Wie es ihnen hier geht, bleibt oftmals unbekannt. Eine Studie beleuchtet nun die Situation – mit ernüchterndem Fazit

„Es entsteht Frust“: Viele geflüchtete Männer werden hierzulande schnell ausgebremst Foto: Frank Molter/dpa

Von Simone Schmollack

Sajad Farid ist 23 Jahre alt und vor drei Jahren allein aus Afghanistan nach Deutschland geflohen. Wenn man ihn fragt, was er bisher in diesem Land gemacht hat, sagt er: „Umziehen.“ Fünfmal hat er schon den Wohnort gewechselt, von Bayern nach Hessen und von dort nach Berlin. Jetzt lebt er in Lichtenberg, im Osten der Hauptstadt.

Farid hat keine Arbeit, in die Willkommensklasse geht er nicht mehr, am Nachmittag hängt er mit anderen jungen Männern auf der Wiese vor dem Heim herum. Manchmal gibt es Streit zwischen ihnen, dann wird es laut, hin und wieder gibt es Schlägereien. Meistens aber langweilt sich der junge Mann, er weiß nicht, was er mit seinem Leben anfangen soll. ­Weiter zur Schule gehen? Vielleicht einen Beruf lernen? Farid winkt ab: „Das Jobcenter zahlt für das Heim und gibt mir ein bisschen Geld zum Leben. Das ist alles, mehr passiert nicht.“ Er fragt: „Warum heißt das Jobcenter Jobcenter? Es gibt mir keinen Job.“

Farid ist ein ganz gewöhnlicher Fall. So wie ihm geht es Tausenden Geflüchteten in Deutschland. Rund zwei Drittel der Geflüchteten aus Afrika, Afghanistan, Syrien, Irak sind junge Männer. Meist kommen sie ohne Familie und treffen hier auf ein vollkommen unbekanntes und in der Regel meist völlig anderes Leben als in der Heimat. Wie geht es ihnen damit? Es bleibt bisher weitgehend unbekannt.

Eine Studie des Bundesforums Männer (BFM), einem Interessenverband für Jungen-, Männer- und Väterpolitik, der vom Familienministerium gefördert wird, bringt hier nun etwas Licht ins Dunkel. Am Freitag wird sie auf einer Konferenz in Berlin vorgestellt. Es ist die erste Studie, die das Leben geflüchteter Männer in Deutschland beleuchtet.

„Niemand weiß so recht, wie es geflüchteten Männern geht und wir ihr Leben hierzulande wirklich aussieht“, sagt Dag Schölper vom Bundesforum Männer. Dessen Studie ist – ketzerisch formuliert – aus Hilflosigkeit geboren. Beim Bundesforum arbeiten „erfahrene Jungen- und Männerberater“, so Schölper: „Aber kaum jemand verfügt über interkulturelle Kompetenz.“ Niemand hierzulande weiß also genau, was die Männer umtreibt, was sie wollen und wünschen und wie man am besten mit ihnen umgeht.

Die Ergebnisse der Untersuchung sind teils erwartbar, teils überraschend. Die meisten jungen Männer wollen zur Schule gehen, einen Beruf lernen, eine Familie gründen. Sie wollen engen Kontakt zu Deutschen und sich integrieren, ohne ihre Kultur aufgeben zu müssen. Aber all das klappt mehr schlecht als recht. So fürchten sie eher Zusammenkünfte mit Deutschen, weil ihnen nahezu überall suggeriert werde, dass „Flüchtlinge schlecht seien“. So steht es in der Studie. Das hat zur Folge, heißt es in dem Papier, dass viele geflüchtete Männer nur schleppend Deutsch lernen, sich von Einheimischen eher zurückzuziehen statt auf sie zuzugehen.

In ihren Heimatländern arbeiteten die Männer mitunter bis zu zwölf Stunden am Tag, hier haben sie nichts zu tun. Die Jobs und die Großfamilien, in denen sie lebten, regelten den Alltag. In Deutschland gibt es das alles nicht mehr. Aber wer erklärt den Männern das Leben hier? Sagt ihnen, welche Prinzipien sie in jedem Fall einhalten müssen? Wie sie sich zu verhalten haben, MitarbeiterInnen in den Unterkünften gegenüber, Frauen, anderen Männern?

„Niemand“, sagt Dag Schölper vom Bundesforum Männer. Dieses „Vakuum“ habe mehrere Ursachen. Eine davon ist in der Kölner Silvesternacht 2015/16 begründet, bei der es auf der Domplatte am Hauptbahnhof zu zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Frauen durch migrantische Männer gekommen war. Seitdem gelten männliche Geflüchtete nicht selten als Grapscher und Vergewaltiger. Dass dieses Bild in dieser Ausschließlichkeit falsch ist, zeigen nicht nur Untersuchungen zu Gewalt an Frauen, das beweisen die Geflüchteten selbst. Die meisten von ihnen führen ein unauffälliges Leben, unbeobachtet und jenseits der Mehrheitsgesellschaft. Mit Deutschen außerhalb ihrer Unterkünfte und der Behörden haben sie selten Kontakt. Die Deutschen kennen die Geflüchteten nicht, die Geflüchteten die Deutschen nicht.

„Die hohe Anfangsmotivation der jungen Männer wird durch oft sehr lange Wartezeiten ausgebremst, sei es auf einen Sprachkurs oder auf eine Arbeitserlaubnis“, heißt es in der Studie. Die Enttäuschungen seien dann meist sehr groß, sagt Dirk Siebernik, Mitarbeiter bei „movemen“, einem BFM-Projekt, das seit einem Jahr mit migrantischen Männern arbeitet. Siebernik sagt: „Solche Rückschläge sind für die Männer meist psychisch stark belastend.“

Da ist zum Beispiel Peter, 30 Jahre, aus Nigeria. Seit zwei Jahren ist er auf der Suche nach einem Job. Er will eine Familie gründen, Kinder haben. „Mit diesem Leben kann ich das nicht“, sagt der Mann, der für die Studie befragt wurde. Durch die Flucht sind viele Männer traumatisiert, sie leiden an Schlafstörungen, Albträumen, Depressionen. „Durch die überfüllten Unterkünfte und langen Wartezeiten entsteht zusätzlicher Frust“, sagt Siebernik. Das indes können die Männer nicht zugeben, es entspricht nicht ihrem männlichen Selbstbild, das vor allem durch Stärke und Autarkie geprägt ist. Das wiederum mache sie hilflos und einsam, sagt Siebernik: „Sehr viele benötigen therapeutische Hilfe.“ Aber die bekommen die Männer hier in der Regel nicht.

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