Museum im alten Trainingsbunker: Vergessenes Staatsgeheimnis

Die DDR ließ unter dem heutigen Olympia-Trainingszentrum Kienbaum eine Unterdruckkammer errichten. Heute kann man sie auf Anfrage besichtigen.

Trainingsfahrräder und Monitoren und Kabel in einem Museum: die einstige Unterdruckkammer in Kienbaum

In einem Bunker unter dem Olympischen und Paralympischen Trainingszentrum für Deutschland in Kienbaum: die Unterdruckkammer – heute ein Museum Foto: Stefanie Loos

An den Wänden hängen die alten Granden: die Hochspringerin Rosi Ackermann, der Kanute Rüdiger Helm, die Turnerin Karin Janz. Der unvermeidliche Erich Honecker, umringt von Sportlern, ist natürlich auch abgebildet. Ein Jahrzehnt lang plagten sich hier, in diesem Bunker unter der Erde von Kienbaum, DDR-Sportler auf einer simulierten Höhe von bis zu 4.000 Metern für den sportlichen Sieg des Sozialismus. Die Existenz der Anlage wurde penibel geheim gehalten, Trainer und Sportler unterschrieben Verschwiegenheitserklärungen. Nicht mal die Russen durften wissen, was hier entwickelt wurde. Irgendwann erfuhren sie es doch – und waren nicht amüsiert.

Jetzt ist es still und kühl hier unten. Bis zu drei Meter dicke Betonwände trennen Besucher von der Außenwelt. In den Trainingskammern stehen bis heute die Ergometer, die Laufbänder, über dem leeren Kanubecken liegen alte Kanus, pfleglich aufbewahrt, als könne man gleich lospaddeln. Rundherum sprödes DDR-Flair in Grün- und Brauntönen, aber auch etwas Weltraumkapsel-Atmosphäre, ästhetischer nostalgischer High Tech, veraltete Zukunft. Stanley Kubrick hätte hier Spaß gehabt.

„Wir haben alles, was wir in Kienbaum gefunden haben, hier ausgestellt“, sagt Klaus-Peter Nowack. Der Geschäftsführer des Bundesleistungszentrums Kienbaum hat die Trainingskammer mit viel Liebe zum Detail bewahrt und Fundstücke zusammengetragen. An der Wand des Untersuchungsraums für die Athleten reihen sich heute DDR-Sportbücher, alte Tonbandgeräte und auf einem Schreibtisch gefundene Zeitungsstapel aus der Wendezeit.

Tatsächlich ist das hier ein Museum, kein Lost Place. Allerdings ein so selten besuchtes, dass es einem Lost Place ziemlich nahe kommt. Werbung oder Öffnungszeiten gibt es nicht. Einmal im Monat werden Menschen, die irgendwie selbst darauf kommen, hindurchgeführt. Die taz-Anfrage erntet Skepsis. Nowack macht grundsätzlich nicht den Eindruck, wild auf Besucher zu sein. „Wir wollen es für die Nachwelt erhalten, aber nicht, dass jeden Tag hier jemand vor der Tür steht.“ Zum Schutz der heutigen Athleten im Olympischen und Paralympischen Trainingszentrum, sagt er, und wegen fehlender personeller Kapazitäten. Ein paar Rentner, meist ehemalige Angestellte, kümmern sich ehrenamtlich um die Instandhaltung. Sonst niemand. Ein interessierter, kritischer Umgang mit dem DDR-Sport bleibt offenbar schwierig.

Damals eine Weltneuheit

Während der Olympischen Spiele 1968 in Mexiko-Stadt entdeckten DDR-Wissenschaftler die positiven Effekte von Training in der Höhenluft. Weil im Inland die Berge fehlten, konstruierten sie unterhalb der bereits bestehenden Kaderschmiede Kienbaum, dem Zentrum des olympischen Sports, unter höchster Geheimhaltungsstufe eine Unterdruckkammer. Doping ist Höhentraining übrigens nicht. Bis heute gilt es als legale Leistungssteigerung. Nowack beziffert die Kosten für die Kammer auf 15 Millionen DDR-Mark. Niemand hatte bis dahin weltweit so etwas gebaut. 1979 geht die Kammer in Betrieb.

Sportgeräte wie ein Laufband in einem Museum: der Unterdruckkammer in Kienbaum in Brandenburg

Kienbaum: Trainingsgeräte in der Unterdruckkammer, die Höhenluft-Atmosphäre erzeugt Foto: Stefanie Loos

Durch eine Schleuse betreten die Athleten die Unterdruck-Trainingskammern. Vor allem Ausdauersportler wie Radfahrer, Kanuten, Läufer müssen hierher. Schwenkbare Kameras überwachen das Training, die Sportgeräte sind oft Prototypen aus Eigenbau: Ein Förderband mit Zugwiderstand, der stärker wird, je schneller der Athlet läuft. Laufbänder, die bergauf oder bergab simulieren. Kanu-Paddel, die Krafteinsatz, Wasserwiderstand und Schlagfrequenz messen. „Es war aus heutiger Sicht eine sehr große Ingenieursleistung“, sagt Nowack.

Wissenschaft und menschenfeindliche Versuche liegen hier eng beieinander. In einem Experiment, das Nowack schildert, habe man Athleten 13 Tage ununterbrochen in der Kammer behalten wollen. Nach 11 Tagen habe man abbrechen müssen. „Die waren mental nicht mehr in der Lage, weiterzumachen.“

Das Trainingszentrum im brandenburgischen Kienbaum befindet sich überirdisch auf dem Gelände. Ab den Fünfzigern wurde es vom DDR-Sport als Trainingsstätte genutzt und bis 1990 durch den Deutschen Turn- und Sportbund der DDR geführt. Nach der Wende ab 1997 Bundesleistungszentrum. Heute offizielles „Olympisches und Paralympisches Trainingszentrum für Deutschland“; wird u. a. von Leichtathletik, Turnen und vielen Kampf-, Wasser- und Wintersportarten genutzt.

Die Unterdruck-Kammer wurde durch die Erkenntnisse zur Leistungsfähigkeit in der Höhe während der Olympischen Spiele 1968 in Mexiko-Stadt inspiriert. 1977 begann der Bau, 1979 der Betrieb. Bis zur Wende trainierten in dem Bunker DDR-Sportler in simulierter Höhe von bis zu 4.000 Metern. Vor allem Ausdauersportler wie Läufer, Radfahrer und Kanuten nutzten die Kammer, aber auch andere Sportler. Heute ein Museum. (asc)

Zur Wendezeit, da ist die Kammer kurz begehrt, strömen die Funktionäre aus dem Westen her, um zu sehen, wie die Ossis ihre sportlichen Wunder vollbrachten. Und was man davon mitnehmen könnte. Eine zeitgenössische Spiegel-Recherche listet auf, wie viele der ehemaligen DDR-Trainer und Funktionäre mit Dopingverwicklung damals in den westlichen Ländern eine neue Anstellung im Spitzensport fanden. Es ist eine lange Auflistung. „Komatös“ nannte 2015 Ex-DDR-Sprinterin Ines Geipel die Doping-Aufarbeitung durch den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und die Politik, einen sauberen gesamtdeutschen Sport nach der Wende „ein Märchen“.

Heute längst stillgelegt

Die Unterdruckkammer wird unterdessen stillgelegt. Drei Gründe, glaubt Klaus-Peter Nowack, waren für die Entscheidung verantwortlich: „Erstens war der DDR-Sport durch Doping belastet. Zweitens gab es auf die Kammer keinen TÜV. Und natürlich hat man drittens auch die Betriebskosten betrachtet.“ Ein Tag habe ungefähr 5.500 Euro gekostet. Was dann doch niemand zahlen wollte.

Heute liegt der Bunker in einem schläfrigen Zwischenzustand da. Wird sich irgendwer kümmern, wenn die Rentner nicht mehr sind?

Das Interesse hält sich in Grenzen. Besuchermassen sind im abgelegenen Kienbaum, das zur Gemeinde Grünheide südöstlich von Berlin gehört, eher nicht zu erwarten. Einmal die Stunde fährt hierher ein Reisebus, vorbei an Orten wie Heidekrug und Herzfelde und Hennickendorf. Auf dem Rückweg grüßt der Fahrer freundlich, es ist derselbe wie auf der Hinfahrt.

Klaus-Peter Nowack sagt, er hätte am liebsten, wenn ein Museum mit einsteigen würde: „Man ist hier direkt in der Geschichte drin, nicht in einem Neubau. Es wäre wichtig, dass einer sagt: Ich helfe euch. Wir versuchen, zu erhalten, wie es ist, aber ich kann nichts weiter machen, weil ich keine Mittel habe.“ 180.000 bis 250.000 Euro brauche er für Brandschutz, Infrastruktur, Infotafeln.

Und wer weiß, was geworden wäre, wäre die DDR nicht zusammengebrochen. Im Bundesarchiv fand Nowack Pläne für eine weitere Höhentrainingsanlage. Eine Halle mit einem 5-x-50-Meter-Schwimmbecken, einer 400-Meter-Leichtathletikanlage und 60 Übernachtungsplätzen. „Die Planungen sind komplett fertig gewesen.“ Der Architekt ging damals in die USA. Eine kleinere Version seiner Planungen steht heute in San Diego.

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