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Nationalisten geschwächt

Bei den Wahlen in Bosnien und Herzegowina muss der nationalistische Serbe Dodik Federn lassen, der nationalistische Kroate Čović wird zugunsten eines Linken abgewählt

Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Noch sind nicht alle Wahlergebnisse in Bosnien und Herzegowina veröffentlicht, fest steht aber am Montag der wenig überzeugende Sieg des „starken Mannes“ der serbischen Teilrepublik für den serbischen Sitz im dreiköpfigen Staatspräsidium des Landes, Milorad Dodik. Sein Pendant auf kroatischer Seite, der Chef der kroatischen Nationalpartei HDZ, Dragan Čović, verlor sogar seinen Sitz in der höchsten Staatsführung an einen explizit nichtnationalistischen Kroaten – den sozialdemokratisch ausgerichteten Linke Željko Komšić. Den für die bosnischen Muslime (Bosniaken) reservierten Sitz im Staatspräsidium gewann der eher zurückhaltend auftretende Kandidat Šefik Džaferović.

Im Staatspräsidium sitzt jeweils ein Vertreter der Bosniaken, Serben und Kroaten, den sogenannten „konstitutiven Nationen“ von Bosnien und Herzegowina. Der Balkanstaat hat ein höchst komplexes politisches System. Die Verfassung – im Friedensvertrag von Dayton festgelegt, der den Bosnienkrieg (1992 bis 1995) beendete – legt eine ethnische Aufteilung fest: Bosnien und Herzegowina setzt sich demnach aus zwei Entitäten zusammen, der serbischen Teilrepublik Republika Srpska und der muslimisch-kroatischen Föderation Bosnien und Herzegowina. In deren dreiköpfiges Staatspräsidium, das unter anderem für Außen- und Verteidigungspolitik zuständig ist, entsenden Serben, Muslime und Kroaten je einen Vertreter.

Es wurden am Sonntag nicht nur diese drei Präsidenten neu gewählt, sondern auch die Parlamente des Gesamtstaates und die der beiden Entitäten sowie der Kantone. Die Parlamente der Entitäten sind wichtiger als die des Gesamtstaates, sie besitzen weitaus größere Befugnisse – etwa Wirtschaftspolitik, innere Sicherheit und Bildung.

Die Hälfte der 3,5 Millionen Einwohner des Landes sind Muslime, rund 30 Prozent sind ethnische Serben. Die Kroaten, die 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen, fühlen sich durch das Wahlrecht benachteiligt, weil es aufgrund der Zusammenführung von muslimischen Bosniaken und Kroaten in einer Entität den Bosniaken erlaubt, das kroatische Mitglied des Staatspräsidiums mitzuwählen. Das hat jetzt für den Machtwechsel gesorgt: der kroatische Vertreter Komšić wurde mit Hilfe muslimischer Stimmen in sein Amt getragen. Deshalb protestiert der kroatische Wahlverlierer Dragan Čović nun und will auf allen Ebenen des Staates die parlamentarische Arbeit behindern.

Man muss sich also auf unruhige Zeiten einrichten. Čović kündigte auch an, eine eigene Polizeitruppe aufzustellen und eine eigene dritte kroatische Entität zu gründen. Dieses Vorhaben hat jetzt schon große Unruhe ausgelöst.

Im Kanton Sarajevo scheinen linke Parteien eine Mehrheit erreicht zu haben

Im Staatspräsidium steht mit dem Serben Milorad Dodik jetzt ein Nationalist gegen zwei ­Vertreter politischer Strömungen, die an einem gemeinsamen ­Bosnien und Herzegowina festhalten wollen, wobei eben der kroatische Vertreter sich auf Widerstand seines unterlegenen Widersachers einstellen muss.

In den Parlamenten hat sich nach ersten Informationen wenig verändert. Im Kanton Sarajevo scheinen die linken Parteien zusammengenommen eine Mehrheit erreicht zu haben, die Sozialdemokraten sind in den Städten Tuzla und Zenica weiterhin stark. Doch die Prozeduren werfen Fragen auf. Gut die Hälfte der 3,4 Millionen registrierten Wähler – eine suspekte Zahl bei 3,5 Millionen Einwohnern – hat an der Wahl teilgenommen. Obwohl nur rund 1,7 Millionen Stimmzettel auszuzählen waren, blieb die staatliche Wahlkommission auch 14 Stunden nach Wahlschluss am Montagvormittag immer noch die meisten Ergebnisse schuldig. Es gab keine belastbaren Resultate für das Bundesparlament, weil noch ein Drittel der Stimmzettel auf ihre Auszählung wartet. Auf der anderen Seite berichteten Medien und Politiker von zahlreichen Unregelmäßigen bei der Wahl. Hunderte von Mitgliedern lokaler Wahlkommissionen sollen zurückgetreten sein.

Vor allem in den Serben- und Kroatengebieten sind öffentlich Beschäftigte unter Druck gesetzt worden. So berichtete der Universitätsprofessor Slavko Kukić, Professoren und Assistenten der Universität im kroatischen Mostar hätten eine Unterstützungserklärug für den Nationalisten Čović unterschreiben müssen.

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