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Bunter und lauter

Rund 5.000 Menschen demonstrieren beim „Marsch für das Leben“ in Berlin gegen Abtreibung und Sterbehilfe. Der flashmobartige Gegenprotest ist kleiner, aber kreativer

Aus Berlin Frederik Eikmanns und Patricia Hecht

Schweigend und in Stille durch Berlin zu ziehen hat nicht geklappt: Der Marsch der sogenannten LebensschützerInnen am Samstag wurde fast über die gesamte Strecke von kleineren und größeren Gegenprotesten begleitet. Eine Sitzblockade führte kurzzeitig dazu, dass die TeilnehmerInnen des „Marschs für das Leben“ nur an einer Straßenseite langsam weitergehen konnten. Immer wieder tauchten zudem flashmobartig Grüppchen von zehn, zwanzig Menschen auf, die „My body, my choice“ skandierten oder „Hätt Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben!“.

Rund 5.000 Menschen waren laut Polizeiangaben zur bundesweit größten Kundgebung der Pro-Life-Szene vor dem Berliner Hauptbahnhof gekommen, die der Bundesverband Lebensrecht veranstaltet. Dessen Ziele: gegen Abtreibung und Sterbehilfe mobil zu machen. Unionsfraktionschef Volker Kauder sendete wie schon in den vergangenen Jahren ein Grußwort, ebenso verschiedene evangelische Bischöfe und die Deutsche Bischofskonferenz. Auch viele Mitglieder der AfD waren offenbar vor Ort, wie der Vorsitzende der Christen in der AfD, Joachim Kuhs, der der taz sagte: „Wir stehen hinter dieser Sache.“ Der Marsch gibt sich betont überparteilich, hat aber stabile Verbindungen unter anderem zur AfD.

Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, dem unter anderem Frauenorganisationen, Grüne, Linke und Gewerkschaften angehören, hatte zur Gegendemonstration am Brandenburger Tor aufgerufen. Nach Angaben der VeranstalterInnen kamen rund 1.500 Menschen. Das Motto: „Paragraf 219a ist erst der Anfang! Frauen-Leben schützen, Abbrüche legalisieren.“ Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs stellt „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe, worunter allerdings auch die Information über Abbrüche etwa auf Websites von ÄrztInnen fällt.

Zu spüren bekommen hat das auch die Berliner Gynäkologin Bettina Gaber, die von AbtreibungsgegnerInnen angezeigt wurde. Als Gaber am Samstag auf dem Lkw steht, der dem Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung als Bühne dient, wird sie danach gefragt, ob sie die Information deshalb aus dem Netz genommen habe. Ihre Antwort geht im Jubel fast unter: „Das habe ich ganz bewusst nicht getan!“ Bis vor das Verfassungsgericht wolle sie ziehen.

„Der Paragraf 219a muss abgeschafft werden. Er verhindert Informationsfreiheit und kriminalisiert ÄrztInnen. Dass hier so viele Menschen sind, gibt dieser Forderung Rückenwind“, sagt Gesine Agena, frauenpolitische Sprecherin der Grünen, der taz.

„Der Paragraf 219a muss abgeschafft werden“

Gesine Agena, frauenpolitische Sprecherin der Grünen

Auf dem Washingtonplatz vor dem Hauptbahnhof, Luftlinie etwa eineinhalb Kilometer vom Brandenburger Tor entfernt, sammeln sich währenddessen die sogenannten LebensschützerInnen zu ihrer Auftaktkundgebung. Grüne Luftballons wehen über ihren Köpfen, manche tragen Rosenkränze in der Hand. „Wir trauern um die vielen tausend Kinder, die durch Abtreibung ums Leben kamen“, steht auf Schildern.

Gegen 13 Uhr setzt sich der „Marsch für das Leben“ in Bewegung. Doch nach etwa einer halbe Stunde reißen plötzlich Einzelne aus und bilden eine Blockade quer über die Straße: Offenbar hatten sich GegendemonstrantInnen unter den Zug gemischt. Von scheinbar überall her strömen wie auf ein stilles Kommando weitere, bis schließlich rund 200 Menschen auf dem Boden sitzen. Sie halten Schilder hoch, auf denen „Gegen christlichen Fundamentalismus“ steht. Nach rund 20 Minuten löst sich die Blockade von selbst wieder auf.

Insgesamt habe es bei den Demonstrationen 18 Festnahmen gegeben, sagte ein Sprecher der Polizei der taz. Strafermittlungsverfahren wurden unter anderem wegen Körperverletzung und Störung der Religionsausübung eingeleitet. Eine Person sei leicht verletzt worden.

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