Reportage aus dem Hambacher Forst: (Staats-)Gewalt im Wald
Der Klang des Waldes und der seiner Zerstörung: RWE und Polizei bereiten das Ende des Hambacher Forstes vor. AktivistInnen stellen sich quer.
24 Stunden vorher, am Donnerstag morgen, klang der Hambacher Forst an der gleichen Stelle ganz anders. Kurz nach Morgengrauen war das Grauen in den 12.000 Jahre alten Wald zurückgekehrt: Kettensägen heulen, Räumfahrzeuge dieseln durchs Gehölz, Polizei und RWE-Mitarbeiter überall. Von oben, aus den weitläufigen Hängebrückensystemen der Baumhaussiedlung Oaktown kommen hysterische Schreie: „Verpisst Euch, Ihr Terroristen! Ihr Menschenfeinde! Ihr Heimatmörder…“ Als eine Frau ruft „Nehmt Eure Drecksgriffel von meinem Zuhause“, müssen auch ein paar PolizistInnen kurz lachen.
Wrooooaaam, krächz, ächz. Die Maschinen wüten weiter. Die Widerständler, alle bis auf Sehschlitze vermummt, handeln ebenfalls, so das von den Baumkronen aus geht. Plötzlich geht ein kleiner Schwall Gülle nieder. Es stinkt widerlich. Einer aus dem Arbeitertrupp hat an der Schulter ein paar Tropfen abbekommen. Er glaubt, es sei Urin. Er riecht dran. Er ist nicht nur angeekelt sondern sichtlich entsetzt. Ein Kollege nickt, sagt: „Die pinkeln da runter. Hol Dir ein neues Hemd.“
Von ihrem Volltreffer ahnen sie oben in den Bäumen nichts. Die RWE-Trupps spannen jetzt zwei riesige grüne Baumarkt-Schirme auf, wenn die Kollegen zum Barrikaden sägen unter die Häuser treten.
Razzien im Wiesencamp
Die Aktionen dieser Tage sind militärisch organisiert. Stufe 1 in der Vorwoche: Entwaffnung. Mehrfach Razzien im Wiesencamp am Waldrand, Leibesvisitationen, gerne mit vorgehaltener Waffe. Alles an Werkzeugen bis hin zu Küchenmessern wird konfisziert. Es gilt vom Nachschub abzuschneiden, bis hin zum Befehl: Wasserkanister ausleeren. Stufe 2 am Mittwoch: Verbarrikadierte Waldwege freifräsen. Stufe 3 am Donnerstag: Boden-Infrastruktur zerstören, die Siedlungen unten filetieren. Alles zum großen Finale freilegen für besseren Zugang.
Wie im gallischen Dorf. Immer in 100er Trupps kommen sie: 50 RWE-Arbeiter, 50 Begleitpolizisten. Mit infernalischem Lärm zerschreddert ein Häcksler alles am Boden zu Püree – Vorratsbunker, Gemeinschaftsplätze, Unterstände, Infostände, eine Dusche. „100 Meter Sicherheitsabstand“, sagt ein Polizist streng. Dass die Baumbewohner keine 20 Meter schräg über der Maschine leben, stört nicht.
Zur Operation Kahlschlag gehört der Krieg um Worte. Den führen RWE und Polizei mit leicht durchschaubaren Methoden: Man wolle „Unrat sowie offensichtlichen Müll“ beseitigen, hieß es am Mittwochmorgen. Die Wahrheit: sie zerstören Stück für Stück die Infrastruktur.
Ständig entdecken sie dabei vermeintliche Waffen, „augenscheinliche Sprengfallen“ oder „gefährliche Gegenstände (Stofflappen, Glasflaschen)“, dazu unbekannte chemische Substanzen – am Ende waren es, so stellte sich heraus, harmlose Attrappen. Immer wieder werden verletzte Polizisten gemeldet. Als am Mittwochabend ein Aktivist von einem Tripod aus fünf Metern geholt wurde, brach ihm ein Polizist rücksichtslos den Arm.
Und immer wieder der Gewaltvorwurf der stets professionell gewaltbereiten Polizeikräfte an die WaldbewohnerInnen. Und sie setzen auf Ekelreflexe: Einsatzkräfte würden mit Fäkalien beworfen, heißt es immer wieder. Macheten, Messer, Zwillen, die aktuellen angeblichen Waffenfunde, stellen sich mehrheitlich als Asservatenrelikte der vergangenen Jahre heraus. Fake news auf rheinisch.
Bagger an der Abbruchkante
Die Braunkohlebagger stehen direkt vor der Abbruchkante der gut 200 Hektar, die vom fast 5.000 Hektar großen Hambacher Forst geblieben sind. Wann erfolgt der große Zugriff auf die geschätzt 200-300 AktivistInnen selbst? Auch wenn RWE den frühesten Rodungsbeginn gerade vom 1. auf den 14. Oktober verschoben hat, werden die Einsatzkräfte kaum lange warten. Schon in der ersten Nacht sind wieder neue Barrikaden auf den Waldwegen aufgetürmt. Neue Bombenattrappen und Scheinfallen werden folgen.
Das Wiesencamp aus Holzhütten, Zelten und alten Wohnwagen, direkt am südlichen Waldrand (errichtet auf Privatgelände), ist die Nahtstelle zur Außenwelt. Rebecca, 21, erzählt vom Leben hier. „Viel Unterstützung“ gebe es aus den umliegenden Dörfern. „Manche kommen jeden Abend mit Vorräten zu uns. Eine Familie hat ihren Garten für uns gespendet. Die bringen alles, was da wächst.“ In der Bretterbuden-Küche ist schon mittags emsig Betrieb, alles kompromisslos vegan. Ein paar Dutzend Leute seien sie hier, sagt Rebecca, die meisten deutlich unter 30, „aber, wie schön, gestern hat eine Frau, die ist bestimmt Mitte 50, hier ihr Zelt aufgeschlagen.“
Mike lebt seit zehn Tagen hier. „Ich habe es mit eigenen Ohren gehört“, erzählt er beim Plausch auf einem durchnässten Sofa, „nachts haben sie aus Polizeiwagen Lautsprecher gehalten mit Kettensägenheulen. Ein anderes Mal Affengeräusche.“ Am Tag vor seiner Ankunft sei aus einem Einsatzfahrzeug bei der Anfahrt dröhnend laut der Ritt der Walküren von Richard Wagner zu hören gewesen.
Das gehört zur psychologischen Kriegsführung der Polizei? Wagners Walküren: in einer weltberühmten Szene des Kriegsfilms Apocalypse now von GIs abgespielt, als sie in Hubschrauberverbänden die Vietkong angreifen („da scheißen sich die Schlitzaugen vor Angst in die Hosen“). Ein schönes Vorbild der deutschen Staatsmacht. Eine Polizeisprecherin wird sich der taz gegenüber winden: Nein, das gehöre nicht zum Einsatzkonzept, man wolle „alles unterlassen, was zu Provokation und Eskalation beitragen kann“. Um die Sache indirekt zu bestätigen: „Wir können aber nicht in jeden Wagen gucken.“
Zwei Frauen im Wiesencamp hängen den fünf Polizisten, die hier Wache stehen, gerade ein neues Transparent vor die Nase: „Lass uns alle Bäume pflanzen, nackig durch die Wälder tanzen…“ Ein junger Beamter aus Bonn lächelt: „Ach nee, nicht warm genug heute.“ Die Polizisten verhindern den Wiesencampern den Zugang zum Wald. Grußlos gehen sie plötzlich weg. Zum Tanzen? Abmarschbefehl.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Umgehend stapfen zehn Wiesencamper durch den prasselnden Regen gut einen halben Kilometer ins Dorf Gallien. „Was braucht ihr?“ rufen sie nach oben. „Wasser zuerst. Die Kanister haben sie auch vernichtet. Und alles Brot zerschreddert.“ Bewohner Gonzo erzählt später, RWE-Mitarbeiter hätten bei den abgeräumten Lebensmitteln noch geplündert: „Das Beste haben sich die Drecksäcke rausgesucht, Pasten und so. Die kriegen wohl sehr wenig Lohn.“
Alle sind nervös. Und man darf unterstellen: obrigkeitshörig. Jedenfalls untersagte Donnerstagmorgen die Bezirksregierung einer Schulklasse aus Köln-Holweide, mit dem Waldpädagogen Michael Zobel mittags zur Führung in den Wald zu gehen. „Gestern noch“, sagt Zobel, der innerhalb von vier Jahren über 15.000 Menschen den Forst gezeigt hat, „waren alle begeistert, Gastschüler aus Burkina Faso sollten mit, samt Übersetzer, alles war seit Wochen organisiert – und plötzlich Stop. Keine Begründung. Es wird immer irrer.“ Schade, man hätte gern gelernt, was Hainbuchen-Stieleichen-Maiglöckchen-Wald (ein solcher ist der Hambacher Forst, der einzige in Europa) auf burkinafasisch heißt.
Seit Donnerstag Mittag ist der Tag X ausgerufen, der Hilferuf nach Aktionen draußen und Solidarität im Wald. Materialwünsche werden getweetet, die Polizei baut sich jetzt schon am S-Bahnhof Buir auf, zwei Kilometer vom Wald entfernt. Personenkontrollen, Durchsuchungen. Proteste.
Baumhäuser in Gallien
In den Baumhäusern in Gallien geht nach den Bodenoffensiven das Leben ohnehin weiter. Hochklettern in eine der mächtigen Holzkonstruktionen. In gut fünf Metern Höhe das erste Stockwerk, zwei weitere darüber. Überraschend gut ausgebaut alles, mit Glasscheiben und auch Strom. Im Stockwerk 1 ist das Lager – von Kartoffeln, Dosengemüse über Werkzeuge bis zu unzähligen Kletterausrüstungen, darüber sind Küche und Wohnraum, in der Loftetage das Matratzenlager. Gut ein halbes Dutzend Leute wohnt hier. Wie eine WG sei das, sagen sie. Und nicht jede Minute sei gelebter Widerstand, man habe auch gemütliche Doppelkopfabende.
Sie wissen, nach sechs Jahren kann jeden Tag das Ende kommen. Und, lebt man jetzt weiter, als ginge es immer weiter? „Wir leben hier“, sagt schlagfertig die junge Frau, die sich Ghost nennt, „damit es weiter geht!“
Unten, an einem jungen Baum, schaukeln zwei kleine Traumfänger, die den Angriff ringsum zufällig überstanden haben. Ein gutes Omen? „Man muss daran glauben“, lächelt eine sehr junge Baumhausgallierin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch