: Behörden zeigen Selbstkritik
Ein Untersuchungsbericht fordert Konsequenzen aus dem Missbrauchsfall von Staufen
Von Benno Stieber, Karlsruhe
Informationen wurden nicht rechtzeitig weitergegeben, nicht alle Erkenntnismöglichkeiten ausgeschöpft, dazu eine fragwürdige Entscheidung des Familiengerichts: Anlass zu Selbstkritik gibt es für Richter und Jugendamt im Zusammenhang mit dem Missbrauchsfall von Staufen genug. Monatelang hatten die Behörden in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe den Fall untersucht. Am Donnerstag legten sie einen 34-seitigen Untersuchungsbericht vor. Darin dokumentieren das Oberlandesgericht Karlsruhe, das Familiengericht Freiburg und das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald eigene Versäumnisse und geben Empfehlungen für die Zukunft.
Der Missbrauchsfall von Staufen hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Die Mutter des heute 10-jährigen Jungen und ihr Lebensgefährte, ein bereits vorbestrafter pädosexueller Mann, hatten den Jungen über zwei Jahre im Internet zum sexuellen Missbrauch angeboten und auch selbst missbraucht. Dabei war den Strafbehörden schon über ein Jahr bekannt, dass Christian L. bei Berrin T. und ihrem Sohn wohnte, sie teilten das Wissen aber nicht mit dem Jugendamt und Familiengericht.
Deshalb lautet die wichtigste Konsequenz aus den Versäumnissen: engere Kooperation zwischen Jugendämtern, Justiz und Polizei. Außerdem müssten die Auflagen der Familiengerichte konsequenter kontrolliert werden. Denn so hätte früher erkannt werden können, dass L. Zugriff auf den Jungen hatte.
Allerdings kann auch der Untersuchungsbericht nicht restlos aufklären, warum das Jugendgericht Freiburg den Jungen im April 2017 ohne Anhörung nach einem kurzen Aufenthalt bei einer Pflegefamilie wieder zu seiner Mutter zurückschickte, obwohl bekannt war, dass L. weiterhin ihr Partner war. Der Präsident des Oberlandesgerichts Karlsruhe sagte dazu: „Wie kann man auf eine Mutter so hereinfallen, das habe ich mich auch gefragt.“
Auch das Jugendamt hatte der Entscheidung des Gerichts damals nicht widersprochen. Ein Sprecher des Landratsamts räumte eigene Versäumnisse ein: „Wir haben unsere Rolle als Verfahrensbeteiligte nicht voll ausgespielt.“ Das Landratsamt wolle Familienverfahren künftig auch juristisch enger begleiten und gegebenenfalls Rechtsmittel einlegen. Diese Weisung sei bisher einmalig in Baden-Württemberg.
Für die grüne Landesregierung ist die Arbeit mit dem Bericht nicht beendet. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte schon vor der Veröffentlichung gefordert, Verbesserungen beim Kinder- und Jugendschutz zu prüfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen