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„Der britische Finanzsektor wird um 30 Prozent schrumpfen“

Wirtschaftsforscherin Dorothea Schäfer bezweifelt, dass London nach dem Brexit als eigenständiger Finanzplatz florieren wird. Dafür könnte die Exportbranche im Vereinigten Königreich profitieren

Dorothea Schäfer ist Finanzmarkt­expertin beim Wirtschafts­forschungs­institut DIW.

Interview Ulrike Herrmann

taz: Frau Schäfer, der Brexit rückt näher, trotzdem ist noch immer unklar, was aus den britischen Banken werden soll. Wie ist das zu erklären?

Dorothea Schäfer: Die Finanzbranche hat nicht mehr die absolute Priorität in Großbritannien. Das hat Premierministerin Theresa May mit ihrem neuen Weißbuch zum Brexit deutlich signalisiert.

Was bedeutet das?

Das Papier ist wenig konkret, aber den Briten scheint bewusst zu sein, dass ausländische Banken das Land verlassen werden. Nehmen Sie die amerikanischen Banken an der Wall Street: Bisher haben sie eine Tochter in London betrieben – und hatten damit automatisch Zugang zur ganzen EU. Künftig müssen die amerikanischen Banken Tochterfirmen auf dem Festland gründen, wenn sie Geschäfte in der EU machen wollen.

Könnten die britischen und amerikanischen Banken nicht einfach Briefkastenfirmen in Frankfurt oder Paris gründen – aber das eigentliche Finanzgeschäft weiterhin in London abwickeln?

Nein. Die EU wird vorschreiben, dass die britischen und amerikanischen Tochterfirmen ein eigenes Risikomanagement und auch eine eigene Kapitalausstattung besitzen. Es werden echte Banken sein, keine Briefkastenfirmen.

Viele Briten sind der Meinung, dass die EU auf stur schaltet, um sich zu rächen.

Mit Rache hat das nichts zu tun. Eine Wirtschaftsunion wie die EU kann nur funktionieren, wenn sie Vorteile für ihre Mitglieder bietet. Niemand will gern etwas zahlen, also muss es sich lohnen. Es wäre das Ende der EU, wenn Trittbrettfahrer profitieren würden. Zudem betont Mays Weißbuch mehrfach, dass die Briten bei der Bankregulierung „autonom“ sein wollen. Die EU kann aber keine Banken zulassen, die andere Vorschriften haben – ohne dass sie diese kontrollieren kann. Das ist ja gerade eine der Lehren aus der Finanzkrise.

Wo werden die neuen Tochterfirmen der ausländischen Banken denn entstehen?

In Frankfurt, aber auch in Paris und Mailand. Es ist unwahrscheinlich, dass es zu einer Konzentration in Frankfurt kommt.

Wie viele Arbeitsplätze werden in London verloren gehen?

Das ist extrem schwer zu prognostizieren.

Die Brexiteers verbreiten Optimismus: Die Wall Street würde zeigen, dass ein eigenständiger Finanzplatz bestens florieren kann.

Das lässt sich nicht vergleichen. Die New Yorker Wall Street hat einen riesigen Heimatmarkt im Rücken. Allein die US-Pen­sions­kassen müssen jedes Jahr Billionen Dollar an Ersparnissen anlegen. Das fehlt in London. Meiner Schätzung nach wird der britische Finanzsektor um etwa 30 Prozent schrumpfen.

Also wird die britische Wirtschaft stark einbrechen?

So einfach ist es nicht. Die Banken werden zwar leiden, aber dafür könnten andere Exportbranchen profitieren, weil das Pfund an Wert verliert – und die britischen Waren auf den Weltmärkten billiger werden.

Man hat den Eindruck, dass der Brexit ein stiller Protest der britischen Wähler gegen die Banken war.

Faktisch ist er das jedenfalls. Alle Prognosen, dass der Brexit der Finanzbranche schaden wird, haben bei den britischen Wählern nicht gefruchtet. Denn es profitiert nur eine schmale, abgegrenzte Gruppe von den hohen Einkommen bei den Banken. Daher hatten die Drohungen, dass die City of London leiden könnte, keinerlei Wirkung.

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