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So stand die Plattform im Wattenmeer vor Memmert. Im Hintergrund: das jetzige Haus des Inselvogts Foto: Eilert Voß/Wattenrat Ostfriesland

Das Wasser kommt, das Wasser geht im Wattenmeer. Wasser, das rauscht und weiße Gischtkronen trägt, die schnell zerfallen. Reine Natur ist das, den Rhythmus bestimmen Sonne und Mond und die Anziehungskräfte, die sie auf die Erde ausüben. Das Wasser zerrt und nimmt, Inseln wandern in seiner strömenden Kraft; wo gestern noch ein Dorf war, holt es sich morgen die See. Was der Mensch in dieser Inselwelt vor der Küste Ostfrieslands aufbaut, muss zerfallen. Dort, genau dort, von Renaturierungsmaßnahmen zu sprechen – Eingriffen des Menschen, um der Natur aufzuhelfen –, offenbart kühne Selbstüberschätzung. Die Natur siegt hier eh immer.

Für diese unabwendbare Kraft stand diese Betonplattform im Meer, einst auf Stelzen in die Dünen der Insel Memmert gerammt, südliche Nordsee. Gebaut in den 30er Jahren für den Krieg, wohl als Artilleriestellung, später, in den 50ern, wurde darauf das Wohnhaus des Inselvogts errichtet, der die Vögel zählt und die Insel schützt. Ende der 60er musste das Haus – bis auf die Plattform – abgebaut werden, die Insel war unter ihm fortgewandert im Gezeitenstrom. Wo es stand, war nun Strand. Die Insel zog weiter, die Plattform lag bald weit im Meer. Das Unternehmen Tennet hat sie nun abgerissen, als Renaturierungsmaßnahme. Die Firma ist dazu angehalten, weil sie anderswo Furchen durchs Watt zieht für Stromkabel, die Energie von den Windkraftanlagen weit draußen an Land bringen sollen.

Kormorane, denen die Plattform eine Art Sonnenterrasse war, auf die sie sich niederließen, um ihre Federn für den nächsten Flug zu trocknen, müssen sich nun einen anderen Ort suchen. Renaturierung? Ach, die See ist doch viel größer, sie hat sich an diesem Bauwerk nie gestört, sie hätte es eh irgendwann weggerissen. Solange es stand aber war es ein Mahnmal, es zeigte die Wucht des Meeres und wie winzig der Mensch ist. Die Plattform, sie fehlt.Felix Zimmermann

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