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Mondän, bayerisch, charmant

Diese besondere Mischung aus Pathos, Melancholie und Selbstironie: Helmut Dietls Nachlass, 250 Kisten, ging an das Filmmuseum am Potsdamer Platz. Was für ein Schatz hier zu heben ist, lässt eine Ausstellung ahnen

Von Michael Meyns

Ausgerechnet Berlin. Ausgerechnet in der ungeliebten Hauptstadt, in der er seine letzten beiden, sowohl beim Publikum wie der Kritik durchgefallenen Filme gedreht hatte. Ausgerechnet hier, im Filmmuseum am Potsdamer Platz, liegen nun 250 Kisten, die den Nachlass des 2015 gestorbenen Helmut Dietl enthalten, jenes Helmut Dietl, der ungefähr so sehr mit München verbunden ist wie Woody Allen mit New York oder François Truffaut mit Paris.

Angesichts der Massen an Material, ungezählten Briefen und Fotos, Notizen und Requisiten wird es noch Jahre dauern, bis der Nachlass Dietls vollständig gesichtet, soweit es geht, digitalisiert und damit der Öffentlichkeit zugänglich ist. Dann wird es hoffentlich eine ganz große Schau über Helmut Dietl geben, vielleicht 2024, wenn der Autor und Regisseur 80 Jahre geworden wäre.

Ein kleiner Vorgeschmack ist jedoch schon jetzt zu sehen, eine kleine Auswahl an Briefen, Originaldrehbüchern mit handschriftlichen Notizen Dietls, einige Kostüme und vor allem viel filmisches Material. So wenig auch zu sehen ist: Schon diese Fundstücke machen Lust, sich intensiver mit einem Regisseur zu beschäftigen, der spätestens ab Ende der 1990er Jahre von den Entwicklungen der deutschen Filmszene überholt wurde. Der auf den ersten Blick altmodisch wirken mag, obwohl er und seine ganz besondere, ganz eigene Art des Beobachtens, seines Blicks auf die Menschen und vor allem die Liebe, vor allem eins ist: zeitlos.

Als hommes de femmes beschreibt sich Dietl in seinen wunderbaren, bedauerlicherweise unvollendet gebliebenen Erinnerungen „A bissel was geht immer“, die mit jener Mischung aus Pathos, Melancholie und Selbstironie geschrieben sind, die auch Dietls Fernsehserien und Filme unverwechselbar machte. Wenn der voll­endete Teil dieser Erinnerungen nach 250 Seiten abbricht, ist Dietl gerade einmal 25 und hat schon in diesem jungen Alter mehr amouröse Abenteuer erlebt als manche in ihrem ganzen Leben.

Einmal, so beschreibt er es, hätte ihn der Anblick einer schönen Frau, die er in einem Wiener Café erblickte, gar davor bewahrt, Selbstmord zu begehen, den der junge Dietl in Erwägung zog, da seine Gedichte von einem Verlag abgelehnt wurden. Nach einer Nacht mit dieser Frau sah die Welt schon ganz anders aus und Dietl wandte sich bald anderen Künsten zu. Ob diese Geschichte tatsächlich so passiert ist, sei dahingestellt. Dass sie sich liest wie eine Szene aus „Kir Royal“ oder „Rossini“, ist sicher kein Zufall, hat es Dietl doch immer wieder verstanden, sich selbst und die Welt, in der er lebte, in seinen Figuren aufgehen zu lassen.

Eine mondäne Welt war das, in der Dietl in seinem weißen Anzug, mit seinen perfekten Haaren und der Gitanes in der Hand ein Fixstern gewesen sein muss. Aus dieser bayerischen Welt schöpfte Dietl. In den 1970er Jahren entstanden „Münchner Geschichten“ und „Der ganz normale Wahnsinn“, in den 1980ern „Monaco Franze“ und „Kir Royal“, die er mit seinem Freund Patrick Süskind schrieb und die ihn bundesweit berühmt machten.

In den 1990er Jahren kam dann der Wechsel zum Kino, zunächst mit „Schtonk!“, in dem er den Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher zu einer beißenden Mediensatire verarbeitete, und schließlich sein Meisterwerk „Rossini“, ein Schlüsselfilm über die Münchner Filmszene.

Doch bei allem Biss, bei allen hellsichtigen, pointierten Bosheiten über Eitelkeiten und Eigenheiten, die sich durch sein Oeuvre ziehen: Dietl liebte seine Figuren, die Männer und die Frauen sowieso. So charmant er im Leben offenbar war – was nicht nur durch seine vier Ehefrauen und zahlreichen Geliebten bestätigt wird –, so charmant sind auch seine Filme, was auch erklären mag, warum er zuletzt den Nerv der Zeit nicht mehr traf. „Vom Suchen und Finden der Liebe“ und „Zettl“ hießen seine letzten beiden Filme, in Berlin gedreht, dennoch typisch Dietl. Aber in den nuller Jahren wollte das niemand mehr sehen.

Bei der Kritik waren nun die Regisseure der Berliner Schule beliebt, die sich auf ganz andere Weise mit Beziehungen auseinandersetzten, und beim Publikum war die Melancholie, die Lust an der Verzweiflung, nicht mehr zeitgemäß.

Auch das mag nun ein Effekt der kleinen Schau im Filmmuseum sein: dafür zu sorgen, dass Helmut Dietl nicht in Vergessenheit gerät, wozu vor allem die einmalige Möglichkeit beiträgt, sämtliche Arbeiten Dietls, von den vier großen Serien bis zu den fünf Spielfilmen und dazu zahlreiche Interviews und Gespräche, auf Monitoren anschauen zu können. Stunden, um nicht zu sagen Tage, braucht man zwar dafür, aber mit wem würde man sie lieber verbringen als mit den allzu menschlichen Charakteren, die der Feder Helmut Dietls entsprangen.

Museum für Film und Fernsehen, Bis 30. September, Mi.–Mo. 10–18, Do. 10–20 Uhr

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