Sommertour von Svenja Schulze: Glanz und Elend der Ökorepublik

Bundesumweltministerin Svenja Schulze inspiziert ihre Aufgabengebiete Klima, Artenschutz und Abfall. Eine Tour der Widersprüche.

Ein Mann und eine Frau gucken sich Müll an

Ministerin Svenja Schulze und Recyclinghof-Inhaber Stephan Eing inspzieren Kunststoff Foto: dpa

MÜNSTER/KREFELD taz | In den Werkshallen der Eing Kunststoffverwertung GmbH herrscht ein Höllenlärm. Riesige Schreddermaschinen, Förderbänder und Rüttelsiebe zerhäckseln und trennen den Plastikmüll, der sich hier in Gescher, eine Stunde westlich von Münster, in großen Ballen auf dem Hof stapelt. Es riecht streng, überall hängt Staub in fettigen Flocken. Fotografieren ist verboten, denn die Angst vor der Konkurrenz ist groß, sagt Inhaber Stephan Eing. Er führt die Besuchergruppe mit einem prominenten Gast aus Berlin über das Gelände: Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) inspiziert auf ihrer ersten Sommerreise am Donnerstag und Freitag vergangener Woche ihre neuen Arbeitsfelder: Klima, Artenschutz, Abfall.

„Wir recyceln 36 Prozent der gesammelten Kunststoffverpackungen, wie es die Quote vorschreibt“, sagt Eing. Die Firma könnte viel mehr leisten. Das muss sie auch bald, denn die Quoten werden mit einem neuen Gesetz ab dem nächsten Jahr verschärft. Doch bisher lohnt es sich nicht, mehr als die Quote zu erfüllen. Das Zeug wird stattdessen verbrannt.

Das war anders gedacht. Vor 30 Jahren sollte die Verpackungsverordnung die Flut von Plastikmüll eindämmen. Bis heute hat sich der Verbrauch in Deutschland auf knapp 2 Millionen Tonnen im Jahr verdoppelt, lernt Schulze. Die Verordnung gilt trotzdem als Erfolg: Ohne sie hätte sich der Müll verdreifacht. Willkommen im Alltag der deutschen Umweltpolitik. In den taucht die Ministerin nach 115 Tagen im Amt ein. An zwei Tagen tourt sie von ihrer Heimatstadt Münster aus durch den Westen. Es ist eine Fahrt zwischen Glanz und Elend der Ökorepublik Deutschland. Große Pläne und tolle Ideen krachen oft auf die ernüchternde Realität.

Müll als lokaler nachwachsender Rohstoff

Die nächste Station der Tour stimmt erst einmal ­optimistisch: Herten, ehemals größte Bergbaustadt Deutschland, kämpft für ein Leben nach der Kohle: ein Radweg auf der Spur der alten Zechenbahn, energetische Sanierung fünfmal so schnell wie im Bundesdurchschnitt, eine Bürgerstiftung, die Kinder an die Natur heranführt, eine Pilotanlage zur Produktion von Wasserstoff aus Windkraft. Nach dem Verlust von 15.000 Jobs in der Kohle sind 6.000 neue entstanden, die Gemeindekasse ist saniert. „Herten zeigt, dass es gut ist, sich mit Herzblut in vielen kleinen Aktivitäten zu engagieren und nicht auf einen großen Investor zu warten“, sagt Schulze – auch mit Blick auf Gegenden wie der Lausitz, denen ebenfalls das Ende der Kohle bevorsteht.

Herten bekommt von Schulze eine Auszeichnung: „Masterplankommune 100 Prozent Klimaschutz“. Die 62.000-Einwohner-Stadt will mit dem Klimaschutz Ernst machen: neuer Bahnanschluss und die Wärmeversorgung weg von der Kohle. Die CO2-Emissionen sind seit 1990 um 32 Prozent gefallen, bis 2030 sollen es minus 65 Prozent sein. Schafft Herten das? Mal sehen, sagt der Klimabeauftragte der Stadt. Die Fernwärme soll dann aus „lokalen nachwachsenden Rohstoffen“ kommen – nämlich aus der riesigen örtlichen Müllverbrennungsanlage.

Schulze steht gegen vier Unions-Ministerien: Energie, Bauen, Verkehr und Landwirtschaft

In diese und andere Abstrusitäten ihres neuen Metiers hat sich Schulze inzwischen eingearbeitet. Mit Routine gibt sie an allen Besuchspunkten Interviews. Die kleine Frau mit den blonden Locken, die in Jeans und Sneakers mit dem Reisebus durchs Land fährt, nimmt ihre Gesprächspartner schnell für sich ein: offen, freundlich, immer bereit für einen Scherz oder ein schnelles Selfie. Ihr Signal: Unterschätzt mich nicht, nur weil ich klein und blond bin!

Beim Betrieb Accurec in Krefeld, der ausrangierte Akkus von Handys bis Laptops recycelt, erfährt sie von der Brandgefahr von alten Batterien: „Die kommen jetzt aus der Schublade endlich mal zum Recyclinghof.“ Die Firma hat bewiesen, dass die Lithium-Ionen-Akkus aus E-Mobilen umweltfreundlich zu recyceln sind. Allerdings ist noch ungeklärt, wie die Mengen von Altakkus zu verarbeiten sein sollen, die mit einem massenhaften Umstieg auf Elektromobile bevorstehe, heißt es in der Firma.

„nicht konfliktfrei“

Schulze tritt einen schweren Job an: Ausstieg aus der Braunkohle, Detailregeln zum Pariser Klimaabkommen, schärfere Recyclingquoten, Kampf gegen Artensterben, Einhaltung von EU-Recht etwa bei der Wasserreinhaltung. In den wichtigsten Fragen steht sie gegen vier Unions-Ministerien: Energie, Bauen, Verkehr und Landwirtschaft. „Es wird nicht konfliktfrei gehen“, realisiert Schulze. Sie will auf die Einhaltung des Koalitionsvertrags pochen – aber auch selbst nicht mehr fordern, als dasteht. Und sie signalisiert schon früh Kompromissbereitschaft: Beim Kohleausstieg drängt sie darauf, erst über Jobs und Strukturhilfen zu entscheiden, ehe von Abschaltung von Kraftwerken die Rede ist. Beim Artenschutz hat sie sich mit Agrarkollegin Julia Klöckner auf ein „Aktionsprogramm Insektenschutz“ für 5 Millionen Euro jährlich geeinigt.

Wie wichtig dieses Thema ist, zeigt sich am zweiten Tag der Tour: Schulzes Truppe besucht den „Entomologischen Verein Krefeld“. Die Gruppe von Insektenexperten, die ehrenamtlich eines der umfangreichsten und besten Insektenarchive Deutschlands aufgebaut hat, hat vor einem Jahr die Öffentlichkeit alarmiert. In einem Fachaufsatz wiesen die Forscher nach, dass sich die Biomasse von fliegenden Insekten, die 33.000 Arten in Deutschland ausmachen, in Schutzgebieten über die vergangenen 27 Jahre um 76 Prozent verringert hat. Seitdem redet selbst der Bauernverband vom Insektensterben.

Kurz vor dem Fototermin geraten noch der Öko-Beauftragte des Bauernvereins und die ­BfN-Chefin über die EU-­Agrarreform aneinander

Den Wissenschaftlern, die von dem plötzlichen Interesse an ihrer Arbeit überrascht wurden, bringt Schulze einen Scheck über 150.000 Euro, damit die Projekte weitergehen können. Im Naturschutzgebiet Egelsberg besieht sie sich eine Falle der Forscher, mit der diese Insekten sammeln. Und sie fordert, unterstützt von der Chefin des Bundesamts für Naturschutz BfN, Beate Jessel, endlich Ernst zu machen mit dem Verbot von Giften, die die Insekten schädigen.

Widerspruch im Supermarkt

Da widerspricht ihr eine halbe Stunde später gleich beim nächsten Termin ein Landwirt, der an einem Umweltprogramm teilnimmt. Er sät Blüh­streifen entlang seinen Äckern und pflanzt sogar auf einem ganzen Hektar Wildblumen wie Klatschmohn, Rotklee oder ­Kamille. Auf Neonikotinoide und Glyphosat will er allerdings im Zweifel nicht gänzlich verzichten, sagt er der Ministerin.

Die Bauern sagen „Un­kräuter“, die Naturschützer „Wildkräuter“. Kurz vor dem Fototermin geraten noch der Öko-Beauftragte des Bauernvereins und die ­BfN-Chefin über die EU-­Agrarreform aneinander.

Die Tour der Widersprüche geht in Köln in einem Rewe-Markt zu Ende. In dem ­Energiespar-Supermarkt gibt es unter anderem kleine Netze, die die Plastiktüten für Obst und ­Gemüse ersetzen sollen.

Doch im Regal steht auch Waschmittel in schwarzen Plastikflaschen – der totale Recycling-Sündenfall, wie die Gruppe bereits am ersten Tag gelernt hat.

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