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Eine Frage der Haltung

Ein neuer pädagogischer Ansatz im Fokus der Weiterbildung: Die „Neue Autorität“ will PädagogInnen helfen, ohne Bestrafungen mit aggressivem und destruktivem Verhalten von Kindern und Jugendlichen umzugehen

Von Marthe Rudat

Was mache ich, wenn ein Schüler oder eine Schülerin andere schlägt? Wie gehe ich mit Provokationen und verbalen Angriffen richtig um? Wenn Konsequenzen und Strafen bei Kindern und Jugendlichen nicht helfen, gelangen LehrerInnen, ErzieherInnen und andere Fachkräfte im Umgang mit inakzeptablem Verhalten ihrer Schützlinge häufig an ihre Grenzen, sind frustriert und überlastet.

Haim Omer, Professor für klinische Psychologie in Tel Aviv, hat als Antwort auf diese Problematik ein Konzept entwickelt, das die traditionelle Vorstellung von Autorität durch eine Neue Autorität ersetzt. Es gründet auf der Idee des gewaltfreien Widerstands von Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Gehorsam und Kontrolle weichen professioneller Präsenz und deeskalativer Beziehungsarbeit.

Gemeinsam mit seinem Osnabrücker Kollegen Arist von Schlippe brachte Omer das Konzept vor knapp 15 Jahren nach Deutschland. Fachkräfte aus Pädagogik, Sozialarbeit und Psychologie können durch Fortbildungen die Grundlagen dieses Konzepts erlernen und sich zum Coach für Neue Autorität ausbilden lassen.

„Neue Autorität ist eine Haltung, keine Technik“, sagt Klaus Peters. Er arbeitet in der Kinder- und Jugendhilfe sowie als Psychotherapeut in Hamburg und bietet gemeinsam mit seinen Kolleginnen bei Ankerplatz 3 solche Fortbildungen an. Anders als verhaltenstherapeutische Ansätze, bei der konkrete Verhaltensweisen trainiert werden, basiert das Konzept der Neuen Autorität auf einer systemischen Idee. Den Kindern und Jugendlichen soll also nicht anerzogen werden, wie sie sich zu verhalten haben.

Stattdessen bildet eine stabile Beziehung die Basis für den Umgang mit Problemen. Grundlage dafür ist die Stärkung und Sicherheit der Erziehungsverantwortlichen. Sie machen sich selbst klar, was ihnen in der Arbeit wichtig ist und machen ihr Handeln damit unabhängig vom Verhalten ihres Gegenübers. Die PädagogInnen zeigen den Kindern und Jugendlichen, dass sie auch in schwierigen Situationen ohne Wenn und Aber für sie da sind. Dennoch gelten klare Regeln für den gemeinsamen Umgang. Omer und Schlippe nennen das die „professionelle Präsenz“ und „wachsame Sorge“.

In der Ausbildung hat sich das Konzept noch nicht durchgesetzt

Bestrafungen werden dadurch hinfällig. „Durch Strafen unterlassen Kinder und Jugendliche ihr Verhalten zwar vielleicht, sie verstehen aber den Grund für die Bestrafung nicht unbedingt“, erklärt Peters. „Wenn sie hingegen den entstandenen Schaden – vielleicht mit Unterstützung – wieder gut machen, ist die Beziehung nicht weiter belastet.“

Im Sinne der Neuen Autorität erklären Erwachsene ihren Schützlingen also, basierend auf ihren klar formulierten Werten, warum ein bestimmtes Tun für sie nicht in Ordnung ist. Es folgt jedoch keine unmittelbare Konsequenz durch Bestrafung. Stattdessen gehen die PädagogInnen immer wieder vorbehaltslos und mit Wohlwollen auf die Kinder und Jugendlichen zu, sprechen die Problematik immer wieder an, geben der Konfliktlösung viel Zeit. „So kommen die Kinder selbst zum Denken und reflektieren ihr eigenes Handeln.“ Im besten Fall sehen sie ihr Fehlverhalten ein. Genau darin besteht laut Peters der Vorteil des Konzepts der Neuen Autorität. Es entlaste die Verantwortlichen vom Zwang der schnellen Reaktion und verhindert die Machtkämpfe, mit denen sie sich häufig selbst unwohl fühlen.

In der Ausbildung von Pä­dagogInnen und ErzieherInnen hat sich das Konzept der Neuen Autorität noch nicht durchgesetzt. Das Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung bietet für BerufsanfängerInnen, BeratungslehrerInnen und SchulleiterInnen jedoch bereits einige entsprechende Fortbildungen an. Auch sozialpädagogische Fachkräfte können am Hamburger Sozialpädagogischen Fortbildungszentrum lernen, mit professioneller Präsenz mit des­truktiven Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen umzugehen.

„Das Konzept kann aber nicht durchgehalten werden, wenn nur eine Person eine Fortbildung besucht oder ein Buch liest“, sagt Klaus Peters. Die PädagogInnen bräuchten den Rückhalt wenigstens einiger KollegInnen, sonst laste zu viel Druck auf den Einzelnen. Die Unterstützung durch andere ist deshalb elementarer Bestandteil der Neuen Autorität.

Das Netzwerk Neue Autorität Hamburg bietet Vorträge und Fortbildungen für interessierte Träger und Einrichtungen in Hamburg und dem Umland an. Wer das Konzept in seinem Team oder seiner Einrichtung selbst voranbringen möchte, kann sich berufsbegleitend zum Coach für Neue Autorität ausbilden lassen, zum Beispiel beim Systemischen Institut für Neue Autorität (Syna) im niedersächsischen Bramsche. Die TeilnehmerInnen können sich dort auf einen bestimmten Arbeitsbereich spezialisieren, etwa das Coaching im Kontext Schule.

Die Fortbildung umfasst insgesamt 14 Unterrichtstage und kostet etwa 2.000 Euro. Es können jedoch auch einzelne Module besucht werden, wodurch sich die Kosten entsprechend reduzieren. Das Syna bietet ebenfalls Inhouse-Fortbildungen für interessierte Einrichtungen in ganz Deutschland an.

Einen Grundkurs Neue Autorität können Fachkräfte aus pädagogischen, sozialen oder psychologischen Berufen an der Via-Nova-Akademie in Itzehoe absolvieren. Das sechstägige Seminar kostet 825 Euro. Beide Fortbildungen sind noch nicht durch die entsprechenden Fachverbände zertifiziert und werden deshalb nicht für Bildungsurlaubstage anerkannt.

Auch Eltern, deren Beziehung zu ihren Kindern durch Konflikte geprägt ist, können mit Hilfe des Konzepts der Neuen Autorität neue Möglichkeiten im Umgang mit ihren Kindern kennenlernen. Entsprechende Coachings werden in der Regel durch die Sozialpädagogische Familienhilfe gefördert und sind dadurch meist kostenlos.

Haim Omer/Arist von Schlippe: „Autorität ohne Gewalt. Coaching für Eltern von Kindern mit Verhaltensproblemen“, Vandenhoeck & Ruprecht 2016, 214 S., 28 Euro;dies.: „Stärke statt Macht. Neue Autorität in Familie, Schule und Gemeinde“, Vandenhoeck & Ruprecht 2016, 360 S., 28 Euro;

Haim Omer/Philip Streit: „Neue Autorität. Das Geheimnis starker Eltern“, Vandenhoeck & Ruprecht 2016, 145 S., 15 Euro

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