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Retter im Mittelmeer

Viele der Aktivist*innen, die Geflüchteten in Seenot helfen, kommen aus Norddeutschland. Wir haben zwei von ihnen getroffen 43–45

Von Christian Jakob

Seit Italiens Lega-Nord-Innenminister Matteo Salvini im Amt ist, wird die Luft dünn für die SeenotretterInnen im Mittelmeer. Zuerst verbot er vor zwei Wochen dem vollbesetzten Rettungsschiff „Aquarius“ der deutschen NGO SOS Méditerranée, in italienische Häfen einzufahren. Am Donnerstag dann ließ er zwei unter niederländischer Flagge fahrende Schiffe deutscher Flüchtlingshelfer im Mittelmeer beschlagnahmen: Die „Lifeline“ und die „Seefuchs“ der Organisation Lifeline. Zuvor hatte Salvini auch ihnen das Anlegen in italienischen Häfen untersagt. Der Crew droht ein Ermittlungsverfahren.

Die Entwicklung war absehbar. Schon im Frühjahr 2017 hatten italienische Staatsanwälte die privaten Seenotretter mit Schleppern in Verbindung gebracht. Es gebe „Belege, dass zwischen einigen NGOs und den Schleusern direkte Kontakte bestanden haben“, hieß es. Tatsächlich gab es die nie.

Zu verstehen war diese juristische Offensive gegen die NGOs nur vor dem Hintergrund der damaligen Lage in Italien. Die Zahl der Ankünfte in dem Land war auf einen neuen Rekordwert angestiegen: Über 119.000 zählten die italienischen Behörden 2017. Gleichzeitig waren nach Zählung der UN-Migrationsorganisation IOM im selben Zeitraum rund 2.870 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken – über ein Drittel weniger als im Vorjahreszeitraum. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass der Rückgang der Todesfälle das direkte Verdienst der NGOs ist. Gäbe es sie nicht, läge diese Zahl der Toten erheblich höher.

Insgesamt waren zu jener Zeit acht private Seenotrettungs-NGOs im Einsatz, die meisten aus Deutschland: Proactiva Open Arms, Sea Eye, Sea Watch, die Migrant Offshore Aid Station, Ärzte ohne Grenzen, Jugend Rettet und SOS Méditerranée. Sea Watch nahm auch ein Suchflugzeug in Betrieb, bezahlt vor allem von der Evangelischen Kirche.

Die privaten NGOs nahmen etwa 40 Prozent der Schiffbrüchigen auf – die übrigen wurden von staatlichen Schiffen oder Handelsschiffen gerettet. Teils brachten sie sie selbst nach Italien, teils übergaben sie sie etwa der italienischen Küstenwache. Hier greift weiter die Dublin-Regel: Italien bleibt für die Flüchtlinge im Wesentlichen allein verantwortlich. Ein in 2015 von der EU beschlossener Umverteilungsmechanismus lief ins Leere: In der zweijährigen Laufzeit des Programms bis September 2017 wurden nur etwa 7.000 Flüchtlinge aus Italien in andere EU-Staaten umverteilt. Die meisten EU-Staaten waren nicht bereit, Italien Flüchtlinge abzunehmen.

Die Wut darüber in Italien richtete sich aber nicht nur gegen den Rest der EU, sondern eben zunehmend auch gegen die Seenotretter. Auch die EU selbst übt sich in Umkehrung von Ursache und Wirkung. Die Arbeit der NGOs führe dazu, „dass die Schleuser noch mehr Migranten als in den Jahren zuvor auf die seeuntüchtigen Boote zwingen“, sagte der Direktor der EU-Grenzschutzagentur Frontex, Fabricio Leggeri. „Wir sollten deshalb das aktuelle Konzept der Rettungsmaßnahmen vor Libyen auf den Prüfstand stellen.“ Vor drei Jahren hatte Frontex Italien ganz unverblümt aufgefordert, nicht mehr nahe der libyschen Küste zu retten.

Die italienische Regierung verlangte von den acht Seerettungs-NGOs im Mittelmeer, einen Verhaltenskodex zu unterschreiben. Rettungsorganisationen, die den Kodex nicht unterzeichnen, sollte die Anlandung in italienischen Häfen untersagt werden können. Die meisten NGOS wiesen das Ansinnen zurück: Der Kodex sei „alarmierend und reiht sich in die Diffamierungs-Kampagne der letzten Monate gegen zivilgesellschaftliche Rettungsorganisationen ein“, hieß es in einer Erklärung.

Bei einem Treffen im italienischen Innenministerium weigerten sich Jugend Rettet und vier andere NGOs deshalb, den Kodex zu unterschreiben. Am folgenden Tag stellte ein Richter einen Durchsuchungsbefehl aus. Einen Tag später beorderte die italienische Justiz das Schiff „Iuventa“ der deutsche Seenotrettungs-NGO Jugend Rettet nach Lampedusa und beschlagnahmte es. Der Vorwurf: „Begünstigung der illegalen Einreise“. Die „Iuventa“ bekam Jugend Rettet bis heute nicht zurück.

Die libysche Küstenwache, finanziert von der EU, verschärfte die Gangart und drohte den Seerettern ganz unverhohlen mit Gewalt

Den spanischen Kollegen von Open Arms erging es ähnlich: Im März 2018 wurde auch ihr Boot beschlagnahmt, eine Untersuchung gegen die Besatzung läuft. Anders als bei Jugend Rettet wurde das Boot aber wieder freigegeben.

Die libysche Küstenwache – ausgestattet, ausgebildet und finanziert von der EU – ver schärfte unterdessen die Gangart: Sie drohte den Seerettern ganz unverhohlen mit Gewalt. Immer wieder gab es Zusammenstöße, bei denen die Libyer teils auch schossen. Die Bundesregierung verurteilte dies zwar, effektive Hilfe leistete sie jedoch nicht – obwohl die NGOs nachdrücklich darum baten.

Am vergangenen Mittwoch erklärte die Staatsanwaltschaft von Palermo, sie stelle die Ermittlungen gegen Proactiva und die Sea Watch ein: Es gebe keine Hinweise für eine Zusammenarbeit mit Schleppern.

Sea Watch startete eine Petition an die EU: „Stoppt das Sterben, nicht die Retter“.

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