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Flüchtlingscamp in Paris geräumtBagger gegen Zelte

Die Polizei hat ein riesiges Flüchtlingszeltlager am Ufer eines Pariser Kanals geräumt. Weitere Camps sollen in den kommenden Tagen plattgemacht werden.

30. Mai: Das größte Flüchtlingscamp von Paris wird geräumt Foto: reuters

Paris taz | Die Pariser Polizei hat nach wochenlangem Streit am Mittwoch das größte Flüchtlings-Zeltlager in Paris geräumt. Am Morgen fuhren die Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht am Ufer des Saint-Denis-Kanals im Norden vor, um das dortige Lager „Le Millénaire“ zu räumen. Die Pariser Polizei hat bereits Übung in solchen „Evakuierungen“, wie diese Fälle im Amtsjargon beschönigend genannt werden.

Konkret ging es darum, in kürzester Zeit möglichst ohne Zwischenfälle und Geschrei mehr als tausend Menschen aus ihren Zelten zu holen, in kleinen Gruppen zu sammeln und in die bereitstehenden Busse zu verteilen. Diese sollten die zumeist aus Afrika Geflüchteten an einen ihnen unbekannten Ort bringen. Die Behördenvertreter versprechen, dass es ihnen dort besser gehen soll als in den Zeltlagern.

Seit Monaten siedeln sich immer mehr Flüchtlinge an den Ufern zweier Kanäle im Nordosten der Kapitale an. Hilfsorganisationen schlugen wegen der Lebensbedingungen dort mehrfach Alarm. Laut Innenminister Gérard Collomb existieren derzeit zwei weitere ähnliche Camps, die wegen der unzumutbaren hygienischen Bedingungen und Sicherheitsproblemen in den kommenden Tagen ebenfalls geräumt werden müssten.

Hilfswerke hatten knapp 2.000 Menschen in den Zelten von „Le Millénaire“ vermutet. Womöglich aber hatten viele Bewohner bereits von den Vorbereitungen der Räumung gehört und waren weitergezogen. Als die Polizei eintraf, warteten viele andere bereits mit ihrem Gepäck auf die Abfahrt. Was sie nicht tragen konnten, sammelte die Müllabfuhr wenig später ein.

Der Pariser Polizeichef Michel Cadot sprach davon, dass die Räumungsaktion problemlos verlaufen sei. Insgesamt seien 1.016 Menschen aus dem Camp gebracht worden. Rund 500 hätten einen Platz in Flüchtlingsheimen der Stadt Paris bekommen, die übrigen wurden in 18 verschiedene Turnhallen in der Hauptstadt oder der Umgebung einquartiert. Eine gesonderte Betreuung hätten elf Minderjährige und etwa fünfzig Frauen oder ältere Personen erhalten.

Eine Gelegenheit, Migranten auszusieben

Cadot zufolge sollen die Beamten der Immigrationsbehörde OFII nun erst einmal alle Flüchtlinge kontrollieren. Für die französischen Behörden sind solche Räumungsaktionen immer auch eine Gelegenheit, Migranten auszusieben, die keine Chance auf Bleiberecht haben. Diese erhalten dann den Befehl, Frankreich umgehend zu verlassen, wenn sie nicht in Abschiebehaft gelangen wollen.

Sie haben kaum Aussicht auf eine menschenwürdige Unterbringung und könnten bald wieder in einem Zelt an einem Kanalufer hausen. Florent Gueguen vom Dachverband der französischen Hilfsorganisation erklärte darum, Räumungsaktionen seien kaum hilfreich: „Wenn die Behörden nicht ernsthaft bemüht sind, die Bildung solcher Lager zu vermeiden, stehen wir einen Monat nach der Räumung wieder vor derselben Situation.“

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9 Kommentare

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  • "Évacuer" bedeutet auf Französisch nichts anderes als "Räumen".

    Der Begriff wird auch für die Zwangsräumung von Wohnungen benutzt und ist nichts weiter als ein neutraler terminus technicus.

    Im Sinne von "Retten" wird der Begriff auf Französisch nie verstanden. Deshalb kann von "beschönigendem Amtsjargon" keine Rede sein.

    Spricht Herr Balmer so schlecht Französisch?

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @rero:

      Doch. Les pompiers ont évacué les habitants de l'immeuble en flamme. J'espère que vous avez compris la subtilité.

      Ich gehörte hier nicht zu den Fans von Balmer, der blind auf Macron gesetzt hatte. Aber ich glaube schon, dass er die Feinheiten der französischen Sprache kennt.

      Und natürlich hat er Recht, denn wie Sie aus meinem Beispiel ersehen können, erscheint es so, als hätten die Berhörden die Flüchtlinge aus einer grossen Gefahr geborgen. Bergen wäre in diesem Zusammenhang die richtige Übersetzung von " évacuer". Es gibt aber noch andere Bedeutungen wie, évacuer les eaux usées, évacuer un stade pour prévenir un attentat. Räumen kann auch mit expulsion übersetzt werden. Expulsion ist übrigens die gängige Bezeichnung für Zwangsräumung. Ordre d'expulsion...Richterliche Verordnung für eine Zwangsräumung.

      Deshalb kann also absolut von beschönigendem Amtsjargon hier gesprochen werden.

      • @82236 (Profil gelöscht):

        Hier ist der Link zur Larousse-Definition von évacuer:

        //http://www.larousse.fr/dictionnaires/francais/%C3%A9vacuer/31787

         

        Sie werden feststellen, dass dort Evakuieren von einem Ort, an dem es verboten ist zu bleiben, ausdrücklich als Definition mit angegeben ist.

         

        Auch die anderen Definitionen laufen auf Räumen hinaus und haben nicht die Assoziation von "Schutz".

         

        Insofern ist es keine Beschönigung. Man kann sogar das Gegenteil hineininterpretieren, weil auch Tumore oder Toxine "evakuiert" werden.

         

        Zu Ihrer Ehrenrettung kann ich sagen, dass auch ich mal auf diese unterschiedliche Bedeutung zwischen Evakuieren und évacuer hereingefallen bin.

        • 8G
          82236 (Profil gelöscht)
          @rero:

          http://www.larousse.fr/dictionnaires/francais/%C3%A9vacuer/31787

           

          Also ich lese:

          Faire sortir des gens, des choses en masse d'un pays, d'un lieu où il est dangereux ou interdit de rester : Évacuer les malades d'un hôpital.

           

          Also inwiefern ist es gefährlich am " Canal Saint-Martin, zu kampieren? Wovor sollen diese Leute in Sicherheit gebracht werden? Verboten war es auch nicht, denn die Pariser Stadtverwaltung hat die Leute da ja geduldet.

           

          Pour votre gouverne, je vie et enseigne depuis plus de trente ans en France. Ce n'est peut-être pas un gage d'un bon usage de la langue française, mais quand on a été reçu à l'Agrégation, il faut un minimum de connaissance de français. Par conséquent vous pouvez vous passer de vos conseils faussement complaisants.

          A bon entendeur salut....

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @rero:

      Das ist schon richtig.

       

      Aber der Punkt ist doch der: Wir leben in Zeiten, in denen tausende von Menschen in der zugegebenermaßen schönsten Stadt der Welt, in Zelten leben müssen.

       

      Ohne sanitäre Einrichtungen, ohne staatliche Ordnung. Die Schwachen der Gewalt der Starken ausgesetzt.

       

      Und es gibt keinen Plan das zu ändern.

      • @88181 (Profil gelöscht):

        In der Analyse der Probleme bin ich voll bei Ihnen: ohne sanitäre Einrichtungen, ohne staatliche Ordnung, es herrscht das Recht des Stärkeren. Kein Staat mit einem sozialen Anspruch an sich selbst darf so etwas zulassen.

         

        Für mich ist deshalb aber die Räumung auch unumgänglich. Sie hätten aus meiner Sicht viel früher geschehen sollen.

         

        Ich vermute, der Dissenz entsteht bei der Frage, ob die tausende vom Menschen in dem Zeltlager leben müssen. Aus den Erfahrungen von Berlin würde ich zu "nein" tendieren. Auf dem Oranienplatz, auf der Cuvrystrasse, in der Gerhart-Hauptmann-Schule hatten viele eine Wohnung (Unterstützer) oder als Flüchtlinge einen Heimplatz. Allerdings an einem Ort, den sie nicht wollten.

         

        Deshalb bin ich auch hier misstrauisch. Allerdings gebe ich bereitwillig zu, dass wir uns bei dieser Frage voll im Bereich der Spekulation bewegen. Die Motivationen der 2000 Menschen kennen wir eigentlich nicht.

         

        Auch bei dem Dschungel von Calais sehe ich es nicht so, dass jeder dort leben musste.

         

        In vielen Artikel las man von Menschen, die vermutlich Asyl erhalten hätten. Wenn nicht in Frankreich, so doch in Belgien, den Niederlanden oder Deutschland. Wollten sie aber wohl nicht. Es musste unbedingt England sein.

         

        Ich würde übrigens in dem Laissez-faire der französischen Politik einen Ausdruck von Essentialismus vermuten. Nach dem Motto: "Sind halt Schwarze, die wollen in Lagern leben. Die Situation in den Lagern entspricht eben deren Natur."

         

        Einwanderungsrecht und Abschiebungen können rassistisch sein. Rechtsfreie Räume können aber auch Ausdruck von Rassismus sein.

        • 8G
          82236 (Profil gelöscht)
          @rero:

          Die überwiegende Mehrheit der Franzosen afrikanischer Herkunft, von denen es ungleich mehr gibt als in Deutschland und seit mehreren Generationen, wohnen in festen Behausungen. Ich glaube nicht, dass die meisten Franzosen denken, dass Schwarze in Strohhütten leben müssen!

          • @82236 (Profil gelöscht):

            Von Strohhütten habe ich auch nicht gesprochen.

             

            Nach meinem persönlichen Eindruck ist das Denken in "Mentalitäten" in Frankreich deutlich ausgeprägter und stärker gesellschaftlich akzeptiert als in Deutschland.

            • 8G
              82236 (Profil gelöscht)
              @rero:

              Was verstehen Sie unter Mentalitäten?

              Mentalité ? Ensemble des habitudes intellectuelles, des croyances et des dispositions psychiques caractéristiques d'un groupe .Familier. Ensemble des manières d'agir, de penser, de juger de quelqu'un : Avoir la mentalité d'un fonctionnaire.

              Quelle: Larousse.

               

              Und da meinen Sie, dass sei in Deutschland anders bei all den regionalen Unterschieden?

               

              Klar es gibt eine, "mentalité française", eine " mentalité toulousaine, parisienne, marseillaise, bretonne etc...

              Und in Deutschland?

               

              Strohhütten als traditionelles Habitat der Afrikaner, aber gut sie sprechen von Lagern. Niemand in Frankreich, weder in den Behörden noch auf der Strasse denkt, dass der natürliche Lebensraum eines Afrikaners ein Lager ist, auch wenn die Vororte grosser Städte in Afrika wie Lager aussehen und in Wirklichkeit auch welche sind, denn dort leben ja die Landflüchtlinge...