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„Plattenbau, in dem inspirierende Schule stattfindet“

Die Greifswalder Martinschule hat den deutschen Schulpreis verdient, sagt Jurymitglied Angelika Wolters

Foto: Archiv

Angelika

Wolters

ist Referentin für Grund- und Förderschulen am Landesschulamt Sachsen-Anhalt und Vorstandsmitglied im Ganztagsschulverband Sachsen-Anhalt e. V. Beim diesjährigen Deutschen Schulpreis war sie in der Vorjury.

taz: Frau Wolters, Sie sind Teil der Jury zum Deutschen Schulpreis und haben die Preisträgerschule in Greifswald besucht. Was war Ihr erster Eindruck?

Angelika Wolters: Dass es eine besondere Schule ist, war für mich anhand des Schulklimas sofort spürbar. Und ich war auch beeindruckt von diesem Setting. Ein Plattenbau in Ostdeutschland, in Vorpommern, in dem richtungsweisend und inspirierend Schule gemacht wird.

Was macht das Schulklima aus?

Die Schülerschaft ist divers: Die Kinder kommen sowohl aus bildungsfernen als auch -nahen Elternhäusern, es gibt diesen riesigen Anteil an Kindern mit Förderbedarfen. Und dabei schafft die Schule es, Wertschätzung als Grundprinzip geltend zu machen. Jedem wird vermittelt: ich bin kompetent, ich leiste was, ich bin wichtig für die Gemeinschaft.

Woran machen Sie das fest?

Überall im Haus hängt aus, was die Schüler geschaffen haben, einmal in der Woche leiten Schüler die Andacht, jeder kommt mal dran und zeigt, was er oder sie gerade lernt. Die Schüler gestalten aber auch ihr Umfeld selbst, einerseits künstlerisch, als Ergebnis von mehrtägigen Kunstprojekten, andererseits gibt es für die Schüler eine große Freiheit, die Schule zu ihrem Ort zu machen.

Wie denn?

Es gibt zum Beispiel Demokratiestunden, in denen die Schüler sich selbst organisieren. Als ich dabei war, wurde im 5. Jahrgang gerade darüber debattiert, ob es einen fleischfreien Tag in der Woche geben sollte. Den Kindern wird insgesamt viel zugetraut.

Die Andacht haben Sie eben schon angesprochen, die Martinschule ist eine konfessionelle Schule, wirkt sich das auch aufs Schulklima aus?

Schon alleine, dass morgens vor dem Schulbeginn drei Minuten lang die Glocken läuten, ist ein Signal. Und sicherlich wird hier ein christliches, aber ich denke nicht nur christliches, sondern auch humanistisches Menschenbild vertreten. Das wird ja auch gelebt, ich denke da an die Preisverleihung, als die Siegerschule verkündet wurde. Da hat der Schulleiter mit seinen Mitstreitern und den Schülern gejubelt und sollte dann auf die Bühne. Er ist aber erst noch zu einer mitgereisten Schülerin, die im Rollstuhl saß und deshalb ein bisschen abseits sitzen musste, und hat sie beglückwünscht, bevor er den Preis entgegengenommen hat. Die Botschaft ist auch im täglichen Umgang: „Hier wird keiner vergessen.“

Gilt das Klima der Wertschätzung auch für die Lehrer?

Für alle, die an der Schule arbeiten. Integrationshelfer, Lehrer, Erzieher, Sonderpädagogen arbeiten in multiprofessionellen Teams zusammen. Klar gibt es dann eine Person, die den Hut aufhat, im Grundschulbereich zum Beispiel meist die Klassenlehrerin. Aber die Arbeit in den Teams ist spürbar auf Augenhöhe, jeder trägt einen wichtigen Teil bei und die Grenzen zwischen den Aufgabenbereichen sind fließend.

Haben Sie etwas beobachtet, das Sie schwierig fanden?

Ich war etwas irritiert darüber, dass nicht nur das Klima sehr familiär ist, sondern dass viele Mitarbeiter tatsächlich auch ihre Familie an der Schule hatten, eigene Kinder, der Schulleiter seine Enkelkinder. Ich weiß, dass man das anderswo eher vermeidet.

Zu den Kriterien des Deutschen Schulpreises gehört ja auch Leistungsorientiertheit.

Ja, und da konnte die Schule auch zeigen, dass die Leistungen der Schülerinnen und Schüler insgesamt über dem Landesdurchschnitt liegen. Die Martinschule ist kein leistungsfreier Raum, es geht hier schon darum, sich ständig entsprechend seinen Möglichkeiten weiterzuentwickeln. Was mich so begeistert hat, ist, dass die individuelle Leistung immer im „kollektiven Wir“ verortet bleibt. Die Schule erzieht ihre Schüler zwar nicht zu einer solidarischen, demokratischen Haltung, aber sie befördert sie doch. Für mich ist sie deshalb auch ein Beispiel dafür, wie es gesellschaftlich funktionieren kann.

Wie Inklusion funktionieren kann?

Mehr noch, wie wir dem Auseinanderdriften etwas entgegensetzen können, wie Individualisierung und Gemeinschaft zusammenfinden. Für mich hat das gesellschaftliche Signalwirkung.

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