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Ein Fußballpräsident auf Staatsbesuch

Der DFB hat eine „deutsch-russische Fußballwoche“ ausgerufen, und Verbandsboss Reinhard Grindel gibt sich bundespräsidial. Die DFB-Aktion hat ein historisches Vorbild: 1955 sorgte ein Länderspiel für völkerrechtliche Beziehungen zwischen Bonn und Moskau

Von Martin Krauss und Andreas Rüttenauer

Es war ein großer Auftritt für Reinhard Grindel. Dem Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes war die Aufregung anzusehen, als er am 22. Juni letzten Jahres im Siegespark von Kasan einen Kranz zum Gedenken an die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs niederlegte. Zusammen mit dem stellvertretenden Premierminister der russischen Föderation, Witali Mutko, der damals noch Präsident des russischen Fußballverbands war, schritt er hinter einer Ehrenformation der russischen Armee zu der Gedenkstätte und richtete, wie es sich in solchen Fällen gehört, die Schleife des Kranzes.

Der Confederations Cup, das Vorbereitungsturnier für die WM in diesem Sommer, lief gerade. Am Abend hatte die Natio­nalmannschaft in Kasan einen Auftritt gegen Chile, und Reinhard Grindel nutzte die Gelegenheit zum Auftritt in sport- und staatspolitischer Mission, auf die Verantwortung Deutschlands für die Toten des Kriegs gegen die Sowjetunion aufmerksam zu machen.

In dieser Woche ist der DFB-Präsident wieder in Russland gewesen. Am Tag des Sieges über Nazi-Deutschland besuchte Grindel gemeinsam mit dem Generalsekretär des russischen Fußballverbands die Gedenkstätte auf dem Mamajew-Hügel über Wolgograd. Im Krieg hatte diese Erhebung große strategische Bedeutung im Kampf um die Stadt, die damals noch Stalingrad hieß. Grindel umhalste den russischen Kollegen und lieferte Bilder, wie sie sonst nur von Gerhard Schröder zu sehen sind, wenn er seinen Freund Wladimir Putin herzt. „Die Erinnerung ist wichtig, weil sie immer auch ein Garant für Frieden und Demokratie sein kann. Gleichzeitig mahnt uns dieser Ort, dass hier Menschenrechte und Werte während des Krieges mit Füßen getreten wurden“, lässt sich Grindel auf der Website des DFB zitieren. Man könnte dies als bundespräsidial bezeichnen.

Während der „deutsch-russischen Fußballwoche“ (DFB) fand noch ein Junioren-Länderspiel im nagelneuen WM-Stadion von Wolgograd statt. Außerdem traf man sich in Moskau mit Vertretern des russischer Fanverbände, um vor dem Turnier im Sommer gute Stimmung zu machen.

Das Medienecho in Russland war jedoch bescheiden. Über Wolgograder Lokalmedien hinaus fand Grindels Bemühen um das deutsch-russische Verhältnis kaum Erwähnung. Kein Wunder, sein Besuch passt nicht in das Bild, das in Russland derzeit von den Deutschen und ihrer Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg gezeichnet wird. Genüsslich wird da aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion der Linken zitiert, wonach die Bundesrepublik keine Gedenkveranstaltungen im 75. Jahr nach der Niederlage von Stalingrad plane.

Im Auswärtigen Amt war man über die Pläne des DFB informiert, zu denen auch ein Besuch des deutsch-russischen Soldatenfriedhofs Rossoschka bei Wolgograd zählte. „Es gehört zu den Aufgaben einer Botschaft, dass sie im üblichen Rahmen Hilfestellung leistet – unter anderem durch Bereitstellung von Informationen. Die DFB-Delegation hat vor Ort verschiedene Termine mit Vertretern unserer Botschaft wahrgenommen“, heißt es in einer Antwort auf eine Anfrage der taz. Der DFB macht in Diplomatie, und das Auswärtige Amt folgt.

So ganz neu ist die Rolle des DFB als staatspolitischer Akteur nicht. Im August 1955 fand der „Kracher von Moskau“ statt, das Länderspiel zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland. Diplomatische Beziehungen zwischen der alliierten Siegermacht und dem Rechtsnachfolger des Dritten Reiches gab es da noch nicht, aber drei Wochen nach dem sowjetischen 3:2-Sieg im Lenin-Stadion reiste Kanzler Konrad Adenauer nach Moskau, kümmerte sich um die Anfänge völkerrechtlicher Beziehungen und holte die letzten Kriegsgefangenen nach Hause. Der DFB wollte damals das Spiel, die Bundesregierung nicht. Aber verhindern konnte Bonn es nicht.

Nachdem der sowjetische Fußballverband den damaligen Weltmeister eingeladen hatte, begann in der Adenauer-Regierung hektisches Treiben. Bei einer Besprechung, die im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen stattfand und an der neben Vertretern des Kanzleramtes und des Innenministeriums auch Willi Daume für den Deutschen Sportbund teilnahm, hieß es – laut einem Gesprächsvermerk, den der Historiker Matthias Kneifl fand –, es sei darauf zu achten, „dass Spiele mit den Ostblockstaaten oder der Sowjetunion nicht als ‚Freundschaftsspiele‘ bezeichnet würden“.

In der Aktennotiz heißt es aber zugleich: „Ein offizielles Opponieren gegen die Durchführung solcher Spiele sei jedoch aus politischen Gründen nicht angängig.“ Denn: „Das stärkste Argument gegenüber dem Osten liege gerade in der Bundesrepublik darin, dass der Sport politisch frei ist.“

Die ansonsten so praktische Behauptung, Sport habe doch mit Politik nichts zu tun, wollte nun partout nicht mehr passen. Karl Theodor Bleek (FDP), Staatssekretär im Innenministerium, regte an, dem DFB-Präsidenten Peco Bauwens „eine kurze außenpolitische Instruktionsstunde“ zu erteilen. Und Außenminister Heinrich von Brentano übernahm persönlich den Job des Nachhilfelehrers. Auch das Bundespresse- und -informationsamt suchte den Kontakt zum DFB, „damit das Länderspiel nicht zu einer uferlosen Sowjetpropaganda wird“.

In einer Aktennotiz aus dem Auswärtigen Amt vom 12. Juli 1955 empört man sich über die „Verwirrung der Geister“, die man daran erkenne, dass „im Sportmagazin, einer der führenden deutschen Sportzeitschriften, erstaunte Bewunderung für die Leistungen der Sowjetunion auf sportlichem Gebiet“ zu lesen war. Also folgerte das Außenministerium: „Dieses Länderspiel erfordert die höchste Aufmerksamkeit und publizistische Vorarbeit seitens unseres Amtes.“

An die Spieler trat man interessanterweise nicht heran. „Politisch bedingte Verhaltensregeln hatte es nicht gegeben“, erinnerte sich Nationalspieler Horst Eckel später, „weder seitens der Politik noch vom DFB.“ Das Innenministerium wurde anderweitig aktiv: zur Nachrichtenagentur sportinformationsdienst (sid) hatte man ohnehin gute Kontakte, und also investierte man 2.500 D-Mark, damit „ein zweiter Mann vom sid nach Moskau fahren“ konnte. Der eingekaufte Journalist war Werner Schneider, später Moderator des ZDF-Sportstudios; auch andere Journalisten wurden verpflichtet.

Der Westberliner RIAS hatte eine Radioübertragung als „politisch instinktlos“ und „würdelosen Rummel“ abgelehnt; der NDR berichtete mit Rudi Michel und Herbert Zimmermann. Das Spiel fand statt und war ein Erfolg. In der Sowjetunion vor allem, ebenso in der DDR, aber auch in Westdeutschland.

„Dieser Ort macht einem bewusst, wie wichtig Menschenrechte und Werte sind, die damals im Krieg mit Füßen getreten wurden“

Reinhard Grindel am Mamajew-Hügel, Wolgograd

Der Kicker titelte „Held von Moskau: Herkenrath“, denn der Torwart Fritz Herkenrath sei noch besser als sein sowjetisches Pendant Lew Jaschin gewesen. „Noch bis in den November 1955 hinein wurden Artikel und Berichte zur Moskau-Reise veröffentlicht, hielt man das Thema ‚am Kochen‘ “, fasst der Journalist Thomas Grimm, der ein Buch und einen Dokumentarfilm zum „Kracher von Moskau“ vorgelegt hat, zusammen. „Rückblickend würde ich sagen, dass das Länderspiel ein beabsichtigter und gelungener Versuch der Annäherung war“, schrieb Horst Eckel später. Beabsichtigt vermutlich schon, aber nicht von der Bonner Politik.

Vielmehr unternahm der Sport sehr autonom einen Schritt zur Annäherung an die Sowjetunion, während die Politik noch von der Hallstein-Doktrin geprägt war, wonach die BRD Kontakte zu Staaten, die diplomatische Beziehungen zur DDR unterhielten, unterlassen musste.

Aber eine bundesdeutsche Annäherung war nötig: politisch, denn aus dem Zweiten Weltkrieg war die UdSSR als Weltmacht hervorgegangen, die man nicht ignorieren konnte – nicht zuletzt wegen der damals noch offenen Kriegsgefangenenfrage; und sportlich, denn die Sowjetunion – seit 1946 Fifa- und seit 1951 IOC-Mitglied – drängte nach oben: 1956 wurden die sowjetischen Fußballer Olympiasieger, 1960 Europameister. Die noch in den zwanziger Jahren gepflegte Absenz der Sowjetunion im bürgerlichen Rekordsport war beinahe völlig vergessen.

Zum Thema Rekordsport und Russland gäbe es nach all den Enthüllungen um das russische Dopingsystem, das bis in den Fußball hineingewirkt haben soll, derzeit wahrlich viel zu sagen. Doch das sparte ­Grindel bei all seinen Auftritten auf sportpolitischem Terrain aus. Sein Motto dabei: „Fußball verbindet.“ Den Spruch hat sich Grindel ins Russische übersetzen und auf einen Schal drucken lassen. Mit dem war dann er in Wolgograd auf Versöhnungskurs unterwegs.

Dass er in und über Russland sagen kann, was er will, auch darauf legt das Auswärtige Amt wert. Auch wenn es regelmäßige Kontakte zum Verband gebe und der DFB regelmäßig über die politische Lage informiert werde, so stellt das Auswärtige Amt doch eines klar: „Sprachregelungen gibt es nicht.“

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