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„Ich hasse das Wort Kreativität“

Die Hamburger Illustratorin Petra Schoenewald bietet an der Volkshochschule den Kurs „Talentfreies Zeichnen“ an. Aber was heißt das eigentlich: „talentfrei?“

Interview Hannes Vater

taz: Wieso zeichnen Sie, Frau Schoenewald?

Petra Schoenewald: Weil es mich glücklich macht. Ich kann auf einem kleinen Blatt Papier alles machen, was ich will. Eine ganze Welt schaffen.

Ist Zeichnen gesund?

Extrem. Es werden die Feinmotorik, Wahrnehmungsfähigkeit, die kognitiven Fähigkeiten, Erinnerung, Gedächtnis, all diese Dinge, bespielt.

Was hat Zeichnen mit Malen zu tun?

Es ist schon ein ganz anderes Medium. In meinem Job als Theatermalerin ist es auch eine Basis. Da werden Sachen aufgezeichnet, die anschließen malerisch bearbeitet werden. Wenn man ein 100-Quadratmeter-Bild hat, ist es schon ganz gut, ungefähr aufzuzeichnen, wo was ist, damit man nicht völlig aus dem Ruder gerät.

Warum sollte jeder mal zeichnen?

Es ist die einfachste, archaisch­ste Art, sich auszudrücken. Wenn man an Höhlenmalerei denkt – das haben alle schon immer gemacht. Noch vor der Schriftsprache gab es die Bildsprache, um sich mitzuteilen. Dabei kann man sich etwas vergegenwärtigen. Man kann sich beruhigen. Man kann sich auch aufregen. Man kann sich Geschichten ausdenken. Man braucht sonst nichts. Es ist nie langweilig und macht glücklich.

Sie lehren „Talentfreies Zeichnen“. Was ist Talent?

Keine Ahnung. Ich denke, wenn man Interesse hat, an dem, was man tut, wird es auch nicht schlecht. Man kann vielleicht etwas ungelenk die Hand bewegen, aber es kann trotzdem eine rührend schöne Zeichnung sein. Auch wenn sie nicht nach den herkömmlichen Vorstellungen von „gekonnt“ gezeichnet ist. Da gibt’s ja genug Beispiele aus der Kunstgeschichte.

Also kann jeder zeichnen?

Es kann jemand gekonnt zeichnen, und einem schlafen dabei die Füße ein, so langweilig ist die Zeichnung. Man spürt manchmal, dass jemand nur beeindrucken will, aber dass es ihn nicht interessiert. Das Problem bei Leuten, die denken, sie könnten nicht zeichnen, ist, dass sie natürlich Vorbilder im Kopf haben. Sie würden dann gern zeichnen wie der oder die, wo sie meinen, so geht eine richtige Zeichnung. Da verstehe ich meine Aufgabe eher darin zu zeigen, dass die Schönheit einer Zeichnung nicht in der Perfektion des Handwerks liegen muss. Sondern darin, dass sie einen berührt, zu einem spricht.

Wie passiert das?

Zum Beispiel, wenn jemand ganz wütend ist, weil ihm die Zeichnung nicht gelingt und dann anfängt rumzukrickeln, erzählt uns das was. Das kann spannend sein. Wenn man etwas ausradiert und alles verschmiert, kann es auch spannend sein. Zeichenanfänger teilen die Begeisterung für verunglückte Zeichnungen nicht immer. Wichtig ist, dass was mit einem passiert, wenn man es betrachtet. Dann ist es egal, ob die Linie gerade oder schief ist. Aber ich zeige Ihnen natürlich, wie man eine gerade Linie ohne Lineal machen kann. Man darf nur nicht auf die Linie gucken. Man muss sie einfach laufen lassen, dann werden sie meistens gut.

Was ist zum Anfang wichtig?

Dass man immer ein kleines Skizzenbuch dabei hat, dass man zeichnen kann, wenn man zum Beispiel auf dem Amt sitzt oder auf den Zug wartet. Ist die Zeichnung blöd, kann man einfach weiterblättern. Manche zeichnen gern was ab, manche kritzeln gern vor sich hin, es spielt eigentlich keine Rolle.

Was hilft noch?

Zeichnungen angucken. Nicht nur von Profis, auch von Kindern. Wenn man sich damit beschäftigt, was Linien machen können. Zeichnungen von Affen oder Elefanten können manchmal sehr schön sein.

Elefanten?

Die malen eher. In Indien gibt es Reservate, in denen sie für die Touristen Bilder im Akkord malen, die Armen. Man kann Erzählungen zeichnen oder Tiere, die es gar nicht gibt. Mit acht Augen, 120 Zähnen und lauter Beulen. Man kann im Anfängerkurs auch Zeichnungen weitergeben. Es gibt verfahren wie Cadavre Exquis, wie man sie von den Surrealisten kennt. Kinder machen das oft. Mit, Kopf, Rumpf, wegklappen … Finden Erwachsene manchmal doof, aber man kann das auch auf einem offenen Blatt machen, das man immer weitergibt. Da geht es nicht darum, dass einer eine tolle Zeichnung abgibt, weil jeder daran herumfuhrwerkt. Dann gucken wir uns die an. Das ist ein guter Einstieg.

Welche Ansprüche haben Zeichenanfänger?

Die meisten setzen sich total unter Druck, die wollen unbedingt, dass was dabei rauskommt. Das heißt, ich versuche immer zu entspannen und ihnen den Druck zu nehmen, dass sie erst mal zum Machen kommen. Vor lauter Druck können viele gar nicht arbeiten.

Was sind kreative Methoden?

Vorstellungsübungen, Gruppenarbeiten … Ich hasse das Wort Kreativität. Das sagt alles oder nichts.

Was ist Kreativität?

Eigentlich heißt es ja, dass man etwas erschafft, einfach was mit den Händen schafft. Ob das jetzt gut oder künstlerisch wertvoll ist, interessiert mich erst mal überhaupt nicht. Sondern nur, dass man was macht, was vorher nicht da war.

Wo ist die Grenze? Ist alles, was man macht, kreativ?

Ja, natürlich. Es gibt nicht ohne Grund Kunsthochschulen, die Spazierengehen unterrichten. Man durchschreitet einen Raum, macht bestimmte Wahrnehmungen, die man einordnen kann. Es gibt auch Kochen als Unterrichtsfach an Kunsthochschulen – da wird auch etwas geschaffen. Ich komm aus einer Bäckerei. Ich finde den Beruf meines Vaters sehr kreativ, ich bewundere, was Tischler machen, und die Schneider in der Oper. Für die ist das vielleicht nicht kreativ, weil sie ein Handwerk machen. Aber die müssen ganz viel improvisieren und sich Sachen ausdenken. Extrem anspruchsvoll. Alles, bei dem man mit Dingen umgeht, sie verändert. Aus Buchstaben einen Text machen.

Wie wäre die Welt ohne Zeichnungen und Malerei?

Wie der Hamburger Himmel. Zurückgenommen, bleiern.

Was ist die Aufgabe der Kunst? Hat die Kunst überhaupt eine Aufgabe?

Die ändert sich im Laufe der Jahrhunderte. Die auftragsgebundene Kunst hatte immer die Aufgabe zu kommunizieren. Kirchen haben mittels der Kunst den Leuten die Welt erklärt oder wie sie sich zu verhalten haben, woran sie zu glauben haben, was sie nicht tun sollten. Später haben Potentaten den Leuten erklärt, wie wichtig sie sind, indem sie sich in Gemälden und Skulpturen manifestiert haben. In der Moderne hat die Kunst – sicher in Deutschland durch das Dritte Reich – eine andere Funktion bekommen und versucht, sich von dem Erzählen, wie man etwas zu denken oder zu sehen hat, zu befreien. Daher gab’s natürlich diese Rückbewegung in die konkrete Kunst, die ungegenständliche Kunst. Einfach, weil Bilder, Figuren verbrannt waren.

Petra Schoenewald, 55, ist freischaffende Zeichnerin und Illustratorin. Sie lebt in Hamburg.

Das heißt konkret?

Früher war sie da, um die Welt zu erklären, einzuordnen, die Leute einzunorden – in Diktaturen hat sie diese Funktion noch ganz stark. Natürlich kann Kunst politisch sein und auf Dinge hinweisen – sie ist immer zeitgebunden. Sie erzählt immer etwas über die Zeit, und deswegen ist sie manchmal nicht gern gesehen. Sie muss sich nicht ins­trumentalisieren lassen, um politische Aussagen zu machen – aber das passiert, wenn man sich mit dem beschäftigt, was um einen herum ist – und damit beschäftigen sich mehr oder weniger alle Künstler. In den seltensten Fällen ist Kunst nur nett gewesen. Andererseits hat sie auch die Aufgabe zu schmücken. Welche Aufgabe hat die Kunst? Vielleicht, wie die Literatur, einfach zu sein. Das mögen andere beurteilen.

Haben Sie Tipps für angehende Künstler ohne kommerzielle Interessen?

Falls sich Vierjährige in ihrer Nachbarschaft befinden, können sie mit denen eine Kritzelsession machen, die zeigen ihnen alles, was sie wissen müssen.

Und Tipps für angehende Künstler, die sehr wohl Geld verdienen wollen?

Oh, das ist ganz schlecht. Meine Kinder wären verhungert, wenn ich mit meiner Kunst hätte Geld verdienen müssen. So musste ich mich notgedrungen der auftragsgebundenen Kunstmalerei hingeben und Scheiß zeichnen für Film und Fernsehen, wenn es dafür Geld gab. Wenn ich weiß, wie etwas aussieht und ein Bühnenbild gestalte, aber der Bühnenbildner eine andere Vorstellung hat – auch wenn es scheiße aussieht – dann mal ich es halt scheiße (lacht). Ich bin nicht so der Markttyp.

Gibt es Markttypen?

Ja, natürlich. Das ist vielleicht etwas generationenbedingt. In meiner Generation und bei meinen Lehrenden war es total verpönt, auf den Markt zu schielen – was nicht unbedingt förderlich ist, um davon zu leben.

Unterscheiden sich die internationalen Kunstszenen?

Es verändert sich durch die Globalisierung extrem schnell extrem viel. Aber ich finde, noch sieht man die Unterschiede. Indische Maler haben einen anderen Zugang, einen anderen Erfahrungsschatz, andere Farben, mit denen sie groß geworden sind. Ich habe ein paar Jahre an einer Oberstufe unterrichtet, wo quasi nur Schüler mit Migrationshintergrund waren. Die Russen haben ganz anders gezeichnet als die Perser. Die bringen ihre ganze Kunstgeschichte, ihre ganze Tradition irgendwie mit. Unbewusst! Auch wenn alle hier aufgewachsen sind. Wo man herkommt gibt es andere Zugänge. Was international läuft vermischt sich aber zunehmend. Es ist wie mit den Innenstädten – die sehen jetzt alle gleich aus.

Ein Einheitskunstbrei?

Ich bin mit meiner Tochter in Indien zufällig an drei verschiedenen Kunsthochschulen gelandet, da waren auch immer Ausstellungen. Meine Tochter hat gesagt: „Es ist echt verrückt. Man kann hinkommen, wo man will – ihr seid alle gleich.“ Der Zugang auf die Arbeit ist ein anderer, aber die Art, wie man die Welt betrachtet, ist ähnlich. Man ist sich sofort zugewandt, man erkennt sich sozusagen und freut sich. Quer über die Landesgrenzen gibt es scheinbar was Gemeinsames: sich mit Dingen zu beschäftigen, die vielleicht keinen direkten Nutzen haben, bei denen man aber überzeugt ist, dass sie wichtig sind. Vielleicht ist es das – Beobachtungen zu machen, die man sich mitteilt. Ich weiß es nicht.

Die nächsten Kurse „Talentfreies Zeichnen“ finden am 28. 4. im VHS-Zentrum Hamburg-Harburg statt, am 6. 5. im VHS-Zentrum Othmarschen, Kurszeiten jeweils 11–17 Uhr. Die Teilnahme kostet je 32 Euro, Anmeldungen über www.vhs-hamburg.de

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