: Trubel unterm Riesenrad
Lange verwaist, halb verfallen, von der Natur zurückerobert: der Spreepark gehört seit vier Jahren wieder dem Land Berlin. Das will einen naturnahen Kultur- und Kunstpark aus dem Gelände an der Spree in Treptow-Köpenick machen. Jetzt laden Rundgänge alle Schaulustigen ein
Von Marina Mai (Text) und Christian Mang (Fotos)
Etwa 30 Leute aller Altersgruppen stehen am Tor an der Kienwerderallee im Plänterwald und wollen: hinein. In den Spreepark, der seit 2001 geschlossen ist. Na ja, fast. Seit Norbert Witte in den ersten Januartagen 2002 mit sechs Fahrgeschäften nach Peru abgedüst war (siehe Kasten Seite 45) und einen maroden Park zurückgelassen hatte, gab es Theatervorführungen, Ökospaziergänge durch ein Stück Stadtraum, das die Natur sich zurückgeholt hat. Zwischen den Ruinen verlassener Fahrgeschäfte wurden Musikvideos gedreht, Modeschauen, Werbespots und Filmszenen für den Tatort, die ZDF-Kinderserie „Löwenzahn“ und Kinofilme wie „Wer ist Hanna?“. Seit Karfreitag veranstaltet die Grün Berlin GmbH, die das Areal im Auftrag des Landes Berlin entwickelt und verwaltet, an Wochenendtagen und Feiertagen Führungen.
„Ich fotografiere gern Lost Places“, begründet ein Mann um die 40, warum er heute hierher gekommen ist. Die Fotoausrüstung hängt um seinen Hals. Nein, zu Rummelplatzzeiten war er nie hier, sagt er der taz. So was war nie sein Ding. „Aber die vielen morbiden Fotos, die ich im Internet gesehen habe, weckten mein Interesse.“ Seine Begleiterin, ebenfalls Hobbyfotografin, hat den Spreepark öfter besucht, wie sie verrät. „Als Kind mit meinen Eltern bin ich Riesenrad und Karussell gefahren.“ Danach habe sie diesen Ort einfach vergessen. „Als mir mein Partner die Fotos im Internet zeigte, wollte ich unbedingt wieder hierher.“ Das Riesenungeheuer-Maul, das von einer Achterbahn übrig geblieben war, erweckt ebenso Kindheitserinnerungen wie die Schwanenboote, die die Grün Berlin in eine Werkstatthalle gestellt hatte, um sie vor dem weiteren Zerfall zu bewahren.
Armin Woy führt die kleine Gruppe durchs Gelände. „Wenn man mit den Leuten über den Park spricht, hört man sofort, woher sie kommen“, sagt der erfahrene Parkführer. „Kulti sagen die Ost-Berliner.“ Das ist das Kosewort für Kulturpark – so hieß der Park von 1969 bis 1990. „Die Leute aus dem Rest der DDR sprechen hingegen vom Plänterwald. So heißt die nächstgelegene S-Bahn-Station. Und wer Spreepark sage, so Woy, der käme sehr wahrscheinlich aus dem Westen oder er sei nach dem Ende der DDR geboren worden.
Die DDR-Zeit: 1969 eröffnete die DDR auf dem Gelände einer ehemaligen Baumschule den Kulturpark Plänterwald. Das Riesenrad war im Entstehungsjahr das zweithöchste Europas. Der einzige ständige Freizeitpark in der DDR zog pro Jahr bis zu 1,7 Millionen Besucher an.
Nach Mauerfall: Nach der Wende wurde er als Spreepark privatisiert. Den Zuschlag unter sieben Anbietern erhielt die Spreepark GmbH der Familie Witte. Sie kaufte zahlreiche moderne Fahrgeschäfte hinzu, vermochte es aber nie, den Park wirtschaftlich zu betreiben. Stattdessen wurden Spreepark-Mitarbeiter im Wahlkampf für die CDU eingesetzt, und der Spreepark war Großspender der CDU. Die Zahl der Besucher sank bis auf 400.000 im Jahre 2000. Als 2001 die Bankkredite aufgebraucht waren, für die das Land Berlin unter CDU-Führung gebürgt hatte, musste die Spreepark GmbH Insolvenz anmelden.
Die Affäre: Anfang 2002 setzten sich die Wittes mit sieben Fahrgeschäften nach Peru ab. Zurück in Berlin blieben 11 Millionen Euro Grundschuld, die auf dem Grundstück lasteten.
Gescheiterte Pläne: Das Land Berlin wollte im Plänterwald einen neuen Freizeitpark ansiedeln. Sämtliche Verhandlungen mit internationalen Investoren scheiterten an dem Begehren Berlins, der neue Betreiber müsse die Witte-Schulden übernehmen.
Mutter Natur: Der Park verfiel. Über die Jahre holte sich die Natur ein Stück Stadtraum zurück. Die Morbidität zog Hobbyfotografen, Filmteams, Theaterprojekte, Konzertveranstalter und Abenteurer an.
Der Rückkauf: 2013 lief eine Zwangsvollstreckung vor dem Amtsgericht ins Leere. 2014 kaufte das Land Berlin nach Verhandlungen mit den Gläubigern das Areal für 2 Millionen Euro zurück.
Die Zukunft: 2016 begann die Bürgerbeteiligung für die Entwicklung eines Kunst- und Kulturparkes unter Leitung der Grün Berlin GmbH, die den Park seitdem betreibt. Die Ausschreibung für die Entwicklung gewann das Landschaftsarchitekturbüro Latz + Partner. Die Grün Berlin GmbH hat bisher mehr als 100 Projekte in der Hauptstadt realisiert und bewirtschaftet derzeit über 700 Hektar öffentliche Freiräume und Parkanlagen. (mai)
Ein paar Runden im Kaffeetassen-Karussell
Armin Woy kann an verschiedenen Orten die Geschichte unterschiedlicher Zeitabschnitte des Parkes erzählen. Beispielsweise vor bunt getünchten Bretterbuden: „Alt-England“ hieß die 1999 erbaute Siedlung, die heute so gar nicht mehr englisch aussieht. Das liegt daran, dass sie vor wenigen Jahren als Kulisse für einen Märchenfilm diente und dafür den bunten Farbanstrich bekam. Alt-England hatte Norbert Witte dort gebaut, wo sich bis dahin ein Zirkuszelt befunden hatte. Der Park sollte schließlich ein „Freizeitpark westlichen Typs“ werden. Und die englisch anmutenden Kulissen hatte Witte billig erworben.
Wie das Kaffeetassen-Karussell, das noch gut erhalten im Park steht. Hier können die Besucher der Führung sogar noch ein paar Runden drehen. Es war eine der ersten Neuanschaffungen von Witte 1991. Mit mehreren anderen Fahrgeschäften konnte er es preiswert aus der Insolvenzmasse eines französischen Freizeitparks erwerben, weiß Woy. Er weist die Besucher auch auf botanische Besonderheiten hin, die sich hier angesiedelt haben. Beamtenbäume etwa, die eher in Spanien zu Hause sind, und Baumarten, die ursprünglich aus Japan stammen. Kein Mensch weiß, wie sie den Weg in den Spreepark gefunden haben.
Auch vier Jahre nach dem Rückkauf durch das Land Berlin erinnert der Spreepark an einen Lost Place. Bauarbeiten sind Fehlanzeige, sieht man von den Erdarbeiten nahe der Spree einmal ab. Hier wird Boden abgetragen, in dem Arsen gefunden wurde. Wie kam das Gift in den Park? Hat Norbert Witte illegal Gifte gelagert? Oder hat es jemand nach seiner Zeit dort entsorgt? Woy weiß das nicht.
Gebaut wird frühestens ab 2020. Nach dem Rückkauf musste das klamme Land Fördertöpfe anzapfen. Dann folgte die Bürgerbeteiligung über die Zukunft des Areals. Rund 1.200 Bürger haben ihre Vorschläge eingebracht (siehe Interview). Das Spektrum umfasst einen Hundeauslaufplatz, eine Badestelle an der Spree, einen Naturlehrpfad, ein Museum zur Geschichte des Parkes, einen Ort für Shakespeare-Aufführungen oder Flächen für Graffiti.
Die Grün Berlin GmbH und das von ihr beauftragte Planungsbüro Latz + Partner haben die Vorschläge sorgsam ausgewertet, auf Machbarkeit geprüft und werden wahrscheinlich im Frühsommer präsentieren, was genau entstehen soll. Dass es ein naturnaher Kultur- und Kunstpark werden soll, steht bereits fest. Nach der Präsentation startet das Bebauungsplanverfahren im Bezirk Treptow-Köpenick. Hier wird etwa geprüft, wie die Anfahrt zu dem neuen Park einmal sein wird.
Dazu gibt es bereits Vorarbeiten. So hat die Grün Berlin GmbH im März auf dem Dammweg Amphibien gezählt. Die Zahlen werden gerade ausgewertet. Dieser Weg führt mitten durch den Plänterwald. Der Bezirk will ihn als Zufahrtsstraße erweitern, damit Besucher und Lieferanten zweispurig hindurch kommen. Außerdem sollen zwischen 100 und 270 Parkplätze mitten im Wald entstehen. Wird damit der Lebensraum schützenswerter Tiere wie Fledermäuse beeinträchtigt? Auch die Beleuchtung des Waldweges soll auf Anregung des Umweltverbandes BUND noch einer ökologischen Prüfung unterzogen werden.
Die Dammweg-Frage polarisiert die Anwohner. „Eine Erweiterung ist mit uns nicht zu machen“, sagt Manfred Mocker von der Initiative Pro Plänterwald, die seit der Ära Witte gegen Bauarbeiten im Wald kämpft. Mocker weiß, dass der Plänterwald eines der letzten innerstädtischen Waldgebiete Berlins ist, ein sehr kleines zudem – und ein wichtiges für die Luft in der ganzen Stadt. Bei einer Erweiterung der Straße würden hundert Jahre alte Bäume fallen.
Unterstützt wird die Initiative durch den grünen Wahlkreisabgeordneten Harald Moritz, der auch Verkehrsexperte seiner Fraktion ist. Man kennt sich. Schon in den 1990er Jahren, als Moritz noch Bezirksverordneter in Treptow war, kämpfte er gemeinsam mit Pro Plänterwald gegen illegale Parkplätze, die Norbert Witte schuf. Sie dokumentierten gemeinsam illegale Baumfällungen durch die Spreepark GmbH und gingen politisch gegen die CDU-Lobby im Bezirk vor, die dem treuen CDU-Mitglied Witte erlaubte, in den Sommermonaten den Sportplatz einer benachbarten Schule zuzuparken. Die Elternvertreter waren auf die Barrikaden gegangen.
Doch eine Herausforderung besteht darin, dass die S-Bahntrasse weit vom Park entfernt verläuft. 17 Minuten Fußweg sind es von der Station Plänterwald. Diskutiert werden Shuttlebusse und ein Fahrradleihsystem.
Moritz versucht heute einen Kompromiss zwischen Anwohnern und Planern. Auch die Planer wollen eigentlich keine Parkplätze im Wald schaffen. Doch sie müssen es. „Ohne Parkplätze dürften wir keinen einzigen Gastronomiebetrieb im Spreepark öffnen. So will es das Gesetz“, sagt Tilman Latz.
Auch der grüne Verkehrsexperte Harald Moritz sagt zähneknirschend: „Wir werden nicht darum herumkommen, Stellplätze in geringer Zahl im Wald zu schaffen.“ Etwa für Zulieferer oder für Besucher mit Behinderungen. „Mein Wunsch ist es aber, dass darüber hinaus keine Autos dorthin fahren.“ Eine Verbreiterung des Dammweges lehnt Moritz ab. „Wir können Anreize schaffen, dass die Besucher öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Dann werden wir keine zweispurige Straße benötigen.“ Und wenn man die Geschwindigkeit im Wald auf 10 oder 30 km/h begrenze, so Moritz, könnten Fußgänger und Radfahrer dort unterwegs sein, ohne dass es zusätzliche Streifen für sie gäbe.
Das Riesenrad aus DDR-Zeiten wird sich möglicherweise schon 2020 wieder drehen, zeigt sich Planer Tilman Latz zuversichtlich. „Wir waren positiv überrascht, dass die Grundkonstruktion in einem guten Zustand ist.“ Alle 40 Gondeln sowie die Steuerungstechnik seien allerdings reparaturbedürftig.
„Das Riesenrad wird die große Attraktion des neuen Parks sein und nachts leuchten“, sagt Latz. Es soll aber auch das einzige Fahrgeschäft in dem neuen Park sein. Künstler sollen hier eine neue Wirkungsstätte finden und Besuchern Angebote machen. Das reicht von Puppentheater in der Natur bis zu künstlerisch gestalteten Bänken, die sich in die Bäume einfügen. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) freut das. „In einer Stadt, in der Räume für Kunst und Kultur unter einem enormen Verwertungsdruck stehen, ist jedes Vorhaben ein Gewinn, das sich der Schaffung von Räumen und Freiräumen für Kunstschaffende verschrieben hat“, sagt er der taz.
Die Vision der Planer ist, die Geschichte des Ortes mit einzubeziehen. Aus den Resten der Achterbahn wird etwa ein begehbarer Baumwipfelpfad werden, den man mit farbigen Brillen begehen kann, so dass ganz neue Wahrnehmungen entstehen. Denn rund um die Ruine des einstigen Fahrgeschäftes sind längst hohe Bäume gewachsen. Die sollen stehen bleiben. In die Ruinen von Irrgarten und Geisterhaus werden Riesenrutschen integriert.
Im ehemaligen 360-Grad-Kino aus Nachwendezeiten werden Filme gezeigt, die im Zusammenhang zu dem Ort stehen. Das ist etwa die DDR-Kinderfilmserie „Spuk unterm Riesenrad“. Das sind Filme wie ein Tatort, die in dem verlassenen Park gedreht wurden. Und der Dokumentarfilm über die Flucht der Witte-Familie nach Peru und die Rückkehr mit Kokain, das in Hohlräumen von Fahrgeschäften versteckt war. Geschichten aus dem Plänterwald gibt es viele.
Führungen durch den Spreepark finden an Wochenend- und Feiertagen statt. Die Karten zum Preis von 5,50 Euro müssen online unter gruen-berlin.de/spreepark gebucht werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen