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Zarte Front gegen rechts

Der SV Babelsberg 03 wehrt sich gegen ein bizarres Urteil des Sportgerichts und spricht laut über Nazis im Stadion. Jetzt rührt sich etwas im deutschen Fußball

Von Alina Schwermer

Es ist gerade ein bisschen ruhiger geworden beim SV Babelsberg 03. Man wartet dort auf den Gesprächstermin Anfang März. Bis dahin gibt es vor allem Solidarität für den Verein und seine Fans: aus Spanien, aus England, von deutschen Vereinen und Fanszenen bis hoch in die Bundesliga. „Die Solidaritätswelle ist in meinen Augen ohne Vorbild“, sagt Archibald Horlitz, Präsident des Vereins. Er ist im Moment ein gefragter Mann. Sein Verein hat den Mut aufgebracht, gegen den Widerstand der Institutionen ein Grundproblem anzusprechen. Selten ist im deutschen Fußball so lange und mit so breiter Wirkung über Nazis in den Fankurven geredet worden. Der Anlass zeigt, dass es Zeit wurde.

Am 28. April 2017 bestritt der Viert­ligist Babelsberg 03 sein Heimspiel gegen Energie Cottbus. Cottbus, bekanntermaßen mit teils rechts­extremer Anhängerschaft, und die linken Babelsberger, das ist in der Regionalliga Nordost eine Partie mit Eskalationspotenzial. Vermummte Cottbuser stürmen den Platz, zwei Mal wird die Partie unterbrochen, beide Seiten brennen Pyrotechnik ab. Hinterher nennen Medien es ein Skandalspiel. Und Teile der Cottbuser skandieren, wie sich auf YouTube nachschauen lässt, unter anderem: „Arbeit macht frei, Babelsberg 03“ und „Zecken, Zigeuner, Juden“. Auch Hitlergrüße sind dokumentiert. Aus dem Babelsberg-Block ruft jemand: „Nazischweine raus!“

Es ist der Anlass für ein bizarres Nachspiel vor dem Sportgericht, dessen Urteil später das DFB-Bundesgericht kassiert – weil der Rassismus der Cottbus-Fans ohne Konsequenzen geblieben war. Denn bestraft wurde vom Sportgericht des zuständigen Nordostdeutschen Fußball-Verbandes (NOFV) offiziell nur die Pyrotechnik. Von den Nazi-Vorfällen wollte der NOFV bis zum Urteil nichts mitbekommen haben. Schwer zu glauben angesichts der riesigen Diskussion in der Presse, der veröffentlichten Videos, der Stellungnahmen beider Vereine und der Geldstrafe eines Cottbus-Fans wegen Hitlergrußes vor einem ordentlichen Gericht. Linke Vereine wie Babelsberg, Roter Stern Leipzig oder Chemie Leipzig haben es schwer im Osten, auch mit dem NOFV. Doch der SV Babelsberg wehrte sich.

Denn während die Nazi-Rufe offenbar keine Rolle spielen, steht der „Nazischweine raus!“-Ruf von Babelsberger Seite im ersten Urteil als erster Punkt in der Begründung. Angeblich nur der Vollständigkeit halber, später soll es ein EDV-Fehler gewesen sein. Der SV Babelsberg sollte 7.000 Euro zahlen, Energie Cottbus insgesamt 6.000 Euro für Vorkommnisse in drei Partien. Babelsberg weigerte sich. Der Verband drohte, den verein aus dem Wettbewerb auszuschließen. Erst auf öffentlichen Druck knickte er ein. Es kam zur Diskussion. Das Bundesgericht des DFB schaltete sich ein; am Mittwoch hat der DFB Energie Cottbus nun wegen unsportlichen und diskriminierenden Verhaltens seiner Fans in zwei Fällen, unter anderem wegen rechtsradikaler Sprechchöre und Gesten, zu 7.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Bis zu 3.000 Euro davon darf der Verein für Prävention gegen Rechtsextremismus verwenden. Und ein klärendes Gespräch ohne Vorbedingungen zwischen Babelsberg und dem NOFV soll es geben. Das ist der Termin Anfang März.

Babelsberg

Der Verein Der SV Babelsberg 03 aus Potsdam ging 1991 aus der BSG SV Motor Babelsberg hervor. Größter Erfolg war eine Saison in der zweiten Bundesliga 2001/02. 2003 musste Babelsberg Insolvenz anmelden. Heute spielt der Verein in der Regional­liga Nordost, der 4. Spielklasse.

Der Aktivismus Der SV Babelsberg ist bekannt für seine linke Fanszene. Die Babelsberger erlangten durch viele soziale Projekte bundesweite Bekanntheit. Unter anderem waren sie der erste Fußballverein, der mit Welcome United eine reine Flüchtlingsmannschaft anmeldete. Die jüngste Aktion der Babelsberger, „Nazis raus aus den Stadien“, wird unter anderem von den Vereinen Werder Bremen, Borussia Dortmund, dem 1. FC Köln und dem VfB Stuttgart unterstützt. (asc)

Bis dahin ist es auf beiden Seiten ruhiger geworden. Babelsberg äußerte höfliche Zufriedenheit mit dem Cottbus-Urteil. Zur NOFV-Rechtsprechung sagt Vereinspräsident Horlitz der taz: „Wenn es um Rassismus und Antisemitismus geht, kann man sich fragen, ob das bei einem Sportgericht richtig aufgehoben ist.“ Andere Fragen bleiben auch. Vor allem zum Rechtsextremismus in den Kurven, vor allem in der Regionalliga Nordost.

„Jeder Vierte im Osten hat AfD gewählt“, so Horlitz. „Man spürt den Einfluss auch im Fußball: Ich finde, Rechtsextremismus in der Kurve nimmt in unserem Einzugsgebiet zu.“ Die Zahlen legen nahe, dass er recht hat. Der NOFV führt Statistiken zu Verfahren vor dem Sportgericht gegen Vereine, aber auch Einzelpersonen wie Spieler und Trainer wegen rassistischer, rechtsextremistischer und diskriminierender Vorfälle. Die Zahl der Verfahren, die bis 2013/14 stetig abnahm, nimmt seit der Saison 2014/15 wieder zu – das deckt sich etwa mit dem Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise. In der vergangenen Saison waren die Verfahrenszahlen auf einem Rekordhoch seit Beginn der Statistik im Jahr 2011. Weil aber die Gesamtzahl der Verfahren so niedrig ist – in der vergangenen Rekordsaison waren es sechs –, lassen sich politische Zusammenhänge schwer belegen.

Wie rechtsextrem die Klientel ist, ist von Verein zu Verein enorm unterschiedlich: Cottbus und Lok Leipzig etwa sind für ihre rechts durchsetzte Anhängerschaft bekannt, teilweise auch der BFC Dynamo. „Je weiter es nach Sachsen geht, desto ausgeprägter ist die Neigung“, glaubt Horlitz. Die betroffenen Vereine kämpfen mit sich selbst: Bei Energie Cottbus setzen rechtsextreme Gruppen wie „Inferno“, die offiziell längst aufgelöst ist, hinter den Kulissen Fans unter Druck. Zuletzt veröffentlichte Cottbus einen Maßnahmenplan und Cottbuser Fans gründeten bei Facebook eine Gruppe gegen Nazis. Aber in einem Klima, in dem neutrale Anhänger von Angst im Stadion sprechen, bewegt sich nur langsam etwas. Helfen könnte jetzt ausgerechnet der Babelsberg-Vorfall.

Linke Vereine wie Babelsberg, Roter Stern Leipzig oder Chemie Leipzig haben es schwer im Osten, auch mit ihrem Verband

„Die Frage war immer: Wie können wir das, was passiert ist, so kanalisieren, dass es dem ostdeutschen Fußball nutzt?“, sagt Archibald Horlitz. Das ist schon teilweise gelungen. Indem das Grundproblem angesprochen wird; indem auch der DFB endlich Druck ausübt. Horlitz aber wünscht sich nicht nur eine Diskussion über Nazis, sondern auch über die Geldstrafen, die der NOFV verhängt. „Die Strafhöhen sind eher Bundesliganiveau.“ In lokalen und regionalen Verbänden klagen Amateurclubs seit Langem über die Unverhältnismäßigkeit der Strafen.

Es ist also noch manches zu klären. Und es wird um Rechtsextreme gehen, hoffentlich noch eine Weile. Der SV Babelsberg hat nach den Vorfällen die Kampagne „Nazis raus aus den Stadien“ gestartet, die auch von Bundesligisten unterstützt wird. Sie soll die Auseinandersetzungen mit dem NOFV finanzieren, aber auch Fanprojekten gegen Rechts helfen. „Die wirklichen Helden sind für mich die, die mit unseren T-Shirts in der Dorfmannschaft auflaufen, wo 80 Prozent des Publikums AfD wählen“, so Horlitz. „Das sind Leute, denen jede Unterstützung gebührt.“

Ginge es nach den Babelsbergern, sollen die Vorfälle eine neue Front gegen rechts im deutschen Fußball schaffen. Auf Unterstützung des DFB wartet die Kampagne allerdings noch.

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