„2030-Ziel ist keine Kür“

Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth (SPD) verteidigt die Pläne der Großen Koalition zum Klimaschutz. Aber: Für Fortschritte brauche es Druck von ganz oben

Diese Braunkohlebagger sollen laut Koalitionsvertrag weg – nur wann? Foto: Monika Skolimowska/dpa

Interview Bernhard Pötter

taz: Herr Flasbarth, im Koalitionsvertrag steht, das Klimaziel für 2020 schaffen wir nicht, aber das für 2030 auf jeden Fall. Beginnt Klimaschutz immer erst morgen?

Jochen Flasbarth: Wenn man den Vertrag anschaut, sieht das anders aus. Wir wollen und müssen die 2030-Ziele auf jeden Fall erreichen. Dafür haben wir Prozesse für die verschiedenen Bereiche verabredet, im Energiesektor etwa mit dem Kohleausstieg, und das werden wir dann gesetzlich festschreiben. Ohne so eine Klimagesetzgebung wäre das tatsächlich „business as usual“. Aber das ist der entscheidende Unterschied – wir machen die Sachen jetzt auch national rechtlich verbindlich.

Festgelegt ist aber nur das Prozedere: ein Klimagesetz, der Klimaschutzplan 2050, eine Kommission. Nicht festgelegt ist, was im Gesetz stehen oder was die Kommission erbringen soll.

Es gibt eine Reihe von sehr harten Festlegungen. Zum einen wird überhaupt zum ersten Mal in einem Regierungsvertrag der Kohleausstieg festgeschrieben. Das ist ein Durchbruch. Das Datum soll von der Kommission vorgeschlagen werden – und dann wird das Teil der Gesetzgebung. Außerdem haben wir einen enormen Aufwuchs bei den erneuerbaren Energien festgelegt: 65 Prozent beim Strom bis 2030, das sind etwa 15 Prozentpunkte mehr als bisher geplant. Und das bei einem viel höheren Stromverbrauch, weil wir den Ökostrom auch im Verkehr und im Gebäudebereich voranbringen müssen.

Was hindert die Kommission daran zu sagen: „Der Kohleausstieg kommt sehr spät, 2040 oder 2050“?

Die Kommission entbindet die Regierung ja nicht von ihrer Verantwortung. Wir werden diese Kommission plural zusammensetzen, wir haben da gute Erfahrungen mit dem Gremium zur Finanzierung des Ausstiegs aus der Kernenergie gemacht. Aber wenn es Vorschläge gäbe, die mit dem Pariser Klimavertrag nicht zusammenpassen, müsste die Regierung anders handeln.

Müsste nicht die Regierung sagen, was für die Klimaziele zu tun ist – und das nicht auf eine Kommission schieben?

Das finde ich nicht. Es geht um einen Ausstiegspfad für die Kohle, der nicht nur ein Enddatum hat, sondern der auch festlegen soll, wie viel Kohlen­dioxid aus diesem Sektor bis dahin noch in die Atmosphäre gelangen darf. Und es geht um einen enormen Strukturwandel in den Regionen. Ich bin zuversichtlich, dass die Kommission besser einen gesellschaftlich breit akzeptierten Weg finden kann, der eine jahrelange Auseinandersetzung verhindert, als wenn die Regierung das einfach festlegt.

Aber der Vertrag formuliert nicht, was zu tun ist. Beim Verkehr etwa steht nichts Konkretes zum Klima.

Man muss die Dinge schon zusammen lesen. Parallel zur Kommission zum Kohleausstieg wird es einen Prozess für Maßnahmen für 2030 im Verkehr geben. Das soll in einem Gesetz enden. Die Verkehrspolitiker haben viele gute Punkte vereinbart, die helfen werden, den Verkehr endlich auf Klimakurs zu bringen. Nur ein Beispiel: Es wurde die Erhöhung der Mittel für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz festgelegt, damit können die Kommunen ihren Verkehr umorganisieren.

Union und SPD haben in den letzten Jahren regiert und die Klimaziele verfehlt. Warum soll es mit dem gleichen Personal nun besser werden?

Foto: Bundesregierung

Jochen Flasbarth ist seit 2013 Staatssekretär im Umwelt­ministerium. Zuvor leitete der Ökonom das Umweltbundesamt.

Es hat einen Erkenntniszuwachs durch das Scheitern gegeben. Dass wir das Klimaziel 2020 nicht erreichen, war ein Schock im politischen System. Und inzwischen haben auch alle verstanden, dass unser 2030-Ziel keine Kür mehr ist. Mit dem Koalitionsvertrag kann man gute Klimapolitik machen, aber das ist keine Garantie. Es braucht auch die Unterstützung von Kanzlerin und Vizekanzler, daran hat es in der letzten Legislaturperiode erheblich gemangelt.

Was soll sich da ändern? Angela Merkel und Martin Schulz haben beide versprochen, das Klimaziel 2020 zu erreichen, jetzt sagen sie im Koalitionsvertrag, wir schaffen es doch nicht.

Das Versprechen von Angela Merkel, das 2020-Ziel zu erreichen, wird zumindest zu einem führen: Die Kanzlerin wird sicherlich ihre volle Unterstützung geben, um die Lücke so weit wie möglich zu schließen. Und vor allem wird es dazu führen, dass der Pfad nach 2030 robust abgesichert wird. Deutschland will diese Blamage kein zweites Mal erleben.

Aber wo soll der Druck herkommen? Klimapolitik gilt derzeit als Verliererthema.

Andere Themen haben sich in den Vordergrund geschoben, das ist wahr. Mit dem Klimagesetz wird aber wieder deutlich, dass Klimaschutz ein Gewinnerthema ist, das unser Land ökonomisch fit macht für die nächsten Jahrzehnte.