Integrationsbeauftragter im Interview: „Integration ist Chefsache!“

Andreas Germershausen kritisiert das Kopftuchverbot. Der Integrationsbeauftragte Berlins über Wutbürger, sein leises Auftreten und den Islam.

Willkommenszentrum für Flüchtlinge und andere Neu-Berliner, Potsdamer Straße Foto: dpa

taz: Herr Germershausen, Sie beackern das Megathema der Stadt: Integration. Trotzdem, mit Verlaub, ist der Integrationsbeauftragte öffentlich nicht sehr präsent. Woran liegt das?

Andreas Germershausen: Das liegt daran, dass Integration ein Thema des gesamten Senats geworden ist. Früher war das anders, da musste man es gegen den Senat durchsetzen.

Aha.

Die zentrale Stellung des Themas im Senat können Sie auch daran erkennen, dass mir in den Richtlinien der Regierungspolitik die Aufgabe zugeteilt wurde, ein neues Gesamtkonzept zu koordinieren für die Partizipation und Integration Geflüchteter. Das mache ich auch, zusammen mit allen anderen Senatsverwaltungen. Aber das ist eher eine strategische Aufgabe, die erst öffentlich wird, wenn wir das Konzept vorgelegt haben.

Sie arbeiten also im Stillen an einem neuen Konzept?

Ja, nicht ganz so still und schon seit einem Jahr. Der Senat hat in seinen Richtlinien gesagt, dass er erfolgreiche Projekte aus dem Masterplan Integration fortsetzen und ein neues Konzept zu seiner Flüchtlingspolitik entwickeln möchte.

Was soll anders werden als beim alten Masterplan?

Ich kann dazu erst mal nur so viel sagen: Wir organisieren das über neun Facharbeitsgruppen, davon sieben zu den Handlungsfeldern des Senats, wie Gesundheit, Soziales, Unterbringung bis zu Sport. Zwei sind übergreifend, eine Gruppe zum Thema Partizipation, eine zum Thema Demokratiebildung, Prävention gegen Radikalisierung und Sicherheit. Wir wollen das Konzept bis zur Sommerpause fertig haben und bis dahin Dissense zwischen den Häusern ausgeräumt haben.

geboren 1952, ist seit Oktober 2015 Integrationsbeauftragter des Senats. Zuvor war er seit 2005 Leiter des Grundsatzreferats „Integrationspolitik“ bei den vorherigen Integrationsbeauftragten.

Wird es zum Beispiel einen Dissens geben mit der Innenverwaltung bei der Sicherheitspolitik?

Hierzu wird es Gespräche geben. Ein weiterer: Der Senat hat ja in die Richtlinien hineingeschrieben, dass er einen Paradigmenwechsel beim Migrationsrecht, bei der Aufenthaltspolitik haben will und alles ausschöpfen wird, was der Bund an gesetzlichen Spielräumen zulässt. Da wird es vielleicht beim Innensenator auch eine andere Position geben als bei mir.

Andreas Germershausen ist seit 2015 Integrationsbeauftragter des Senats Foto: Fred Vollmer

Man hat jedenfalls den Eindruck, dass Sie sich wenig zu integrationspolitischen Debatten äußern, etwa zum Thema Islam beziehungsweise Islamisierung, Antisemitismus an Schulen oder Kopftuch bei Lehrerinnen.

Der Eindruck ist falsch. Ich habe mich voriges Jahr mehrfach zum Kopftuch beziehungsweise dem Neutralitätsgesetz geäußert. Aber das ist merkwürdigerweise nicht so stark aufgenommen worden. Dabei habe ich eine deutliche Position gegen die Bildungsverwaltung bezogen und den Regierenden Bürgermeister, die sich ja, wie die SPD insgesamt, für die strikte Beibehaltung des Neutralitätsgesetzes ausgesprochen haben – was ich falsch finde. Denn ich fühle mich auch als Vertreter der MigrantInnenorganisationen einschließlich der muslimischen Organisationen.

Aber die SPD liegt in dieser Frage im Trend der allgemein eher antiislamischen Stimmung. Was können Sie tun, um die zu ändern?

Ich habe ja vonseiten des Senats die Verantwortung für das Islamforum, das in Kooperation mit den muslimischen Organisationen und Vereinen unter Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern aus der Zivilgesellschaft und verschiedener Senatsverwaltungen durchgeführt wird. Dabei geht es um alle Prozesse, die Musliminnen und Muslime anbelangen: vom Neutralitätsgesetz über die muslimische Gefängnisseelsorge bis zur Frage von Bestattungsmöglichkeiten. Das ist nicht immer einfach, aber wenn uns ein echter Dialog mit diesen Organisationen nicht gelingt, dann wird es tatsächlich immer stärker wahrgenommen, als ob der Islam an sich gefährlich ist. Und das ist er natürlich nicht. Im Gegenteil: im Rahmen der langjährigen Kooperation wurde immer wieder deutlich, dass die muslimischen Organisationen, die im Islamforum versammelt sind, nicht „gefährlich“ sind, auch wenn manche von ihnen zeitweise vom Verfassungsschutz beobachtet wurden.

Aufgaben Andreas Germershausen soll die Integrationspolitik des Senats als Querschnittsaufgabe aller Ressorts koordinieren und eine Gesamtstrategie entwerfen, zudem die interkulturelle Öffnung der Verwaltung forcieren. Seine Behörde an der Potsdamer Straße 65 berät in ausländer- und integrationsrechtlichen sowie sozialen Fragen. Seit gut einem Jahr gibt es dort das Willkommenszentrum, das neu Zugewanderten bei rechtlichen und Alltagsfragen hilft.

Programme Der Integrationsbeauftragte realisiert zudem Programme des Senats beziehungsweise koordiniert sie. Dazu gehören die VHS-Deutschkurse für Geflüchtete sowie die rund 200 Integrationslotsen. Die Lotsen gehen in die Unterkünfte und beraten Flüchtlinge, helfen im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) bei der Wohnungssuche und bauen dort die geplante neue Beschwerdestelle für Geflüchtete auf. (sum)

Aber diese Organisationen vertreten teilweise recht fragwürdige Positionen. Stellen Sie auch mal Forderungen an die, dass sie mehr Integrationswillen zeigen müssen? Ich denke an die Ditib-Moscheen, von deren Kanzeln kürzlich gepredigt wurde, dass man für den Sieg der Türkei beim Krieg in Syrien beten soll.

Solche Gespräche führe ich durchaus. Und zur Ditib ist das Verhältnis in der Tat schwierig, nicht nur in Berlin, in allen Bundesländern. Ditib war ja immer schon dem türkischen Staat unterstellt und lange Zeit ein Hauptpartner für hiesige Verwaltungen. Aber seit der Zuspitzung nach dem Putsch hat sich die Türkei als Staat gegenüber der Ditib viel direktiver verhalten. Das macht den Umgang mit der Organisation für alle Integrationsbeauftragen in Deutschland problematisch. Immerhin: Berlin hat daraus gelernt und wird nun eigene Imame und islamische Religionslehrer ausbilden. Dafür soll das „Institut für islamische Theologie“ an der Humboldt-Universität etabliert werden.

Die Vorbehalte gegenüber Muslimen wurden durch die sogenannte Flüchtlingskrise noch verstärkt. Sie machen seit Kurzem die Gesprächsreihe „Integration im Dialog“. Was hören Sie da von den Leuten? Äußern sich da viele „Wutbürger“?

Eigentlich hatte ich das erwartet, aber das hat sich nicht bewahrheitet. Der Grund ist vielleicht, dass wir uns mit der Reihe auf drei Zielgruppen konzentrieren. Zum einen die Freiwilligen-Netzwerke, die Ehrenamtlichen und Willkommens­initiativen, die es ja in allen Bezirken gibt. Die möchte ich stärken und ihre Position einbeziehen in das neue Flüchtlingskonzept des Senats. Die zweite Zielgruppe sind die Geflüchteten selbst. Ihre Anliegen nehme ich mit der Frage auf: Woran wollt ihr euch beteiligen?

„Ich habe mich voriges Jahr mehrfach zum Kopftuch beziehungsweise dem Neutralitätsgesetz geäußert.“

Und?

Einerseits geht es vielen natürlich um Arbeit, Wohnen und dergleichen, aber eben auch um politische Vertretung. In einer Veranstaltung, die sich explizit an Geflüchtete richtete, haben viele gesagt: „Wir wollen uns politisch beteiligen, vielleicht eine Partei gründen, uns organisieren.“ Ich möchte gerne mit diesen Leuten weitermachen, das war eine tolle Gruppe. Man könnte sie im Sinne einer Fokusgruppe die Senatspolitik begleiten und kommentieren lassen.

Was ist die dritte Zielgruppe?

Die Bezirke: der oder die Integrationsbeauftragte, die Bürgermeister, Verwaltungsleute, Jobcenter, Unternehmen. Wir wollen Leute zusammenbringen, die sich im Bezirk engagieren. Und ich nehme wahr, dass Integration in allen Bezirken inzwischen viel stärker als Chefangelegenheit wahrgenommen wird. In allen Bezirksämtern wird zum Beispiel mehr Personal eingestellt für die Integrationspolitik. Das ist ein bisschen das Verdienst des Senats, der den Bezirken dafür mehr Personal zugebilligt hat. Aber die Bezirksbürgermeister nehmen das auch als strategische Aufgabe für sich an, entwickeln eigene Ideen. Lichtenberg zum Beispiel hat inzwischen 31 Projekte für Geflüchtete! Dafür bekommt der Bezirk vom Senat 2018 rund 970.000 Euro.

Was sind das für Projekte?

Eines zum Beispiel – eine Art „Leuchtturmprojekt“ – machen zwei arabische Vereine. Sie gehen in die Unterkünfte und beraten Geflüchtete zu allen Fragen des Lebens wie Bildung, Arbeit, Sprachkurse.

Solche Angebote gibt es inzwischen zuhauf. Aber was nützt die schönste Beratung, wenn es keine günstigen Wohnungen, keine Arbeit gibt?

Ich stimme Ihnen zu: Wir werden Berlin sicher nicht mit Niedriglohnjobs entwickeln. Und es ist wohl allen klar, dass die Qualifizierung der Geflüchteten in den hochentwickelten deutschen Arbeitsmarkt ein längerer Prozess sein wird. Aber wir haben auch schon Erfolge. Es gibt einen erheblichen Teil von Menschen aus der Community der Geflüchteten, die in Arbeit gekommen sind. Im Übrigen wird Arbeitsmarktintegration ein wesentlicher Teil der Flüchtlingspolitik sein, die ich für den Senat entwickle. Eine Stadtregierung muss das mit organisieren. Dass das vielen nicht schnell genug geht und mit Hürden verbunden ist, ist klar.

Aber wäre es nicht besser, wenn die Politik ehrlich sagt, trotz all dieser Anstrengungen wird der „Bodensatz“ an Menschen, die in unserer Arbeitswelt keinen Platz mehr finden, größer werden durch die Geflüchteten? Weil sie hier einfach niemand „braucht“?

Nach Ihrer Behauptung müsste die Arbeitslosenquote größer geworden sein. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es gibt unter den Geflüchteten so viele, die sehr klug sind, sehr beweglich, mobiler als viele Langzeitarbeitslose. Und oft entsteht durch Migrationsbewegungen Neues am Arbeitsmarkt. Denken Sie an die vielen jungen Akademiker aus Südeuropa, für die Berlin eine Weile sehr hip war. Sie haben die Kreativwirtschaft in Berlin stärker gemacht. Gleichzeitig spielen Migrationsbewegungen immer eine Rolle, um Bedürfnisse von Unternehmen zu befriedigen. Dass heute zum Beispiel die Zeit des Arbeitsverbots für neue Geflüchtete auf drei Monate verkürzt ist …

… liegt an den Erfordernissen der Wirtschaft, die Arbeitskräfte braucht!

Auch. Aber es ist auch eine Notwendigkeit der Integrationspolitik.

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