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Ornament und Okzident

Die Deutsche Bank KunstHalle erinnert in Berlin an die türkischstämmige Malerin Fahrelnissa Zeid. Sie war eine faszinierende Pionierin der Moderne

„Ich bin die Nachfahrin von vier Zivilisationen. Die Hand ist persisch, das Kleid byzantinisch, das Gesicht kretisch, und die Augen sind orientalisch.“ Fahrelnissa Zeid, „Someone from the Past“ Foto: KunstHalle Deutsche Bank

Von Ingo Arend

Eine schwach geballte Faust, die sich gegen das Heranrücken eines Meers gezackter Dreiecke reckt. Links kann man gerade noch ein sphinxartiges Gesicht erkennen. Doch auch dessen Umrisse lösen sich schon zu den farbig unterlegten, schwarz gerahmten Prismen auf, die vom rechten Bildrand die Leinwand überschwemmen. Es gibt kein Oben und kein Unten, alle Perspektiven fallen ineinander.

„Fight against Abstraction“ – der Titel des 1947 entstandenen Gemäldes könnte suggerieren, dass seine Urheberin gegen die aufdämmernde Moderne kämpfte. Doch den Weg von der Figuration zur freien, ungebundenen Form empfand Fahrelnissa Zeid als Befreiung. Bis dahin hatte die 1901 als fünfte Tochter eines ottomanischen Adligen auf der Insel Büyükada vor Istanbul geborene Künstlerin eher traditionell gemalt.

Revolutionär war 1919 zunächst nur die Tatsache, dass sie mit achtzehn Jahren die erst fünf Jahre zuvor gegründete Kunstakademie für Frauen besuchte – vier Jahre vor Gründung der türkischen Republik. Dort übte sich die junge Frau brav in Landschafts- und Porträtstudien. Der Umschwung kam in Paris. Schon 1928 begann die früh mit dem Schriftsteller İzzet Melih Devrim verheiratete Frau nach gemeinsamen Europareisen eine mehrmonatige Ausbildung an der Pariser Kunstakademie Rámson. Doch erst als sie mit ihrem zweiten Mann, dem irakischen Prinzen Zeid al-Hussein, 1947 als Botschaftergattin nach London zieht, „wechselt“ sie endgültig zur Moderne. Und gewinnt ihr eine ganz eigene Form ab.

Es gehört zu den Vorzügen der von der Tate Modern übernommenen Retrospektive in der Kunsthalle der Deutschen Bank, dass sie die ganze Bandbreite ihrer Entwicklung deutlich macht: vom ersten erhaltenen Bild, einem Porträt ihrer Großmutter, bis zu ihrem Aufgehen in der Moderne.

Dafür steht das spektakuläre Bild „My Hell“. Das monumentale, 5 Meter breite Gemälde, das sie 1951 im Pariser Salon des Réalités zeigt, hatte sie in ihrem Atelier zwischen zwei Wände hängen müssen, um es überhaupt malen zu können. In diesem Strudel abstrakter Formen, rot und gelb unterlegt, erinnert nichts mehr an Realität.

Zugleich wirkt das Werk wie ein Echo ihres lebenslangen Interesses für orientalisches Ornament. Dessen Wuchern und das All-over-Prinzip der Hard-Edge-Malerei sind sich näher, als man denkt. Zeid verbindet es zu einer ganz eigenen Position.

Die Nähe ihres Werks zu Jackson Pollock ist evident. Ihre Bilder wirken, als ob man dessen Drippings in Tausende Einzelstücke zerhackt und zu einem Kaleidoskop zusammengepuzzelt hätte. Doch dass die junge Künstlerin in den vierziger Jahren nur dem angesagten Trend zum abstrakten Expressionismus folgte, greift etwas kurz.

Ehrgeiz, Kalkül und Nachahmung waren immer Triebfedern für ästhetische Neuorientierungen vieler Künstler. Doch dass ihr Umschwung auch den sich ändernden Modi der Weltwahrnehmung geschuldet war, deutet Zeid selbst an. „Die Welt stand kopf“, erinnert sich die Diplomatengattin einmal nach einem Flug nach Bagdad an die – für die gesamte Moderne – prägende Erfahrung der Vogelperspektive, „man konnte eine ganze Stadt in den Händen halten: die Welt von oben gesehen.“

Es fällt schwer, diese außergewöhnliche Malerin als „eine der wichtigsten türkischen Pionierinnen der Moderne“ wiederzuentdecken. So annonciert sie die DB Kunsthalle. Zwar wurde sie in Istanbul geboren und begann dort ihre Ausbildung. Ein paar Jahre stellte sie dort auch mit der kubistisch beeinflussten „Gruppe D“ aus, die die türkische Malerei revolutionieren wollte.

Doch sie war zu sehr frankophile Kosmopolitin, als dass sie für ein Land zu reklamieren wäre. Der größte Teil ihres Nachlasses ist in Französisch geschrieben. Daran erinnert die algerische Kunstwissenschaftlerin Adila Laïdi-Hanieh, selbst einige Jahre Schülerin von Zeid, als sie kürzlich in Berlin ihre erste Biografie der Künstlerin vorstellte.

In diesem Strudel abstrakter Formen, rot und gelb unterlegt, erinnert nichts mehr an Realität

Ihren ursprünglichen türkischen Vornamen Fahrünnisa arabisierte sie später erst zu Fahrelnissa. Zeitweilig signierte sie ihre Bilder in arabischer Schrift. 1991 stirbt sie in Amman, wohin sie nach dem Tod Ihres Mannes 1970 zog. In der jordanischen Hauptstadt stürzte sie sich in die Ausbildung junger arabischer Künstler*innen.

Wie sie sich selbst zwischen den Kulturen verortete, zeigt das Selbstporträt „Someone from the past“ aus dem Jahr 1980, wo sie sich im simplifizierten Stil ihrer späten Porträts in einem orange glühenden Festkleid darstellt: „Ich bin die Nachfahrin von vier Zivilisationen. Die Hand ist persisch, das Kleid byzantinisch, das Gesicht kretisch, und die Augen sind orientalisch. Doch ich war mir dessen nicht bewusst, als ich es malte.“

Sinnvoller ist Zeid also als eine der vielen vergessenen, unterschätzten Pionierinnen der Moderne charakterisiert – die aber immer ihre ästhetischen Ursprünge mitreflektierte.

Faszinierend ist nicht nur ihre schillernde Biografie: Die mondäne Lady aus der Aristokratie war jahrelang Gastgeberin einer der spektakulärsten Intellektuellen-Salons. Nach dem Sturz der irakischen Königsfamilie stand sie mittellos auf der Straße. Die Hühnerknochen der ersten Mahlzeit, die die damals 57-Jährige je selbst zubereitete, verarbeitete sie sogleich zu Skulpturen.

Dass einer Frau aus der Türkei ein Brückenschlag zwischen Moderne und Orient gelang, macht sie so spannend in einer Zeit, in der sich diese Hemisphären wieder feindlich gegenüberstehen und überall die „nationale Identität“ beschworen wird.

Bis zum 25. März, KunstHalle Deutsche Bank, Berlin, Katalog 25 Euro

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